Ostermärsche der Friedensbewegung: Appelle für mehr Verhandlungen
Bundesweit sind in den kommenden Tagen Ostermärsche der Friedensbewegung geplant. Die Forderung an die Bundesregierung: mehr Einsatz für Diplomatie.
Mehr als 120 Aktionen sind nach Angaben der Friedenskooperative von Gründonnerstag bis Ostermontag geplant. Die Kooperative verweist in ihrem Aufruf außerdem auf die Gefahr durch Atomwaffen. Sie fordert ein Ende der Aufrüstung und den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag. Doch es herrscht auch Unstimmigkeit in den Reihen der Bewegung. „Die Polarisierung in der Gesellschaft mit Blick auf den Ukraine-Krieg und Waffenlieferungen spiegelt sich auch bei den Friedensgruppen“, sagte Golla und nannte das Problem der „Trittbrettfahrer“: So planten sogenannte Corona-Leugner Veranstaltungen und versuchten, von der Friedensbewegung zu profitieren. „Der Ostermarsch ist klassische Friedensbewegung.“
Anlässlich der Ostermärsche betonte SPD-Chefin Saskia Esken das Recht der Ukraine auf die Verteidigung ihrer Unabhängigkeit und Freiheit. „Es mag nicht ganz leicht sein, dies mit einer Friedensbotschaft zu verbinden, aber es geht ganz klar darum, den Frieden und die Ordnung in Europa wiederherzustellen“, sagte Esken der Augsburger Allgemeinen. Und: „Es ist unsere Aufgabe, dabei mitzuhelfen.“ Putins Aggression dürfe keinen Erfolg haben, „denn das würde Nachahmung provozieren und fatale Folgen für unsere Zukunft haben“.
Linken-Co-Chef Martin Schirdewan rechnet bei den Märschen mit stärkerem Zulauf. „Der fürchterliche Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht den Menschen Sorge“, sagte er der Rheinischen Post und dem General-Anzeiger. Russland habe angekündigt, Atomwaffen in Belarus an der Grenze zu Polen zu stationieren. „Das schürt Ängste vor einer atomaren Eskalation.“ Traditionell seien Ostermärsche stark auf atomare Abrüstung ausgerichtet. Der Protest werde sich dieses Jahr also auch „gegen die neue Runde atomarer Aufrüstung mitten in Europa richten“.
EKD: Echte Friedensverhandlungen gefordert
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, weigert sich, die Hoffnung auf Gespräche für ein Ende des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine aufzugeben. In jedem Augenblick könne es Menschen geben, die sich begegneten und den Weg zu einem Waffenstillstand und dann zu echten Friedensverhandlungen bahnten, sagte die Theologin im Interview der Woche im Deutschlandfunk.
Wenn hingegen jeder Ruf nach Verhandlungen als „naiv und unmöglich“ verurteilt werde, mache sie nicht mit. „Verhandlungen müssen herbei verhandelt werden“, betonte die westfälische Präses. Die EKD-Ratsvorsitzende forderte, nicht in den Mustern von „Entweder-oder“ sowie „Richtig“ und „Falsch“ zu denken. Im Moment brauche es beides: „eine starke Möglichkeit der Ukraine, sich zu verteidigen, und jederzeit das Bemühen, ins Gespräch zu kommen und die Waffen zum Schweigen zu bringen“, sagte sie.
Auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs könne Ostern gefeiert werden. „Erst recht und gerade jetzt“, sagte Kurschus, weil Ostern „ein Fest des Widerstands mitten im Tod und mitten im Elend“ sei. Ostern sei in christlicher Sicht das „Fest des Lebens“. Gott stehe „an der Seite derer, die sich für das Leben einsetzen, und er überwindet alle Kräfte, die über Leichen gehen und die an den eigenen Machtgelüsten ihre Taten ausrichten.“ Aus dieser Osterbotschaft resultiere die Verantwortung, „zu Protestleuten gegen den Tod“ zu werden.
Die Ex-Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, bekräftigte ihre ablehnende Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine. „Anfangs hieß es, wir würden reine Verteidigungswaffen liefern, jetzt sind daraus ganz klar Angriffswaffen geworden“, sagte sie der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Mit deutschen Panzern werde auf russische Soldaten geschossen. „Das kann doch auch keine Lösung sein“, betonte die einstige hannoversche Landesbischöfin. Käsmann will am Karsamstag bei einem Ostermarsch in Hannover sprechen.
Käßmann: Verhandlung heißt nicht Kapitulation
Vollkommen außer Frage stehe zwar, dass es sich bei dem Ukraine-Krieg um den Angriffskrieg eines Diktators gegen ein freies Land handle. Dennoch müsse es durch Friedensverhandlungen schnellstmöglich zu einem Ende des Tötens kommen. „Verhandlung heißt nicht Kapitulation“, so Käßmann. Sie hatte sich wiederholt gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen und, wie zuletzt in einem von Vertretern aus Politik, Gewerkschaften, Kultur und Wissenschaft unterzeichneten Appell, einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen mit Russland gefordert.
Aussagen des ukrainischen Botschafters Oleksii Makeiev, wonach der jüngste, von Käßmann mitgetragene Friedensappell „purer Zynismus“ sei, wies die ehemalige Landesbischöfin zurück: „Er hat das Recht, als Ukrainer zu reden, ich habe das Recht, als Deutsche zu reden“. Sie spreche der Ukraine nicht das Recht ab, sich zu wehren, aber sie fürchte, dass Deutschland durch Waffenlieferungen nach und nach selbst zur Kriegspartei werde. Käßmann sagte, sie stelle sich „idealerweise eine Welt ohne Waffen vor“. Das sei eine Vision, die sie nicht aufgeben wolle. „Derzeit reden alle nur von Aufrüstung, dabei bräuchten wir die Unsummen, die da investiert werden, dringend für Bildung oder Klimaschutz.“
Die Anzahl der Orte, in denen Ostermärsche stattfinden, ist laut Friedenskooperative im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Im vergangenen Jahr gingen an den Ostertagen in vielen Städten jeweils mehrere Hundert bis einige Tausend Menschen auf die Straßen. An diesem Karsamstag sind in mehr als 60 Städten, darunter Köln, München, Berlin und Hannover, Aktionen geplant. Den Abschluss bilden am Montag Märsche etwa in Frankfurt am Main, Hamburg und Nürnberg.
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