Ost und West: Und der Zukunft zugewandt
Im Jahr 2030 soll Deutschland nun wieder geteilt werden – auf Probe. In vierzig Jahren soll dann entschieden werden, was sich besser bewährt hat.
W ir schreiben das Jahr 2030. Vierzig Jahre, also in etwa so lange, wie es die DDR gab, gibt es sie nun nicht mehr. Doch das soll sich ändern – darüber ist man sich in Ost und West ungewohnt einig. Die kommenden vierzig Jahre sollen probeweise wieder im zweistaatlichen Modus ablaufen, ehe man sich 2070 erneut zusammensetzen wird, um die in der Zwischenzeit jeweils gemachten Erfahrungen gemeinsam auszuwerten: Wie hat sich die Trennung angefühlt, was war gut, was war weniger gut und wie soll es in Zukunft weitergehen: getrennt oder vereint?
Die Wahnidee eines harmonischen Miteinanders ist jedenfalls vorerst geplatzt. Der Versuch, die unpassenden Puzzleteile mit dem Hammer zu fügen, konnte ja nur scheitern; die eh nur aus einer Sektlaune heraus entstandene Verbindung stellt sich als erwartbar unglücklich heraus. Das Arrangement glich einer Zwangsehe: hier die abgezockte Braut, dort der unerfahrene Bräutigam.
Früher wollten alle wissen, was sie erwartet, heute haben die meisten schon von der Gegen-wart genug. Wir blicken trotzdem einmal im Monat immer ein Jahr voraus.
Und es bringt nun mal nichts, den Partner mit Gewalt nach eigenen Vorstellungen umformen zu wollen, weil es uns nicht zusagt, wie er ist. So etwas kann nie gutgehen, das hätten wir uns früher überlegen sollen. Die andere Person, die andere Nation sein zu lassen, wie sie ist, sie trotzdem zu lieben und zu respektieren und gleichzeitig nie sich selbst zu verraten – so handelt ein erwachsenes Land.
Eines Tages vielleicht ein Wir?
Wo es aber nach vierzig Jahren Ehe noch immer kindischem Gezänk den Vorzug gibt, sollte es sich überlegen, ob es nicht alleine besser dran ist, beziehungsweise auf „Stinder“ unverbindlichere Verbindungen mit anderen Staaten eingeht, die sich auf Sex und Wirtschaftsbeziehungen beschränken. Es muss nicht immer gleich eine Wiedervereinigung sein.
„Das ist im Grunde wie bei uns zu Hause“, stellt meine Hausnymphe Apocalypso fest. „Frieden herrscht nur, wenn der eine – so wie du in unserem Fall – die Überlegenheit der anderen bedingungslos anerkennt. Sonst ist die Trennung praktisch vorgezeichnet.“
Die ist immerhin einvernehmlich. Schnell sind die Güter aufgeteilt – VW hier und Tesla dort –, etablieren sich die neuen Hauptstädte Bonn und Bautzen. Mithilfe polnischer, israelischer und US-amerikanischer Fachkräfte entsteht ein hindernisartiges Deeskalationstool, hier antifaschistischer und dort antikapitalistischer Schutzwall genannt, bewacht von beiden Seiten. In diesem Punkt zeigt sich auf einmal lange nicht gesehene Eintracht – vielleicht gibt es ja doch mehr Gemeinsamkeiten, als man dachte, wird aus „Die da“ eines Tages doch noch mal ein „Wir“. In vierzig Jahren wird es sich zeigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten