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Osnabrücker Stadtwerke in der KriseFakt oder Fiktion

Stehen die Stadtwerke Osnabrück vor der Pleite? Ja, suggeriert „Der Spiegel“. Nein, sagt das Unternehmen. Die Kun­d:in­nen sind verunsichert.

Schlägt sich negativ in der Bilanz der Stadtwerke Osnabrück nieder: Steinkohlekraftwerk Lünen Foto: Bernd Thissen/dpa

OSNABRÜCK taz | Bei der Stadtwerke Osnabrück AG gärt es. Da ist die Gas- und Strompreiskrise, unter der das Tochterunternehmen der Stadt massiv leidet, so wie viele andere kommunale Energieversorger auch. Und da sind „unternehmerische Fehlentscheidungen“, wie Marco Hörmeyer gegenüber der taz einräumt, Sprecher des Grundversorgers der Region. Sie reichen von Kohlekraft-Investitionen bis zum Ein- und Verkauf von Energie.

„Wir weisen diese unwahren und rufschädigenden Behauptungen ausdrücklich zurück“.

Marco Hörmeyer, Stadtwerke Osnabrück

Doch damit nicht genug. Mitte Oktober kam ein Artikel des Nachrichtenmagazins Der Spiegel hinzu: Den Stadtwerken drohe „die Pleite“, heißt es da. Denn sie hätten sich „verzockt“. Und weiter liest man dort: „Offensichtlich ringt die Firma um ihre Existenz.“

Eine Prognose, die viele Kun­d:in­nen der Stadtwerke alarmiert hat. Droht ihnen ein lichtloser Winter vor kalten Heizungen? Steht ihnen ein Blackout bevor, wie ihn Verschwörungsideolog:innen, Neorechte und die Apokalypse-Jünger:innen der Prepperszene ausmalen?

Die Stadtwerke weisen den Beitrag des Spiegel zurück. Auf welcher Basis das Magazin diese Behauptungen aufstelle, sagt Hörmeyer, „erschließt sich uns nicht“. Man weise „diese unwahren und zum Teil rufschädigenden Behauptungen ausdrücklich zurück“. Hörmeyer: „Uns droht keine Pleite, wir ringen auch nicht um unsere Existenz – ganz im Gegenteil.“ Man arbeite daran, die Stadtwerke „zukunftsfest aufzustellen“.

„Die Telefone stehen nicht still“

Folge der Berichterstattung des Spiegel sei, „dass sich verunsicherte und irritierte Kunden, Geschäftspartner und Banken bei uns melden“, sagt Hörmeyer. „Die Telefone stehen nicht still.“ Die Belieferung der Kun­dschaft sei „natürlich gesichert“. Man beschaffe Strom und Gas bis zu zwei Jahre im Voraus.

Der Spiegel hatte einen 15 Positionen langen Fragenkatalog an die Stadtwerke Osnabrück geschickt. Den habe man „umfassend und transparent beantwortet“, sagt Hörmeyer. Fragen wie Antworten liegen auch der taz vor. Die Stadtwerke räumen eine Belastung durch ihre Beteiligung am Geld fressenden Steinkohlekraftwerk Lünen ein, ein millionenschweres Defizit für das Geschäftsjahr 2021. Im Energiehandel sei man „nicht adäquat aufgestellt gewesen“. Dies habe zu „unprofitablen Aktivitäten“ geführt.

Sie betonen aber: Über das Geschäftsjahr 2022 lasse sich „noch keine verlässliche Aussage treffen“. Man unterstütze die Forderung, einen staatlichen Schutzschirm für die Stadtwerke aufzuspannen, aber „ob, wann und in welcher Höhe wir Liquiditätshilfen benötigen“, lasse sich nicht vorhersagen. Angesichts der aktuellen Situation gebe es bei den Stadtwerken „keine Denkverbote“. Alle Sparten müssten sich „einer konsequenten Neuausrichtung unterziehen“.

Das klingt nach schweren wirtschaftlichen Problemen, aber nicht nach einer drohenden Pleite. Man habe “die Stadt fest im Rücken“, sagt Hörmeyer, dazu gebe es „sehr klare Signale aus Politik und Verwaltung“. Keine Bank sehe Probleme für die zugesagten Kredite.

Eine Spiegel-Frage, auf die es von den Stadtwerken keine Antwort gab: „Welche Effekte hätte eine Insolvenz/Pleite der Stadtwerke für die Stadt?“ Sie zielt offenbar auf Volker Bajus, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Osnabrücker Stadtrat und Stadtwerke-Aufsichtsratsmitglied. Ihn zitiert der Spiegel mit der Aussage, womöglich fehle es der Kommune dadurch an Mitteln für freiwillige Leistungen, er befürchte „Kürzungen bei kulturellen und pädagogischen Angeboten, beim Theater, der Jugendarbeit, der Frauenberatungsstelle“. Die Situation mache „Angst“. Nur: Bajus sieht sich, nach drei Telefonaten und einem Mailwechsel mit Spiegel-Autor Simon Book, „falsch und verkürzt“ zitiert.

Fragen nur „hypothetisch“

Die Spiegel-Fragen hätten nur hypothetisch auf eine Pleite gezielt, und auf den Markt der kommunalen Energieversorger allgemein. Der fertige Spiegel-Artikel erzeuge jetzt jedoch den Eindruck, die Pleite sei bereits Fakt, und treffe Osnabrück. „Von einer tatsächlichen Insolvenz ist jedoch nie die Rede gewesen“, sagt Bajus. „Sie existiert ja auch nicht.“ Bajus hatte dem Spiegel auch den Satz freigegeben: „Ich hoffe, dass die Stadtwerke mittelfristig wieder auf Kurs sind und Überschüsse für die Stadt erwirtschaften.“ Er fehlt im Artikel.

In der Online-Fassung ist der Text übrigens „Strom und Erdgas sind aktuell ausverkauft“ betitelt. Der Hintergrund: Stadtwerke-Neukund:innen erhalten derzeit keine Strom- und Gasverträge mit langfristig festgelegten Preisen, nur teurere Tarife in der Grund- und Ersatzversorgung. Ausverkauft heißt also nicht: Es ist nichts mehr da.

„Dass die Stadtwerke Osnabrück pleite sind“, sagt Spiegel-Journalist Book, von der taz um eine Kommentierung gebeten, „haben wir nie behauptet“. Man habe Gespräche „im Rathaus“ geführt, mit dem Aufsichtsrat. „Wir bleiben bei unserer Einschätzung.“

Pleiteticker.de, Teil der neuen Medien von Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, raunt derweil, die Zukunft des Versorgers lasse „nichts Gutes erahnen“. Deutschlands Wirtschaft „schmiert ab“, behauptet die Plattform, man werde „das Ergebnis dieses grünen Wahnsinns dokumentieren“.

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