Organspende und Gesetzesänderung: Es geht um Leben und Tod
Der Bundestag stimmt darüber ab, ob man automatisch OrganspenderIn wird. Die Beispiele anderer Länder zeigen, wie das funktioniert.
Nach Zahlen des Newsletters Transplant der globalen Datenbank GODT gab es im Jahre 2018 zum Beispiel in Spanien eine Rate von 48,3 SpenderInnen pro eine Millionen Einwohner, in Österreich eine Rate von 24,5 und in den Niederlanden von 16,4, während Deutschland mit einer Rate von 11,6 sehr weit hinten lag.
Diese Zahlen sind bedeutsam im Hinblick auf die Diskussion über zwei Gesetzentwürfe, mit denen das Spendenaufkommen für die Transplantationsmedizin erhöht werden soll. Beide stehen am Donnerstag im Bundestag zur Abstimmung, beide Entwürfe haben fraktionsübergreifend sowohl GegnerInnen als auch BefürworterInnen.
Der Doppelte Widerspruch
Eine Abgeordnetengruppe um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und SPD-Fachpolitiker Karl Lauterbach legt den Entwurf für eine „doppelte Widerspruchslösung“ vor. Dieses Gesetz würde die bestehende Regelung umkehren. Nach der geltenden Regelung darf einem hirntoten Menschen nur dann ein Spenderorgan entnommen werden, wenn er oder sie einen Organspendeausweis bei sich trägt oder die nächsten Angehörigen wissen oder vermuten, dass der oder die Hirntote einer Spende zugestimmt hätte.
Mit der doppelten Widerspruchslösung im Spahn-Entwurf würde diese bisherige Regelung umgedreht: Nur ein Widerspruch würde im Fall des festgestellten Hirntodes die Ärzte davon abhalten, Spenderorgane zu entnehmen. Dazu soll ein „Widerspruchsregister“ erstellt werden, in dem man sich zu Lebzeiten registrieren lassen kann, wenn man die eigenen Organe nicht spenden will.
Gibt es keinen Eintrag, werden die nächsten Angehörigen gefragt, ob ihnen ein der Organentnahme „entgegenstehender Wille“ des Verstorbenen „bekannt“ sei oder ihnen schriftlich vorliege, heißt es im Gesetzentwurf. Dies bedeutet, dass es schon reicht, irgendwann mal den Angehörigen gegenüber geäußert zu haben, dass man nicht SpenderIn sein will oder einfach einen Zettel mit einer Ablehnung im Portemonnaie zu haben. Schon gilt man nicht mehr als mögliche SpenderIn, sofern die Angehörigen diese Information weitertragen.
Gespräch beim Hausarzt
Die alternative Lösung ist der Entwurf einer Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die Linke-Vorsitzende Katja Kipping. Sie lehnen die Widerspruchslösung ab und schlagen stattdessen eine „Entscheidungslösung“ vor. Dabei sollen die BürgerInnen regelmäßig, etwa von ihren Hausärzten oder wenn sie einen Ausweis beantragen, über die Organspende informiert und dazu ermuntert werden. Bei Behörden kann man sich als OrganspenderIn registrieren lassen.
Vor der Abstimmung geht der Blick ins Ausland, in die Länder, die bereits eine Widerspruchslösung haben, um deren Folgen abzuschätzen, falls sich der Spahn-Entwurf durchsetzt. In Österreich etwa gilt bereits seit vielen Jahren eine Widerspruchsregelung. Nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung aber haben ein „Nein“ im Widerspruchsregister festhalten lassen.
In der Praxis würden in Österreich im Falle des Hirntodes stets noch die Angehörigen nach einer ihnen bekannten Ablehnung der Organspende durch den Verstorbenen befragt, sagte der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, der taz. In etwa 20 Prozent der Fälle eines Hirntodes lehnten die Angehörigen in Österreich eine mögliche Organentnahme ab, so Rahmel. Dann kommt es auch zu keiner Organspende.
Mit 15 Prozent Widerspruch gerechnet
In den Niederlanden, wo in diesem Jahr eine Widerspruchsregelung in Kraft tritt und ein Register existiert, seien dort etwa 13 Prozent der Bevölkerung als Widersprechende eingetragen, berichtet Rahmel, der auch viele Jahre Medizinischer Direktor bei Eurotransplant war.
In Spanien, wo gleichfalls eine Widerspruchsregelung gilt, gibt es gar kein Widerspruchsregister, in das man sich zu Lebzeiten eintragen lassen kann. Dort äußern die Angehörigen bei der ärztlichen Befragung, ob ihnen die Ablehnung einer Spende durch den Verstorbenen bekannt sei. Die Ablehnungsquote in Spanien liege bei etwa 15 Prozent, berichtet Rahmel. Bei dem für Deutschland geplanten Entscheidungsregister geht Rahmel von einer Widerspruchsrate von etwa 15 Prozent aus.
Die hohen Spenderraten in den Ländern mit Widerspruchsregelungen hätten auch mit der Infrastruktur im dortigen Krankenhauswesen und der „Spendenkultur“ zu tun, erklärte Rahmel.
Denn Organspenden sind eine komplexe Angelegenheit. Spenden können in Deutschland nur Menschen, bei denen der Hirntod festgestellt wurde, aber das Kreislaufsystem noch aufrechterhalten werden kann. Dies ist ein sehr seltener Fall, nur circa ein Prozent der Verstorbenen wird überhaupt als hirntot diagnostiziert und kommt somit als SpenderIn infrage. Die Vorstellung, dass mit der Widerspruchslösung automatisch Zehntausende von Toten zu OrganspenderInnen würden, entspricht also nicht der medizinischen Realität.
Hirntod-Diagnostik ist aufwendig
Die Diagnostik des Hirntodes ist aufwendig, mehrere Ärzte sind daran beteiligt. Um mehr Krankenhäuser für die Organspende zu gewinnen und zu sensibilisieren, war es daher wichtig, dass die personellen und finanziellen Bedingungen der Transplantationsmedizin in den Krankenhäusern durch ein Gesetz im vergangenen Jahr verbessert wurden.
Dieses Gesetz zeigte auch schon Wirkung: 2019 hätten die Krankenhäuser erfreulicherweise mehr potenzielle OrganspenderInnen gemeldet als zuvor, hieß es bei der DSO. Werden Hirntote gemeldet, müssen aber erst noch Ärzte feststellen, ob der oder die Hirntote überhaupt über gesunde Organe verfügen, die transplantiert werden können.
Aufgrund der komplizierten medizinischen Anforderungen erwarten Experten keine explosionsartige Steigerung bei Transplantationen, sollte die Widerspruchslösung kommen. „Eine Widerspruchslösung kann nur ein Baustein sein für eine positive Entwicklung“, sagte Rahmel.9000 Schwerkranke in Deutschland warten derzeit auf ein Spenderorgan.
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