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Organspende im BundestagJeder entscheidet für sich

Bei der Abstimmung im Parlament über die Organspende konkurrieren zwei Gesetzentwürfe. Der Fraktionszwang ist aufgehoben.

Arzt mit dem anatomischen Modell eines Herzen: Viele Kranke warten jahrelang auf ein Spenderorgan Foto: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Berlin taz | Wenn es um Gewissensfragen geht, wird es im Bundestag spannend. Dann wird der Fraktionszwang aufgehoben, die Abgeordneten können unabhängig von der Parteilinie entscheiden. Dieses Vorgehen ist üblich, wenn es um heikle, ethische Themen geht, etwa 2011 um die Präimplantationsdiagnostik. Oder 2017, als der Bundestag die Ehe für alle beschloss.

Auch am Donnerstag steht eine Gewissensfrage auf der Tagesordnung: Wie hält es der Gesetzgeber mit der Organspende? Zwei Gesetzentwürfe konkurrieren miteinander. Eine Gruppe von Abgeordneten um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach wirbt für eine doppelte Widerspruchslösung. Jeder Bürger soll als möglicher Organspender gelten, der zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt hat.

Die Regelung habe in anderen Ländern die Haltung zur Organspende grundlegend verändert, schrieb Spahn in einem Brief an die Abgeordneten. „Eine Kultur der Organspende hat sich entwickelt.“ Das Ziel ist es, die Zahl der OrganspenderInnen zu erhöhen.

Eine zweite Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock plädiert für eine „informierte Entscheidungslösung“, die auf ausdrückliche Zustimmung setzt. Es gebe in der Bevölkerung eine „wahnsinnig hohe Zustimmung“ zur Organspende, sagte Baerbock am Montag. Über 80 Prozent der Menschen wollten Organspender sein, aber längst nicht alle hätten einen Organspendeausweis. Ihr Vorschlag ziele darauf, Hürden abzusenken.

Namentliche Abstimmung

Den BürgerInnen soll über ein Online-Register die Möglichkeit gegeben werden, ihre Entscheidung einfach zu dokumentieren, zu ändern und zu widerrufen. Die Abgabe einer Erklärung zur Organspende soll auch in Ausweisstellen möglich sein. Außerdem steht ein Antrag der AfD-Fraktion zur Debatte. Die Abgeordneten möchten eine unabhängige, öffentlich-rechtliche Institution damit betrauen, Organe zu vermitteln.

Die Debatte ist auf zwei Stunden angesetzt. Es sind namentliche Abstimmungen geplant. Man kann also nachvollziehen, welcher und welche Abgeordnete wofür gestimmt hat. Das Prozedere funktioniert laut Bundestagspressestelle wie folgt: Ein Antrag ist angenommen, wenn er eine einfache Mehrheit erhält. Eine absolute Mehrheit, also über die Hälfte der Stimmen, ist nicht nötig. Bekommt ein Antrag eine einfache Mehrheit, entfallen weitere Abstimmungen. Als erstes wird der Antrag Spahn/Lauterbach abgestimmt, dann folgt der Antrag Baerbock, dann jener der AfD-Fraktion.

Die Situation ist offen: Die Zahl der bisherigen Unterstützer sei auf beiden Seiten etwa gleich, sagte Spahn dem Tagesspiegel. Rund 200 der 709 Abgeordneten waren laut Berichten unentschlossen.

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2 Kommentare

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  • Wenn ich das schon lese: "Der Fraktionszwang ist aufgehoben:" Zur Erinnerung: Artikel 38 GG "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." Was soll also die unkritische Übernahme solcher Floskeln, als wäre nicht der Fraktionszwang offensichtlicher Verfassungsbruch.

    • @Adam Weishaupt:

      Sie haben absolut recht, der korrekte Begriff lautet "Fraktionsdisziplin". Über den kann man ebenso streiten, er ist allerdings unproblematischer da er nicht offensichtlich rechtswidrig ist, sondern "lediglich" eine Form der politischen Kooperation - quasi ein innerparteilicher "Koalitionsvertrag" ist: In Fragen in denen keine grundsätzlichen Probleme vorliegen kooperiert man um gemeinsam in eine Richtung zu wirken die dem gemeinsamen Ziel dient.

      Ich für meinen Teil erkenne die Sinnigkeit der Fraktionsdisziplin für den politischen Alltag an, ich schätze die Abstimmungen in denen diese explizit aufgehoben wird aber sehr: Hier sieht man wie undogmatisch über politische Ausrichtungen hinweg miteinander gesprochen und gearbeitet wird. So mancher gesellschaftlicher Diskurs kann sich davon eine große Scheibe abschneiden