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Orbán wirbt für „illiberale Demokratie“Autoritäre Herrschaft verteidigen

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wirbt in einer Rede erneut für eine „illiberale Demokratie“. Das befeuert die Debatte in heimischen Medien.

„Wir haben die Kandidaten von George Soros blockiert“, brüstete sich Orbán in Rumänien Foto: dpa

Wien taz | Es gehe um „christliche Freiheit“. Noch Tage, nachdem Ungarns Premier Viktor Orbán am Wochenende in Rumänien seine Vorstellungen von einer „illiberalen Demokratie“ konkretisiert hat, kommentieren ungarische Medien und soziale Netzwerke seine Ansprache. Wie jeden Sommer seit 30 Jahren wandte sich Orbán im siebenbürgischen Băile Tușnad (Tusnádfürdő) an die HörerInnen der Freien Jugenduniversität seiner Partei Fidesz. Er nutzte diesen Auftritt, um die 30 Jahre nach dem Ende des Kommunismus Revue passieren und sich für die erfolgreiche Abwehr des Liberalismus feiern zu lassen.

Lange Zeit war gerätselt worden, was man sich unter „illiberaler Demokratie“ vorstellen müsse. Orbán hat den Begriff immer wieder ins Spiel gebracht, um sich von westlichen Demokratievorstellungen und vor allem von der EU-Politik abzugrenzen und seine zunehmend autoritäre Herrschaft zu verteidigen.

Der regierungsnahe Politologe Dániel Deák erklärt, der Begriff stehe „für den Vorrang der Gemeinschaft gegenüber dem Einzelnen“. Kollektive, einschließlich der Familie, die im Westen immer weiter geschwächt würden, müssen laut Deák geschützt werden. Interessant, dass Orbán Ursula Von der Leyen, die durch seine Intrigen in die Kommissionspräsidentschaft befördert wurde, zuvorderst als „Mutter von sieben Kindern“ und mit einem pragmatischen Zugang zur Politik als besonders geeignet erachtet. „Wir haben überall die Kandidaten von George Soros blockiert, überall“, brüstete sich Orbán.

Soros ist der in Ungarn geborene US-Milliardär, der liberale Stiftungen sponsert und einen finsteren Plan zur Überflutung Europas mit Migranten ausgeheckt haben soll. „Wir haben verhindert, dass ideologische Guerillas an der Spitze der europäischen Institutionen installiert werden.“ Die Rettung des christlichen Abendlandes spielt in Orbáns Reden eine zunehmende Rolle.

Reaktionen der Medien

„Ungarn ist ein heidnisches Land. Hier ist niemand religiös“, sagte die unlängst verstorbene ungarische Philosophin Ágnes Heller vergangenes Jahr in einem auf dem Onlineportal Krytyka Polityczna erschienenen Interview. „Das Christentum hat in Ungarn keine Bedeutung, es ist nur ein ideologisches rhetorisches Mittel.“

In der Onlineausgabe des Satiremagazins Magyar Narancs vergleicht ein anonymer Autor die Ansprache Orbáns mit der „verwirrten Rede“, die der damalige KP-Chef János Kádár bei seiner letzten Teilnahme an einer Sitzung des Zentralkomitees kurz vor seinem Tod – und dem Ende seines Regimes – 1989 gehalten habe.

Der liberale Kolumnist Péter Magyari vom Onlineportal 444 schreibt, Orbán erschaffe Schreckgespenster, um ihnen dann vorzuwerfen, sie würden die ungarische Nation wie auch die Christenheit angreifen. Magyari bezichtigt den Premier massiver Korruption sowie der Entwurzelung unabhängiger Institutionen. Der Premier wolle seine Machtpolitik als politische Vision verkaufen.

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7 Kommentare

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  • Ach, Mittel-/Osteuropa, deine Autokraten, Oligarchen. Wann findest du aus den Sümpfen des Vorvorgesterns heraus?

  • Liberale Demokratie kann es gar nicht geben, diese Wortwahl verstösst bereits gegen natürliche Denk- und Logikgesetze, ergo - Volksverdummung; da gehen gefährliche Ideologen auf Stimmenfang... brave new world.

    • 7G
      7363 (Profil gelöscht)
      @Gerhard Krause:

      Freiheit war und ist schon immer ein relativer Begriff gewesen der sich nur über viele Dimensionen betrachten lässt. Mit dieser Komplexität müssen wir uns logikmäßig schon auseinandersetzen, wenn wir es schon ganz rational und theoretisch halten wollen.

      Streng philosophisch gesehen ist es eben so. Des einen Freiheit kann des anderen Leid sein. Weiterhin: Demokratie und Freiheit bewegen sich sozialphilosophisch und existenziell in ganz verschiedenen Räumen. Man muss definieren und spezifizieren wie sie in der Realität ineinander verwoben werden sollen. Denn: Demokratie allein sagt über die darin erlebten Freiheiten streng genommen nichts aus. Auch wenn "wir" alle intuitiv und idealistisch denken zu wissen was wir dabei für erstrebenswert und wichtig halten u was für Freiheiten wir für damit einhergehend halten. Es ist nicht unbedingt so. Und das müssen sich alle "liberalen" Demokraten und Menschenfreunde vor Augen halten. Denn hier liegt die Gefahr für uns.

      So oder so: Die vermeinliche individuum vs kollektiv "Frage" welche Orban instrumentalisiert, ist falsch gestellt. In Wirklichkeit geht es doch hier um folgendes: Wer hat hier Macht über wen und was, und ist das für jedes Individuum ok oder gibt es Unterdrückung legitimer Bedürfnisse oder Selbstbestimmung. Das ist die Frage welche Demokratie immer wieder beantworten muss. Nicht abzuwägen wie sehr individuelle Freiheiten dem kollektiv was "nehmen", denn das ist Quatsch. Jedoch jedem Individuum einen gleichwertigen Anteil an Teilhabe am Kollektiv zu erlauben. Was man wiederrum idealerweise eben als Freiheit und nicht als Zwang oder Pflicht versteht und umsetzt.

      Das konkrete Problem um sich Orban gegenüberzustellen ist wohl, den Sozialliberalen und Sozialdemokraten fehlt die Narrative um genau das zu erklären ... ?

      • @7363 (Profil gelöscht):

        Das Ende habe ich nicht verstanden.

        Und zu den Ausführungen davor:

        Illiberale Demokratie = "Demokratie" ohne Gewaltenteilung.

        Illiberale Demokratie = Wahl, aber dann ALLE MACHT dem Gewählten.

        (Der dann die Strukturen so verändert, dass er seine Wiederwahl sicherstellen kann:

        U. a.



        Gleichschaltung der Medien,



        Kastration des Verfassungsgerichts,



        politische Wahl der Richter,



        Beschneidung der Möglichkeiten des Parlaments und seiner Kontrollkompetenzen,



        ...)

        Das Völkisch-Ideologische kommt hinzu. Die Unterordnung des Individuums unters völkisch verstandene Kollektiv, das der - gewählte! - Führer autoritär repräsentiert.

    • @Gerhard Krause:

      T9-Fehler, es muss natürlich am Satzanfang "Illiberale [...]" heissen.

      • @Gerhard Krause:

        Einerseits ja. Es ist sowas wie ein Oxymoron.

        Andererseits: Es gibt keinen Begriffs-Papst. Und die Wirklichkeit ist binär kaum zu erfassen.

        Einmal angenommen, Orban (oder Putin oder Erdogan oder die Strache/Hofer/Kickl oder Le Pen oder Salvini) definieren Demokratie als Wahl alle 4 Jahre, und dann kann der Gewinner alles, was politisch zugänglich ist, diktieren ... "Ich bin doch gewählt", sagt der Sieger dann und hat freie Hand.

        Das widerspricht dem Gebot der Gewaltenteilung, FÜR UNS der Kern der Demokratie.

        Aber nicht für die oben genannten Diktatoren bzw. Möchtegerndiktatoren.

        Und nicht für einen erheblichen Teil der Bürger. Denen reicht es, dass gewählt wird. Im übrigen soll der siegreiche Führer alle Macht haben, für sein Volk Gutes zu tun.

        Das sind dann (angeblich) einfache, klare, effiziente Verhältnisse - Demokratie, wie sie das Volk ersehnt.

        = Illiberale Demokratie.

        • @Leo Brux:

          Der Kern ist, dass es noch immer einen Maßstab für Reich und Arm gibt und die Gesellschaft daran erzogen wird. Das sage ich Ihnen nur einmal aus wirtschaftspolitischer Sicht.