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Milliardär George SorosOrbáns Feindbild

Er ist für Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán seit Jahren die Zielscheibe politischer Angriffe: George Soros. Seit Orbáns Wiederwahl eskaliert die Situation.

Der eine will eine offene Gesellschaft, der andere mehr Nationalstaat: George Soros (links) und Viktor Orbán. Foto: dpa

Es wirkt wie ein Rachefeldzug, der politische Gegner einschüchtern soll. Wenige Tage nach der Wiederwahl des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán veröffentlicht das regierungsnahe Wochenmagazin Figyelö am Donnerstag eine Liste mit 200 Namen. Weiße Schrift auf schwarzem Grund, in der Mitte: das Gesicht von George Soros.

Martialisch wirken die Seiten, auf der Journalisten, Wissenschaftler, Akademiker, Politiker, Menschenrechtsaktivisten genannt werden. Es handle sich um einen Teil jener 2.000 „Söldner“, die in Ungarn „für George Soros oder die von ihm bezahlten Organisationen arbeiten“, schreibt das Magazin. Tatsächlich hatte Orbán schon im Vorfeld der Wahl davon gesprochen, eine solche Liste zu führen.

Immer wieder arbeiten sich Viktor Orbán und seine Getreuen an Soros ab. Unzählige Artikel, die vor Hass gegen den US-amerikanischen Milliardär und Börsenspekulanten nur so triefen. Er gilt als Buhmann vieler osteuropäischer Nationalisten, wird von ihnen als Geizkragen beschrieben, der nicht sein eigenes Geld rausrücke, wenn es darum gehe, „gewisse neomarxistische Kampagnen“ zu finanzieren, sondern amerikanische Steuergelder verpulvere.

Der 1930 in Budapest geborene George Soros und Holocaust-Überlebende geriet bereits kurz nach 1989 ins Visier rechtsnationalistischer Gruppierungen, die das vom untergegangenen Kommunismus hinterlassene ideologische Vakuum mit ihrer völkischen Doktrin zu füllen versuchten. Soros hatte schon vor dem Zerfall des Ostblocks oppositionelle Gruppen in der Tschechoslowakei, der Sowjetunion, Polen und insbesondere in seiner früheren Heimat Ungarn unterstützt.

In den ehemaligen kommunistischen Staaten gründete er Filialen seiner Open-Society-Stiftung und finanzierte 1991 die in Budapest gegründete Central European University (CEU). Diese Institutionen sollten liberale Konzepte verbreiten und verankern und als Grundstein für eine angestrebte „offene Gesellschaft“ dienen. Zwei Milliarden US-Dollar soll Soros dafür ausgegeben haben.

Auch Orban profitierte als Student

Von seinen großzügigen Unterstützungsaktionen profitierten zudem Tausende begabter Studenten aus Osteuropa, die mit Stipendien im Ausland studieren konnten. Einer davon war auch Viktor Orbán, der dank Soros einen Stipendienaufenthalt in Oxford erhielt. Ob der heutige Vorsitzende der rechtsnationalen Partei Fidesz und ungarische Ministerpräsident bereits als Soros-Stipendiat seinem Geldgeber kritisch gegenüberstand, weiß nur er selbst.

Fakt ist, dass Orbán heute im Gegensatz zu der von Soros angestrebten „offenen Gesellschaft“ für ein illiberales Gesellschaftsmodell steht und keinen Hehl daraus macht, dass ihm die Central European University in Budapest ein Dorn im Auge ist und deshalb aus Ungarn verbannt werden soll.

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Um seine zunehmend autoritär und völkisch anmutenden Vorstellungen durchzusetzen, bediente sich Orbán populistischer Propagandamethoden und baute Soros zu einem auch mit antisemitischen Attributen ausgestatteten Feindbild auf.

Auf eine ähnliche Art entwickelten nationalistische Parteien, Politiker und Publikationen auch in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks Soros zur Zielscheibe ihrer ideologischen und politischen Angriffe.

In verschwörungstheoretisch angehauchten Diffamierungskampagnen wurde Soros als Strippenzieher der Globalisierung angeprangert, der mit raffiniert ausgeklügelten Methoden die Souveränität der europäischen Nationalstaaten unterwandere, um die von Juden, Freimaurern und Kommunisten angestrebte Weltherrschaft zu errichten.

Um dieses Ziel zu erreichen, unterstütze er Projekte, die angeblich der Emanzipation und Gleichstellung ethnischer und sexueller Minderheiten dienen, heißt es in einschlägigen Publikationen. Soros ziele auf eine „Umvolkung“ der EU-Länder ab und stütze sich dabei auf hochrangige Komplizen aus der politischen EU-Elite.

Apokalyptische Szenarien

Bezeichnenderweise hätten Angela Merkel, der französische Präsident Emmanuel Macron, der Vorsitzende der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, und weitere „perfekte Roboter der Globalisierung“ keine Kinder und stünden deshalb der Zukunft der Menschheit gleichgültig gegenüber. Den als Komplizen von Soros dargestellten Politikern wird unterstellt, eine hinterhältige demografische Unterwanderungspolitik zu begünstigen, um letztendlich eine totalitäre, jüdisch dominierte Weltordnung zu errichten. Der wichtigste Strippenzieher in diesem apokalyptischen Szenario: George Soros.

Er wurde nicht zufällig auch als der Drahtzieher der Kundgebungen verteufelt, die in den letzten Jahren in zahlreichen osteuropäischen Ländern stattfanden. Die Demos richteten sich gegen Korruption, Vetternwirtschaft und die von lokalen Oligarchen dominierten Volkswirtschaften.

Als Anfang 2017 Zehntausende in Bukarest für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit auf die Straßen gingen, hieß es in Anlehnung an das klassische antisemitische Stereotyp vom „ewigen Juden“, dahinter stünde der „ewige Sponsor“: George Soros.

Um die antinationalen „Umtriebe“ der von Soros unterstützten NGOs zu blockieren, hatte Expremier Nikola Gruewski in Mazedonien die Operation „Stoppt Soros“ initiiert und sich die „Entsoroisierung“ seines Landes auf die Fahnen geschrieben. Auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erblickt in Soros einen Gegner, was zu einem Schulterschluss mit seinem ungarischen Amtskollegen Orbán geführt hatte. Diese unheilige Allianz scheint bestens zu funktionieren, obwohl einige Orbán für einen verkappten Antisemiten halten, andere wiederum bloß für einen völkischen Populisten.

Als Zeichen der Solidarität und Dankbarkeit für sein Engagement beim Aufbau freiheitlicher Strukturen und einer demokratischen Zivilgesellschaft in Osteuropa wird George Soros Anfang Mai mit dem Preis der Bukarester Neuen Zeitschrift für Menschenrechte ausgezeichnet. Mit der Verleihung des Preises soll auch auf die von Viktor Orbán beabsichtigte Schließung der Central European University in Budapest aufmerksam gemacht werden.

Ressentimentgeladene Attacken

In der Laudatio, die bei dieser Gelegenheit auf Soros gehalten wird, wird dieser als „Wohltäter“ und „streitbarer Menschenrechtler“ beschrieben. „Wir“, heißt es in der Laudatio, „erblicken in ihm einen Befürworter der Übereinstimmung der Prinzipien menschlicher Würde und Freiheit.“

Soros selbst hat sich nur selten zu den systematischen Anfeindungen, Diskreditierungskampagnen und unhaltbaren Vorwürfen öffentlich geäußert. Vor allem die ressentimentgeladenen Attacken aus seinem Geburtsland, das er 1947 verlassen hatte, scheinen ihn getroffen zu haben.

In einer Stellungnahme, die Ende des vergangenen Jahres die österreichische Tageszeitung Standard veröffentlichte, widersetzte er sich den aggressiven Angriffen der ungarischen Regierung, die insinuierte, er habe einen Plan, „Europa und insbesondere Ungarn mit muslimischen Migranten und Flüchtlingen zu überschwemmen“. „Das eigentliche Ziel der Propagandakampagne der Regierung“, schrieb er, „ist es, Angst und Hass in der ungarischen Bevölkerung zu schüren und sie dem Leiden anderer gegenüber gleichgültig werden zu lassen.“

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6 Kommentare

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  • Orban und Soros.

    Zwei erzkapitalistische Gegner des sozialistischen Ungarn.

    1989 war ein Fehler.

  • Das Kommentar zeigt falsche Fronten auf. Soros ist für offene und liberale Gesellschaft aber nur so lange damit eine neoliberale Gesellschaft realisiert wird.

  • "Aufbau freiheitlicher Strukturen und einer demokratischen Zivilgesellschaft in Osteuropa"? Auf ganzer Linie gescheitert.

    Wie lange werden wir mit diesen Ländern in einem Staatenbund bleiben?

    • @Flipper:

      Naive Frage. Solange es uns nützt.

    • @Flipper:

      Sie haben wohl vergessen, wie lange sich diese Republik der Dienste der Ex-Nazis bedient hatte. Und was die Zivilgesellschaft betrifft - reden Sie mal was über Dutschke. Der Anlass its da.

  • Dieser Konflikt ist letztlich ein apolitischer kulturalistischer Schaukampf. Keine reale Macht- oder Systemfrage wird hier gestellt, sondern allenfalls der Richtungsstreit zwischen neoliberaler Orthodoxie und neokonservativem Macchiavellismus ausgetragen. Es geht um die Frage, ob die Oligarchie im Rahmen des ideologisch einwandfreien Nominalliberalismus herrscht oder sich auf identitäre bzw primordiale Affekte zurückgreifen darf.