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Opposition gegen InfektionsschutzgesetzKaum Zustimmung für Ausgangssperre

Die Opposition übt scharfe Kritik an der geplanten Corona-Notbremse. Für Freitag ist die erste Lesung im Bundestag geplant.

Unzufrieden mit der geplanten Gesetzesänderung: Linken-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Die Opposition im Bundestag äußert heftige Kritik an der von der Bundesregierung geplanten Verschärfung des Infek­tions­schutz­gesetzes – allerdings mit unterschiedlichen Stoßrichtungen. Die FDP lehnt die Gesetzesänderung kategorisch ab und warnt vor einer Klagewelle beim Bundesverfassungsgericht. „Wir werden erleben, wie eine Flut von Verfassungsbeschwerden über Karlsruhe hereinbrechen wird“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann am Mittwoch. Diese hätten „ganz beachtliche Erfolgsaussichten“.

Zugleich kündigte Buschmann an, die FDP werde geschlossen dagegen stimmen, „wenn das Gesetz sich nicht substanziell ändert“ – was momentan nicht erkennbar sei. Besonders kritisch sieht Buschmann die im neuen Paragrafen 28b des Gesetzes enthaltenen Ausgangsbeschränkungen von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens, die bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner automatisch kommen sollen. Dies sei eine schwere Grundrechts­ein­schränkung. Buschmann sprach von einer „grobschlächtigen Methode“.

Das Argument, man brauche diese Beschränkungen, um die Menschen von unzulässigen Kontakten abzuhalten, sei von Gerichten bereits als zu schwach verworfen worden. Die „extreme Machtballung“, die das Gesetz bislang den Ländern gegeben habe, werde nun in eine einzige Hand gelegt, die der Bundesregierung, kritisierte Buschmann. Es gebe keine Notwendigkeit für eine Gesetzesänderung. „Alles, was zur Pandemiebekämpfung tauglich ist, auch in den Augen von Gerichten, ist heute schon für die Länder möglich.“

Auch die Linkspartei, die eigentlich einen knackigen Lockdown gegen die dritte Welle per Bundesgesetz fordert, kritisiert die geplante Bundesnotbremse scharf. „Wir werden diesem Entwurf nicht zustimmen“, sagte Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali der taz. „Ausgangssperren lehnen wir ab“, so Mohamed Ali. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen ein wirksames Mittel seien, um die Pandemie zu bekämpfen, gleichwohl stellten sie einen extrem großen Eingriff in die Grundrechte dar.

Auch die Grünen üben Kritik

Die Linke fordert stattdessen, dass Unternehmen, wo es möglich ist ihre Beschäftigten ins Homeoffice entlassen und ansonsten verpflichtet werden, die MitarbeiterInnen täglich zu testen. Bei den Schulen gehe die Testpflicht nicht weit genug, so Mohamed Ali. „Besser wäre es täglich zu testen, statt nur zweimal pro Woche.“

Außerdem kann die Bundesregierung weitere Vorschriften per Rechtsverordnung erlassen, für Fälle, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz den Schwellenwert von 100 überschreitet. Die Zustimmung des Bundestags gilt, laut Gesetzentwurf, als erteilt, wenn er nicht binnen sieben Tagen widerspricht.

„Das ist ein Persilschein für die Bundesregierung, um in Grundrechte einzugreifen, und den können wir nicht akzeptieren“, sagte Mohamed Ali. Ja, es müssten dringend Maßnahmen her, um die Pandemie zu bekämpfen, aber eben die richtigen. „Ich erwarte kaum nennenswerte Verbesserungen durch das Gesetz“, betonte Mohamed Ali.

Auch die Grünen fordern weitergehende Regelungen, zum Beispiel einen stärkeren Fokus auf die Arbeitswelt durch eine Home­office-Pflicht. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte der taz, was beim Infek­tions­schutzgesetz auf dem Tisch liege, könne „nur ein erster ­Notbehelf“ sein. „Die Infektionszahlen gehen durch die Decke. Es kommt aufs Tempo an, aber die Maßnahmen müssen auch greifen.“ Man müsse wieder viel weniger Neuinfektionen bekommen, betonte Göring-Eckardt. „Dafür müssen gerade auch die Kontakte in der Arbeitswelt viel weiter runtergefahren werden und Coronatests dort, wo das nicht geht, auch verpflichtend durchgeführt werden.“

Die erste Lesung soll am Freitag im Bundestag stattfinden. Die zweite und dritte Lesung – und damit die endgültige Beschlussfassung – steht laut Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann am kommenden Mittwoch an. Es werde aber noch deutlich länger als acht Tage dauern, bis die Änderungen wirksam würden.

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13 Kommentare

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  • Wie kürzlich führende Aerosol-Forscher wieder betont haben, ist das Risiko im Freien vernachlässigbar. Es bringt also nichts, den Leuten das Rausgehen zu verbieten. Diese Freiheit einzuschränken ist wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen.

    Es braucht vielmehr eine EINGANGSSPERRE, weil die Übertragungen DRINNEN stattfindet. Das Betreten von Innenräumen (abgesehen von der eigenen Wohnung) muss auf absehbare Zeit die absolute Ausnahme bleiben. Welche Ausnahmen für wen gemacht werden, das sollte die zentrale Diskussion sein.

    Im Freien sind allenfalls Abstandsgebote sinnvoll. Berühren sollten sich die Menschen im Freien natürlich keinesfalls. Verbote von Mannschaftssport und ähnliches sind also weiterhin sinnvoll.

  • Diese Diskussion erinnert mich ein wenig an die über den Sinn und Unsinn von Folter nach dem 11.9., ohne dass ich das gleichsetzen möchte natürlich.

    Nein, mir ist völlig egal, ob das was bringt oder nicht. Es gibt gewisse Grenzen, die der Staat nicht überschreiten darf, und zwar selbst dann, wenn es effektiv was bringt.

    Und das Einsperren von unschuldigen Menschen; sie unter Hausarrest zu stellen wie Kriminelle, gehört dazu. Diese Frage ist für mich essentiell. Es ist ein Tabu-Bruch und jede Partei, die das befürwortet, hat das Privileg, von mir gewählt zu werden, für immer verspielt.

  • Die wesentliche Lehre für viele Laien aus der Pandemie dürfte sein, dass Vorhersagen zu Verläufen einer Pandemie möglich sind mit wissenschaftlichen Methoden und mathematischer Präzision, was das für eine Gesellschaft bedeutet und welche Massnahmen dann möglicherweise folgen. Im Fokus des Spotlight standen primär die Virologie, Epidemiologie & die wissenschaftliche Medizin. In zweiter Linie, nicht minder bedeutsam und mit etwas längerem Anlauf, kamen die soziologischen, pädagogischen und psychologischen Expertisen in den Kanon der Fachdisziplinen, die vom Radar der Aufmerksamkeitsökonomie erfasst wurden. Was latent virulent als konstitutiver Faktor für Rahmensetzungen und Machbarkeitsanslysen medial im Dunkelfeld oder Zwielicht blieb: Die RECHTSWISSENSCHAFTEN, traditionell eine Königsdisziplin einer hochdifferenzierten, demokratisch verfassten Gesellschaft. Die Stunde von Judikative und Jurisprudenz schlägt mit den Bemühungen zur beargwöhnten Zentralisierung der legislativen Macht und der administrativ beliebäugten Option einer bundesweiten Steuerung mit einschneidenden Eingriffen in Grundrechte. Durch die prinzipielle Möglichkeit und obligate Praxis der unabhängigen rechtlichen Überprüfung der Legislative und Exekutive durch PROFIS fühle ich mich eher im abgesicherten Modus als durch einen zentralistischen Paternalismus. Wer hätte das gedacht: Es könnte ein demokratischer Liberalismus reüssieren, mit gerichtlichem Rückenwind u.a. aus KARLSRUHE bei etwaigem illiberalen Framing made in Berlin.

  • Ich stimme der Linken hier zu und bin positiv überrascht.

  • Was will der Bund eigentlich machen, wenn diese Ausgangssperren gar nichts bringen?



    Supermärkte schließen, Behörden schließen, den ÖPNV einstellen?



    Man wird doch erwachsenen Menschen in einem Rechtsstaat nicht verbieten können, sich nachts allein draußen zu bewegen. Was bitte soll sowas denn mit „Infektionsschutz“ zu tun haben?

    • @Rainer B.:

      "...sich nachts allein draußen zu bewegen..."



      Tja, es bewegen sich eben nicht alle, die nachts draußen sind, allein. Es gibt auch welche, die Coronaparties feiern.

      • @sollndas:

        Mag ja alles sein, aber dagegen helfen dann auch keine Ausgangssperren mehr. Das ist doch ohnehin längst in den Kontaktbeschränkungen klar geregelt worden.

    • @Rainer B.:

      Hier nebenan im Stadtkreis gilt seit 4 Wochen abendliche Ausgangssperre, da Inzidenz über 200. Und seitdem schwankt die Inzidenz immer so zwischen 260 und 230. Da geht nichts zurück, die kommen nicht mal unter 200. Und das kann man auch in bundesweit in anderen Kreisen beobachten.



      Mehr Beweis wie unsinnig und nutzlos dieser gravierende Grundrechtseingriff ist, brauche ich nicht.



      Und Nein, einzelne Ausreißer mit sinkenden Zahlen werden ich nicht überzeugen. Es ist sehr stark anzunehmen daß dies dann andere Ursachen hatte.

      • @Bouncereset:

        "Da geht nichts zurück...unsinnig und nutzlos..."



        Oh edle Einfalt und stille Größe... Vielleicht hilft die Sperre, dass die Zahlen nicht noch weiter steigen????

        • @sollndas:

          „Vielleicht hilft die Sperre“ ist einfach gar kein hinreichendes Argument für so eine Grundrechtseinschränkung.

          • @Rainer B.:

            "...für so eine Grundrechtseinschränkung."



            Ach Gottchen. Geht's nicht eine Nummer kleiner?



            Ich sehe eine Gefahr für meine Grundrechte eher in dem schleichenden Zwang zu Schnüffelphones und dubiosen Apps. Ausgangssperren enden irgendwann, Schnüffelphones bleiben.

            • @sollndas:

              Sie haben ein seltsames Rechtsverständnis. Ausgangssperren sind massive Freiheitseinschränkungen und keinesfalls mit Datenschutz oder ähnlichem vergleichbar.

            • @sollndas:

              „Schnüffelphones und dubiose Apps“ sind an dieser Stelle doch gar nicht das Thema. Sehr viele Leute haben sich an sowas gewöhnt, was dadurch dann natürlich immer neue Begehrlichkeiten in puncto Schnüffelei geweckt hat. Ich hab bis heute keins und ich brauch auch keins.