Oper „Sancta“ von Florentina Holzinger: Jesus, die sind nackt!
In der Debatte um Florentina Holzingers Oper „Sancta“ werden Nacktheit und sexuelle Handlungen unter Frauen als „schockierend“ geframed – der Inhalt rückt zur Seite.
Sex, Schock, Skandal! Viel mehr braucht es kaum, um Aufmerksamkeit zu generieren. Fügt man noch die Worte „nackt“ und „Jesus“ hinzu, bedarf es auch fast schon keiner Bebilderung mehr, um den der Gesellschaft inhärenten Voyeurismus zu bedienen.
Als „Sex-“ und „Skandal-Oper“ betitelte die Bild-Zeitung das neue Werk der österreichischen Performancekünstlerin Florentina Holzinger „Sancta“ nach der Premiere in der Staatsoper Stuttgart. Grund für den „Skandal“: 18 Zuschauende, verließen während der ersten beiden Aufführen wegen Unwohlsein den Saal. Wer Holzingers Arbeit kennt, weiß um Kunstblut und Freizügigkeit, die zum Repertoire ihrer Inszenierungen gehören.
Für ihre jetzige Darbietung verbindet sie Paul Hindemiths Operneinakter „Sancta Susanna“ mit Elementen der katholischen Liturgie „zu einer radikalen Vision der heiligen Messe“, wie es im Programmtext heißt. Auch vor expliziten Darstellungen, Nacktheit, Nadeln und Verwendung von (Kunst-)Blut wird gewarnt, die Altersfreigabe ist ab 18 Jahren.
In Wien und Schwerin, wo die Oper zuvor aufgeführt wurde, blieben pikierte Reaktionen aus. Doch für einige im Stuttgarter Opernpublikum sei sie wohl eine „Häretikerin“, kommentiert Holzinger im Interview Nachrichten, die sie im Anschluss erhielt. Eine Bezeichnung, gegen die sie so nichts habe, ebenso wenig wie gegen die Prophezeiung „Gott werde dich richten“.
Üble Nachrede an das Ensemble
Übel aber seien Nachrichten, die sie und ihr durchweg weibliches Ensemble erhalten hätten, in denen sie als Schlampe bezeichnet und ihnen Vergewaltigung gewünscht würden.
Eine Person schrieb laut Holzinger: „Ich weiß, wo du wohnst, du wirst es noch bereuen.“ Grund genug für die Stuttgarter Staatsoper bei künftigen Vorstellungen nun Sicherheitspersonal zu stellen.
Die krassen Reaktionen allein auf die Berichterstattung von Boulevardmedien zu schieben, wäre allerdings zu einfach. Doch trägt die undifferenzierte Darstellung, die sich vor allem auf die Nacktheit der Performerinnen kapriziert dazu bei, dass ein misogynes Frauenbild aufrecht erhalten wird. Nacktheit und sexuelle Handlungen unter Frauen werden als „skandalös“ und „schockierend“ geframed, die inhaltliche Auseinandersetzung rückt so in den Hintergrund.
„Sancta Susanna“ und die sexuelle Selbstbestimmung
Um sexuelle Selbstbestimmung und die brutale Verfolgung einer Nonne durch die katholische Kirche drehte sich schon Paul Hindemiths Einakter aus dem Jahr 1921.
Fun fact: Auch „Sancta Susanna“ sollte an der Staatsoper in Stuttgart laufen, was wegen des Vorwurfes der Gotteslästerung verhindert wurde. Heute sollten wir eigentlich weiter sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung