Online-Shitstorm bei Olympia: Ignorant und hysterisch

In der deutschen Twitter-Sphäre gibt es einen seltsam-dämlichen Shitstorm über Chinas „Big Air“-Schanze. Dabei zeigt sie ökologischen Fortschritt.

Freestyle Skifahrerin Eileen Gu bei einem Sprung.

Eileen Gu bei einem Sprung auf der „Big Air“-Anlage Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Es gibt unzählige Gründe, die Olympischen Winterspiele in Peking zu kritisieren. Über die meisten von ihnen wird in der taz auch regelmäßig berichtet.

Doch in der deutschen Twitter-Sphäre hat sich dieser Tage ein seltsam-dämlicher Shitstorm zusammengebraut, der an Ignoranz kaum zu überbieten ist. Unzählige Journalisten und selbsternannte Experten posten derzeit zu Tausenden ein Bild, das der Live-Berichterstattung des österreichischen Rundfunks ORF entnommen ist. Es ist eine Luftaufnahme der „Big Air“-Schanze im Westen der chinesischen Hauptstadt, die inmitten einer düsteren Industrieanlage neben drei riesigen Kühltürmen steht.

Sämtliche Postings sind mit hämischen Kommentaren versehen. „Ehrlich, was machen wir eigentlich hier?“ lautet der am meisten geteilte Kommentar. Andere Nutzer vermuten gar – hoffentlich im Scherz –, dass hier neben der olympischen Stätte ein politisches Umerziehungslager für Uiguren angesiedelt sein könnte.

Mich persönlich regt diese hysterische Debatte auf. Denn sie legt offen, wie ignorant und vorschnell urteilend wir oft von Deutschland auf China blicken. Bei näherer Betrachtung wird deutlich: Die „Big Air“-Anlage, auf der Chinas Shooting-Star im Freestyle-Skilaufen Eileen Gu mit einem spektakulären „Double Cork 1620 Safety“ ihre erste Goldmedaille errungen hat, ist ein geradezu vorbildliches Beispiel dafür, wie Peking sein Umweltproblem in den letzten Jahren in den Griff bekommen hat.

Von Schornsteinen zum Kulturpark

Denn noch vor wenigen Jahren war das Areal die größte Industrieanlage innerhalb der chinesischen Hauptstadt. Dort hat der Staatskonzern Shougang ein Stahlwerk betrieben, Hochöfen haben dort seit einem halben Jahrhundert unermüdlich den Pekinger Himmel verschmutzt. Erst im Zuge der Olympischen Sommerspiele 2008 hat Pekings Stadtregierung schließlich entschieden, sämtliche Schwerindustrie aus dem Stadtgebiet zu verbannen – und das Areal stillgelegt.

Doch statt die historische Anlage abzureißen, wie man es wahrscheinlich in den 1990er Jahren noch gemacht hätte, entschlossen sich die Stadtplaner, sie zu revitalisieren. Wer das Gebiet besucht, findet längst einen Kulturpark mit Museen, hippen Cafés und hochmodernen Tech-Start-ups vor. Wo früher Schornsteine die Luft verpesteten, fahren mittlerweile selbstfahrende Taxis umher und Senioren lassen ihre Drachen fliegen. Welchen besseren Ort gibt es, um eine olympische Anlage zu errichten, als diesen?

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Seit 2019 China-Korrespondent mit Sitz in Peking. Arbeitete zuvor fünf Jahre lang als freier Journalist für deutschsprachige Medien in Seoul, Südkorea. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.

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