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Olaf Scholz trifft Joe BidenErzwungene Einigkeit in Washington

Der US-Präsident und der Bundeskanzler demonstrieren ihre Einigkeit. Doch gerade in Fragen der Ukrainekrise und Nord Stream 2 gibt es Reibereien.

Vertrauenszusicherungen, aber auch Zweifel: Olaf Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Washington Foto: Alex Brandon/ap

Washington taz | Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden präsentierten beim Antrittsbesuch des neuen deutschen Regierungschefs in Washington eine geschlossene Front. Doch trotz der gegenseitigen Vertrauenszusicherungen bleiben weiterhin Zweifel, ob diese Einigkeit auch im Ernstfall bestehen würde.

„Deutschland ist absolut zuverlässig“, erwiderte Biden am Montag auf die Frage, ob Deutschland ein zuverlässiger Partner sei. „Ich habe keine Bedenken in Bezug auf Deutschland“. Die Frage nach der deutschen Zuverlässigkeit selbst zeigt allerdings, dass es auf amerikanischer Seite in der Vergangenheit durchaus Vorbehalte gegeben hat – und diese weiter bestehen.

Aus dem US-Kongress waren in den vergangenen Wochen immer wieder Stimmen zu hören, die das Vorgehen der deutschen Regierung im Ukrainekonflikt kritisiert haben. Zu den größten Kritikpunkten gehörten die Verweigerung von Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung an Kiew und das Nord Stream 2-Gaspipeline-Projekt.

Während einer gemeinsamen Pressekonferenz im Weißen Haus versuchten Biden und Scholz ihr Bestes, um jegliche Art von Differenzen zwischen den Nato-Partnern im Keim zu ersticken. Der US-Präsident erklärte, dass es keinen wichtigen globalen Sachverhalt gäbe, bei dem Berlin und Washington nicht zusammenarbeiten würden. Auch bei der Ukrainekrise sei das so.

„Wir arbeiten im Gleichschritt, um weitere russische Aggressionen in Europa zu verhindern“, sagte Biden noch vor dem Beginn seines bilateralen Gesprächs mit Scholz im Oval Office.

Machtwort gegen Nord Stream 2

Wenn man die bisherige Vorgehensweise der beiden Regierungen jedoch miteinander vergleicht, dann kommen Zweifel an dieser Aussage auf. Zwar gibt es auf beiden Seiten des Atlantiks gute Gründe für die jeweils unterschiedliche Herangehensweise, doch diese können nicht wegdiskutiert werden. Biden sorgte erst im vergangenen Monat für einen Eklat, als er von kleinen und großen Invasionen sprach und damit die unterschiedlichen Positionen zur Krise innerhalb der Nato preisgab.

Die neue deutsche Bundesregierung hat für viele Beobachter in den USA zu lange gewartet, um Nord Stream 2 als Druckmittel gegen Russland und Präsident Wladimir Putin einzusetzen. Nun war es der US-Präsident selbst, der zur umstrittenen Pipeline ein Machtwort sprach.

„Sollte Russland eine Invasion starten, das heißt, erneut mit Panzern oder Truppen die Grenze der Ukraine überschreiten, dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Dafür werden wir sorgen“, sagte Biden.

Scholz versicherte derweil, dass es zu keinen Maßnahmen kommen werde, in denen Deutschland und die USA nicht einer Meinung seien. Konkret zur Zukunft der Ostsee-Pipeline wollte sich der SPD-Kanzler allerdings nicht äußern. Auf die Frage eines US-Journalisten, wie Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Erdgas reduzieren wolle, antwortete Scholz mit einem Verweis auf die anhaltende Energiewende.

Einig sind sich die beiden Regierungen hingegen darin, dass Diplomatie weiterhin der beste Weg sei, um einen potenziellen Konflikt in der Ukraine abzuwenden. „Diese Doppelstrategie aus klaren Ankündigungen im Hinblick auf Sanktionen, die ergriffen werden, falls es zu einer militärischen Aggression kommt und gleichzeitig allen Gesprächsformaten, die wir nutzen, ist die vielversprechendste, die man in dieser Situation überhaupt ergreifen kann. Das tun wir gemeinsam und da stehen wir fest zusammen“, sagte Scholz.

Planen für den Fall der Fälle

Russland werde „einen hohen Preis zahlen“, sollte es Moskau wagen, eine militärische Offensive gegen die Ukraine zu starten, so Scholz. Trotz der mehr als 120.000 russischen Truppen, die sich entlang der russisch-ukrainischen Grenze befinden sollen, glaubt Biden noch immer an einen friedlichen Weg aus der Krise. Doch auch für den Fall der Fälle wird geplant.

Neben der alles überschattenden Ukrainekrise haben sich Biden und Scholz laut dem Weißen Haus auch über China, die Klimakrise, die Coronapandemie und die diesjährige G7-Präsidentschaft Deutschlands unterhalten.

Wie sich die deutsch-amerikanische Beziehung in Zukunft weiter entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab. Doch das erste Treffen zwischen Biden und Scholz darf als guter Start bewertet werden. An den Zweifeln, die auf beiden Seiten des Atlantiks existieren, konnte auch das Bekenntnis zur transatlantischen Beziehung nichts ändern. Es müssen Taten folgen.

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9 Kommentare

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  • Entscheidend ist es, die Gasimporte zu reduzieren, damit Putin weniger Exporterlöse erhält. Aus Klimaschutzgründen steht das ohnehin an.

    Bei einer gegebenen Gasimportmenge, die niedriger ist als die Kapazität eines der Systeme NS1 oder NS2, ist es allerdings sinnvoll, diese auf beide Systeme zu verteilen, also auf alle vier Röhren. Damit kann das Gas mit weniger Druck in die Leitungen gepresst werden, dies reduziert die Leitungsverluste und damit die CO2-Emissionen infolge des Betriebs der Leitungen.

    Außerdem hat Schröder ja für Garantien für NS2 gesorgt, schon deswegen könnte es besser sein, beide Pipeline-Systeme mit je (maximal) halber Kraft zu betreiben als NS1 mit voller und NS2 gar nicht.

    Im Vergleich zur gesamten Gasmenge ist das natürlich Peanuts und erst recht im Vergleich zu den Folgen einer russischen Aggression. Es handelt um Differenzierungen, die im allgemeinen Diskurs sicherlich zu kurz kommen, deshalb sollten aber keine zu pauschalen Forderungen und Zusagen wie "kein NS2" erhoben werden.

  • Ein schwarzer Tag für Deutschland und Europa. Es geht nicht speziell um Russland, die Ukraine oder die Pipeline, sondern um folgende allgemeine Erkenntnis: Wenn es hart auf hart kommt, haben in Deutschland und in Europa immer noch die Amerikaner das Sagen. Der subalterne Status des Bundeskanzlers gegenüber dem US-Präsidenten wurde selten sichtbarer als auf dieser Pressekonferenz von Biden und Scholz. Ich empfand das als eine demütigende Vorführung. Auf keinen Fall war das ein Treffen auf Augenhöhe und auf keinen Fall kommt Scholz mit erhobenem Haupt aus Washington zurück. Der Bundeskanzler ist auf der Weltbühne zurecht gestutzt worden. Scholz kam nach Washington wie ein aufmüpfiger Bengel, dem mal die Leviten gelesen werden mussten und der sich nach erfolgter Standpauke hinter verschlossenen Türen wieder brav und einsichtig zeigte.

    Es wäre klüger gewesen, wenn Scholz sich vorher mit Putin getroffen und beide öffentlich eine Erklärung zur Wahrung der territorialen Integrität der Ukraine abgegeben hätten. Damit hätte man das ganze US-amerikanische Säbelrasseln ins Leere laufen lassen. Gleichzeitig hätte man gezeigt, dass die Europäer Herren über ihre eigenen Angelegenheiten sind. Das wäre die wichtigste Botschaft gewesen und hätte Europa in der Welt Respekt verschafft. So gilt Washington in Europa weiter als die wahre Ordnungsmacht: "Seht her, liebe Welt, die Europäer kann man nicht alleine lassen. Wenn wir Amerikaner auf dem Kontinent nicht wären, dann gibt's wieder Krieg".

  • "„Sollte Russland eine Invasion starten, das heißt, erneut mit Panzern oder Truppen die Grenze der Ukraine überschreiten, dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Dafür werden wir sorgen“, sagte Biden"

    Das darf man dann wohl als eiskalte Drohung gegenüber Deutschland verstehen.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Interessant fand ich die gestrige Aussage eines Reporters.



    Nicht ganz wörtlich: "Auf fast jede Frage, die man Scholz gestellt hat, hat er nicht geantwortet, sondern immer nur seine Topping-Points platziert".



    Genauso kenne ich den Herrn Bundeskanzler.

    Vielleicht ist das alles nur Show und soll den Eindruck erwecken, er sei hochintelligent.



    Wie wäre es mal mit "liefern"?



    Ich warte immer noch auf mein Geld, das ich durch die Verbrechen von Wirecard verloren habe. SCHWEIGEN IM WALDE.

    • @47202 (Profil gelöscht):

      Wer auf Demokratisierung und Friedenspolitik in/von Russland wartet, oder auf eine durch die USA verfügte makellose Welt oder Herrn Scholz, der die divergierenden Interessen aus der Welt schafft und alle Widersprüche integriert, ist diese Woche wieder enttäuscht worden. Es gibt im Westen (im Unterschied zu eigenartigen Bruderschaften wie zB zwischen Belarus und Russland) keine Harmonie. Die muss es zwischen Staaten nicht geben. Die Einigkeit ist möglicherweise erzwungen, indes durch Pragmatik und nicht durch die USA. Von beiden Seiten gewollt und bejaht. Scholz hat aus meiner Sicht in den USA erreicht, was wichtig war und vielleicht auch, was er wollte: bekräftigen, dass man im Westen mit unterschiedlichen Meinungen über gemeinsame Ziele einig sein kann. Hat es auf eine diplomatische Weise gemacht, sich gegen manche suspekten und europaunwissenden US-Politiker und Medien behauptet (wobei er sie imho teilweise überfordert hat), ohne Porzellan zu zerschlagen und ist mE (mit Macron) dabei, einen neuen europäischen Weg zu finden, der es erlaubt, trotz friedensgefährdender Politik seitens Russland, China und den USA (in unterschiedlichen Anteilen und Qualitäten), dass Europa innerhalb seiner Möglichkeiten mitredet und die Polarisierungen mit auszugleichen versucht. Dass dabei die Säbelrassler*innen auf der einen und die Appaesement-Fans auf der anderen Seite gleichermaßen unzufrieden sind, halte ich für ein gutes Zeichen, weil diese beiden Lager nach meiner Meinung per se und per definitionem nicht in der Lage sind, die komplexen politischen Bedingungen abzubilden und noch weniger fähig, deren inneren Widersprüche zu integrieren.



      Auch Frau Baerbock spielt mE in dieser neuen Politik eine sehr gute Rolle und lässt mich vermuten, dass politische Verantwortungsfähigkeit und gesunder Menschenverstand wahrscheinlich wichtiger sind, als lange politische Erfahrung in einem Apparat, der häufig die Denkweisen selbst generiert, an denen die Protagonisten schließlich scheitern.

    • @47202 (Profil gelöscht):

      Auf welche Weise und wieviel haben Sie denn 'durch die Verbrechen von Wirecard' verloren?

  • Na, da ließ Biden doch mal hinter die Maske gucken. Frei nach Erlkönigs Motto: Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.



    Schon faszinierend, wie sich Scholz nicht locken lässt.

  • Sprich die USA wollen den großen Gaslieferanten Russland von der EU abtrennen, damit der Weg für die Frackinggas-Lieferungen seitens der USA frei wird und Konkurrenzlos is..und bleibt.

    Was haben wir nicht für einen umsorgenden "großen Bruder"....

  • 9G
    96177 (Profil gelöscht)

    “Sollte Russland eine Invasion starten, das heißt, erneut mit Panzern oder Truppen, die Grenze der Ukraine überschreiten, dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Dafür werden wir sorgen“, sagte Biden.

    ja mei, pfeifen muß man können, wenn auch aus dem letzten Loch.



    Der Niedergang des Imperiums macht es gefährlicher denn je.