Olaf Scholz auf dem SPD-Parteitag: Aufbruch in Anführungszeichen

Die SPD kürt Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten. Der verspricht, aus Träumen Politik zu machen. Das wird kompliziert.

Olaf Scholz, Licht von hinten, sodass man nur seine Umrisse als Schatten sieht

Kanzlerkandidat Olaf Scholz auf dem Parteitag: Schattige Aussichten für die SPD Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Vieles ist wie immer. DGB-Chef Reiner Hoffmann lobt als Gast routiniert die SPD-Politik in der Groko. Das gehört zum SPD-Parteitag wie das Amen zur Kirche. Generalsekretär Lars Klingbeil versucht Optimismus zu verströmen und ruft: „Heute ist der Tag, an dem die Aufholjagd beginnt.“ Es ist viel von Aufbruch die Rede. Es sind die üblichen Beschwörungsformeln und Selbstermunterungen. Die SPD hat sie nötig.

Manches ist auch anders, nicht nur die erschütternden Umfragen. Die SPD machte es eher kurz. Es gibt nur gut 600 Anträge – nur ein Drittel des Üblichen. Das Wahlprogramm hat auch nur 49 Seiten, weniger als halb so viele wie 2017. Es ist ja unschön, dass die Programme immer länger und die Wahlergebnis­se immer kläglicher werden. Nach knapp vier Stunden soll alles vorbei sein. Ohne viel Debatte. Es kommt etwas anders. Beim Klima gibt es so etwas wie Streit.

Knapp 600 GenossInnen sind digital dabei. Die Bühne in einem leeren Berliner Kongresszentrum ohne Publikum ist wie ein Triptychon dreigeteilt. Links speist das Tagungspräsidium die Anträge störungsfrei in die Abstimmungsmaschine ein. Rechts sind Lars Klingbeil, Rolf Mützenich, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in roten Sesseln platziert. Sie sitzen vor einer Holzwand und drei großen roten Lettern: SPD. Rot und Holz sollen warm wirken und eine Art gemütliche Seriosität verbreiten. Programm im Plauderton. Die Grünpflanzen wirken indes etwas pflichtschuldig ins Bild drapiert.

Die SPD wickelt in dem Programm weiter die Agenda 2010 ab. Zentimeterweise. Hartz IV soll amtlich durch ein Bürgergeld ersetzt werden. Das klingt freundlicher. Bezieher haben aber weiterhin „Mitwirkungspflichten“ – von einem bedingungslosen Grundeinkommen hält die SPD als Partei der Arbeit nicht viel. Wie hoch das Bürgergeld sein soll, bleibt offen. Anders beim Mindestlohn: Der soll auf 12 Euro steigen.

Vermögenssteuer soll her

Die Agenda-Aufräumarbeiten sind noch immer nicht ganz fertig. Die Riester-Rente, eine besonders teure Ruine der Agenda-Ära, von der Versicherungskonzerne profitierten, soll abgeschafft werden.

Etwas schwammig ist die Haltung zur Schuldenbremse. Die SPD hat sich zwar von der Schwarze-Null-Ideologie gelöst. Die Schuldenbremse aber bleibt unangetastet. Dafür soll die Vermögenssteuer, ein Evergreen auf SPD-Parteitagen, her. Sehr Reiche sollen 1 Prozent pro Jahr abgeben. Wer als sehr reich gilt, verrät das Wahlprogramm aber nicht. Es verbindet Ideen der SPD-Linken mit Beinfreiheit für einen möglichen Kanzler Scholz.

Bei den Finanzen setzt die SPD auf mehr Geld vom Staat und mehr Steuern von Reichen. Aber maßvoll

Eilig nachgebessert hat die SPD nach dem Karlsruher Urteil noch beim Klima. Die Republik soll schon 2045, nicht erst 2050, klimaneutral sein. Deutschland soll 2030 65 Prozent weniger CO2 ausstoßen, nicht nur 55 Prozent. Dabei setzt man auf „verbindliche Ausbauziele“ für erneuerbare Energien – ein Stich Richtung Unionsländer Bayern und Baden-Württemberg, wo der Ausbau zu wünschen übrig lässt. Den CO2-Preis, einen Hebel der Ökowende, will die SPD nicht anfassen. Fraktionsvize Matthias Miersch warnt vehement vor einem Wettlauf um Jahreszahlen und einen höheren CO2-Preis. Mehr als die 25 Euro derzeit würden „alle überfordern“, die wenig haben.

Aber reicht es anzustreben, was auch CDU-Mann Armin Laschet will? Die Umweltexpertin Nina Scheer und der bayerische SPD-Chef Florian von Brunn wollen schneller umsteigen. Die Wirtschaft solle schon 2040 komplett klimaneutral sein. Es ist, neben einem Versuch, regionale Mietendeckel zu erlauben, der einzige Streitpunkt. Ein Drittel der GenossInnen sehen es wie Scheer, 70 Prozent folgen der Parteitagsregie.

Wenig wärmende Passagen

Dann kommt, 90 Minuten später als geplant, Olaf Scholz. Es ist seine Krönungsmesse. Weißes Hemd, Anzug, er hält das Mikro fest umklammert und versucht, werbend zu wirken. Er redet mit den Händen und lässt Kunstpausen. Er soll der Partei endlich nutzen. Der Vizekanzler ist trocken, nüchtern. Er ist niemand, dem Sympathien zufliegen. Ein Mann der Akten, kein Rhetoriker. Kann er auch anders? Gefühle mobilisieren?

Scholz inszeniert sich wie immer als Macher. Allerdings sprachlich weniger technokratisch und verholzt als sonst. Um „gute Ideen zu verwirklichen, braucht es die Erfahrung, einen Regierungsapparat zu steuern“, sagt er. Nur so könne man „aus Träumen Politik machen“. Das ist eine der wenigen wärmenden Passagen der Rede.

Und er wirbt für eine Art sozialdemokratischer Moral. Respekt heiße, nie „verächtlich auf andere herabzusehen, weil man reicher, gebildeter oder problembewusster“ sei.

Der SPD-Kandidat will, dass Mieten bundesweit nur so viel wie die Inflation steigen dürfen. Beim Klimawandel gibt er sich volksnah. „Ein hoher CO2-Preis heißt, dass Heizöl und Mieten teurer werden“, sagt er. „Die MieterInnen und Mieter können dann entweder mehr zahlen – oder weniger frieren.“ Das wolle die Union. Die SPD ist hingegen, so die Botschaft, im Zweifel für die Durchschnittsbürger da, für das Allgemeine, nicht für das Besondere.

Scholz’ Klage über den „Fortschritts-Stau“ klingt indes etwas hohl. Die SPD regiert seit zwanzig Jahren fast immer mit. Scholz’ in der SPD viel gelobte Erfahrung, die ein Königs­argument der Kampagne werden soll, hat einen Malus. Ist er, der seit Jahren mitregiert, nicht auch Teil dieses Fortschritts-Staus? Die Aufbruchsrhetorik, mit der die SPD in den Wahlkampf zieht, sie hat Anführungszeichen.

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