Oktoberfestabsage wegen Corona: Rausch und Gaudi
Das Oktoberfest findet diesen Herbst nicht statt. Unseren Autor trifft das herb. Er erinnert sich gern an seine Wiesn-G’schichten zurück.
„Gel, das ist der Kronawitter“, hat der kleine Andreas seinen Vater gefragt, der ihn mitgenommen hatte, um zuzuschauen, wie die Prachtgespanne der Brauereien, mit denen die Wirte vor dem ersten Anstich auf die Theresienwiese führen, auf ihren Einsatz vorbereitet wurden.
Der Kronawitter war damals Oberbürgermeister in München und als solcher wurde er auch mit einer Pferdekutsche zur Wiesn gezogen. Der Einzug der Wiesnwirte war ein festes Ritual in der Familie und eines der wenigen, in denen der Vater vom Andreas eine Hauptrolle spielte. Einmal hat es geschneit zum Wiesnauftakt. Es hat dem Buben nichts ausgemacht.
„Genau, der Kronawitter“, hat der Vater an jenem Tag gesagt, und gemeinsam haben sie sich gefreut, wenn ihnen Richard Süßmeier zugewunken hat. Der kleine Mann und Großgastronom war damals Sprecher der Wiesnwirte und galt als lustiger Mann. Er verlor dann sein Wiesnzelt, weil er Ausländer schwarz für sich schuften ließ. Jeder wusste, dass die anderen Wirte das auch taten. Warum denen trotzdem nicht auf die Finger geschaut wurde, war jahrelang Thema in der Stadt.
Süßmeier hatte sich über einen jungen Lokalpolitiker namens Peter Gauweiler lustig gemacht, der mit dem Maßband in der Hand für besser eingeschenkte Krüge kämpfte. Münchner G'schichten.
Erst ein Rausch, dann viele Räusche
Auf der Wiesn dann durfte der kleine Andreas „Blauer Enzian“ fahren. Mehr wollte er gar nicht, Die große Achterbahn war seine Sache nicht. Gebrannte Mandeln schon eher. Die brachte auch der Vater mit nach Hause, wenn er mit der Firma auf der Wiesn war – als Vorabtrost für die schlechte Katerlaune.
Der kleine Andreas durfte den Eltern vom Standl vor dem Bierzelt eine Portion Emmentaler holen. Und wie glücklich war er, als er sie nach viel zu langem Suchen in der falschen Reihe endlich gefunden hatte. Das war fast so schön wie sein erster Wiesnrausch mit 16. Es sollten viele Räusche folgen. Nicht jeder war schön, die meisten aber schon, und eine Gaudi hat es sowieso immer gegeben.
Heuer wird es keine Wiesn geben. Dass mag sinnvoll sein. Wie traurig es ist, das kann der längst erwachsen gewordene Bub von seinerzeit kaum in Wort fassen. Mit feuchten Augen hat er diesen Text geschrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen