Österreichs Kulturstaatssekretärin geht: Wenig Einfluss, kaum Budget
Am Ende war sie ein Opfer ihrer eigenen Ohnmacht. Österreichs Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek tritt nach Protesten zurück.
Das erste Opfer der Coronakrise in der türkis-grünen Bundesregierung Österreichs heißt Ulrike Lunacek. Die grüne Kulturstaatssekretärin trat am Freitag mit einer kurzen Erklärung zurück. „Es war ein Risiko, dieses Amt zu übernehmen“, so Lunacek in Anspielung auf die mangelnde Unterstützung aus der Kulturszene. „Ich wollte mich mit meiner Erfahrung einsetzen für Künstler und kunstvermittelnde Institutionen in Österreich. Für alle, die mit und für uns das Schöne, Progressive, Aufrüttelnde auslösen. Das, was uns zu wachen Menschen macht. Ich habe dieses Ziel nicht erreicht.“
In den vergangenen Tagen war der Druck der Szene, verstärkt durch schrille Aufmacher der Boulevardzeitungen, geradezu unerträglich geworden. Tausende Künstler warten nach zwei Monaten Lockdown voll Ungeduld darauf, wieder auftreten zu können, weil sie ohne Einkommen dastehen. Sie warfen Lunacek Untätigkeit und Unfähigkeit vor.
Den Vogel schoss der Kabarettist Lukas Resetarits ab, der in einem „Wutvideo“ seinem Ärger über die von Lunacek angekündigten Einschränkungen bei der bevorstehenden Öffnung von Theatern Luft machte: „Machen wir ihr doch den Gefallen und blasen ihr den Marsch, und zwar mit Mundschutz vor den Klarinetten und den Trompeten.“ In einer allgemein als verunglückt bezeichneten Pressekonferenz hatte sie vor drei Wochen gemeint, Oper und Theater müssten bis auf Weiteres ohne Liebes- und Kampfszenen auskommen.
Kein Sonderbudget für die darniederliegende Kultur
Die 63-Jähre ist auch ein Opfer ihrer Ohnmacht. Als Staatssekretärin verfügte sie über wenig Einfluss und kaum eigenes Budget. Ohne grünes Licht von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel (beide ÖVP) konnte sie kein Sonderbudget für die darniederliegende Kultur schaffen. Denen liegt die Wirtschaft mehr am Herzen. Erst vor wenigen Tagen konnte sie ein Paket in Aussicht stellen.
Die ausgewiesene Europapolitikerin, die fast ein Jahrzehnt im EU-Parlament die Grünen vertrat, hatte aber schon bei ihrer Vereidigung im Januar mit Gegenwind zu kämpfen. Da ihr der Stallgeruch der Kulturszene abgeht, begegnete ihr diese mit Skepsis. Umstrittene Personalentscheidungen machten sie nicht populärer.
Wenig hilfreich war auch ein Interview der Parteifreundin Eva Blimlinger, einst Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, in der jüngsten Nummer der Frauenzeitschrift Woman. Dort gibt diese zu, sie hätte den Job selbst gern gemacht. Lunacek bescheinigt sie mitleidig: „Die bemüht sich sehr.“
Hohes Ansehen in grünen Kreisen
Ulrike Lunacek, eine Pionierin der Homosexuellenrechte, die in Ehe mit einer peruanischen Gewerkschaftsfunktionärin lebt, genießt hohes Ansehen in grünen Kreisen und setzt sich auch mit viel Sachkenntnis für progressive Anliegen in Lateinamerika ein.
Der Rücktritt kam nicht unerwartet. Eine für Freitag geplante Pressekonferenz sagte Lunacek ebenso ab wie fest vereinbarte Interviews. Ihr Parteichef, Vizekanzler Werner Kogler, der die Fehlbesetzung zu verantworten hat, pries in einer ersten Reaktion Lunaceks Verdienste auf dem Feld der Europapolitik. Eine Nachfolgerin will er Anfang nächster Woche nominieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin