piwik no script img

Ökonom über Zentralbanken in Coronakrise„Liquidität aus dem Nichts“

Wie können Staaten die Coronakrise finanziell schultern? Mit einer neuen Geld- und Finanzpolitik, sagt der Ökonom Paul Steinhardt.

Hort der Geldstabilität: die EZB in Frankfurt am Main Foto: Boris Roessler/dpa
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Herr Steinhardt, um die ­Coronakrise zu mildern, nehmen Bund und Länder hohe Schulden auf. Wegen der Schuldenbremse im Grundgesetz müssen diese Kredite in den kommenden Jahren aber auch wieder zurückgezahlt werden. Was halten Sie davon?

Paul Steinhardt: Wenn der Bund seine Corona-Schulden tatsächlich wie geplant ab 2023 tilgt, wäre das problematisch. Denn er kann das unter Beibehaltung der Schuldenbremse nur tun, indem er dann eigentlich nötige Ausgaben kürzt. Das würde die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen verringern und die wirtschaftliche Erholung verlangsamen.

Also stünden wegen der Rückzahlung in den kommenden Jahren deutlich weniger öffentliche Mittel zur Verfügung als in den zurückliegenden guten Jahren?

Bild: Klug
Im Interview: Paul Steinhardt

Jahrgang 1958, ist Chefredakteur von Makro­skop, einem Magazin für alternative Wirtschaftspolitik.

Das mag ein Ergebnis sein. Der Staat könnte Ausgaben beispielsweise dadurch einsparen, dass er Sozialleistungen reduziert oder öffentliche Investitionen verschiebt. Beides wäre schädlich.

Sie vertreten die sogenannte „Moderne Geldtheorie“, der zufolge auch in Krisenzeiten keine öffentliche Geldknappheit herrschen muss. Wo haben Sie das Füllhorn entdeckt?

Grundsätzlich können die Zentralbanken die Staaten unbegrenzt mit Geld versorgen. Sie schöpfen Liquidität aus dem Nichts und überweisen sie auf staatliche Konten. Darüber, dass eine Zentralbank das kann, sind sich die meisten Ökonomen ­einig.

Das machen die Notenbanken, indem sie Staatsanleihen kaufen, welche die Regierungen ausgeben.

Richtig. Nicht nur im Krisenfall, sondern auch im Normalbetrieb muss letztlich immer die Zentralbank ihre Währung in ausreichender Menge dafür bereit stellen, dass Staatsanleihen emittiert werden können. Und gegenwärtig kaufen Zentralbanken einen Teil dieser Wertpapiere im Rahmen der sogenannten unkonventionellen Geldpolitik wieder auf. Man könnte den Umweg aber auch weglassen – dann übernähme die Notenbank die Staatsanleihen direkt.

Nun hat die Europäische Zentralbank nicht den primären Zweck, Regierungen zu finanzieren, sondern die Währung Euro herauszugeben und deren Wert stabil zu halten. Wenn Inflation droht, erhöht sie die Zinsen, was auch die Staatsverschuldung teurer macht. Das setzt dieser doch deutliche Grenzen?

Großes Loch

Die jüngste Steuerschätzung wies allein für dieses Jahr ein großes Haushaltsloch von fast 100 Milliarden Euro an Steuereinnahmen aus. Wegen der Coronakrise sinken die Einnahmen stark, während die Ausgaben erheblich steigen. Mit konventionellen Maßnahmen lässt sich diese Lücke wohl kaum schließen. Deshalb muss die Regierung auch für die nächsten Jahren mit einer höheren Verschuldung rechnen. (hko)

Das ist kein Naturgesetz. Es kommt auf die institutionelle Ausgestaltung des Verhältnisses von Zentralbank und Regierung an. Solange die Kapitalmarktteilnehmer davon ausgehen können, dass die Zentralbank dafür sorgt, die Regierung nicht zahlungsunfähig werden zu lassen, hat der Staat kein Problem, sich auch bei steigenden Zinsen am Kapitalmarkt problemlos zu finanzieren.

Dann aber würde die Inflation angetrieben, und die Notenbank verfehlte ihr wichtigstes Ziel, die Geldwertstabilität.

Nicht unbedingt. Denn woher kommt Inflation? Ein Grund können zu stark steigende Kosten, insbesondere Löhne sein. Oder aber eine effektive Nachfrage, die die Produktionskapazitäten einer Volkswirtschaft übersteigt. Dazu können fraglos auch Staatsausgaben ihren Beitrag leisten. Das heißt aber: Mit einer klugen Fiskalpolitik lässt sich verhindern, dass eine Volkswirtschaft unter und über ihren produktiven Kapazitäten operiert. Die Fiskalpolitik muss die Nachfrage so steuern, dass Deflation und Inflation vermieden werden.

Warum verhält sich die EZB nicht, wie Sie es vorschlagen?

Weil ihr die direkte Finanzierung der Staaten verboten ist. Sie hilft aber gegenwärtig der Fiskalpolitik durch den Ankauf von Staatsanleihen auf dem Finanzmarkt.

Sehen Sie Anzeichen dafür, dass die Bundesregierung Ihrer Theorie folgen wird und die Schuldenbremse in den ­kommenden Jahren lockern lässt?

Das ist schwer zu sagen. Aber immerhin wurde die schwarze Null, das Quasi-Verbot jeder Neuverschuldung, schon vorher von vielen aus Wissenschaft und Wirtschaft infrage gestellt. Der Druck jedenfalls, sich von diesem Ziel zu verabschieden, ist mit der Coronakrise wesentlich größer geworden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Es wird hier über die Abschaffung des Geldsystems gesprochen. Es gibt da ein Modell von Silvio Gesell, das wie kein anderes auf Stabilität der Wirtschaft aufbaute. Was hier vorgeschlagen wird, ist das Gegenteil.

    • @Bernd Schlüter:

      "Was hier vorgeschlagen wird, ist das Gegenteil."

      Das halte ich aber ganz stark für ein ungares Gerücht.

      Das von Ihnen wohl gemeinte Freigeld schafft nicht das Geldsystem (welches eigentlich 😉) ab? Lesen Sie noch einmal nach.

  • Paul, go on! 👍

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    "Grundsätzlich können die Zentralbanken die Staaten unbegrenzt mit Geld versorgen. Sie schöpfen Liquidität aus dem Nichts und überweisen sie auf staatliche Konten. Darüber, dass eine Zentralbank das kann, sind sich die meisten Ökonomen ­einig."

    Das sagt schon alles und erinnert mich an "Per Anhalter durch die Galaxis"

    Da hatten außerirdische Ökonomen die auf einem Planeten gestrandet waren im Winter Blätter als Währung ausgerufen. Als im Frühling die große Inflation ausbrach, haben sie die Wälder abgefackelt um die Währung zu stabilisieren.

  • 6G
    6028 (Profil gelöscht)

    ... "alternative Wirtschaftspolitik" klingt verdächtig nach "alternativen Fakten".

    • 6G
      6028 (Profil gelöscht)
      @6028 (Profil gelöscht):

      Das Haupt-Problem wird sein, zu entscheiden, welchen Firmen / Personen / Industrien / ... man Beihilfen gewährt. Überbrückung von Liquiditätsengpässen für 'gesunde' Firmen: ja -- aber wie entscheidet man, wer nur illiquide und wer gleich insolvent ist? Ich fürchte, das passt auf kein Formular.



      Nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Hilfen zu krassen Ungereechtigkeiten führen werde. Wobei durch die Krise der soziale Graben schon nicht mehr zwischen arm und reich, sondern plötzlich diagonal zwischen den Empfängern fester Einkommen (z.B. Beamte) und den unsicheren Einkommen (z.B. Selbsständige, Künstler, etc.) verläuft.

  • Aha, wieder mal ein Vertreter der MMT. Wie man als Person, die ja mal Ökonomie in irgendeiner Form studiert hat, diese Theorie vertreten kann, wird mir immer schleierhaft bleiben. Unbegrenzte Geldversorgung des Staates durch seine Zentralbank ist natürlich möglich - die Frage ist dann nur, wieviel dieses Geld noch wert ist, vor allem, wenn das Ausland das Vertrauen verliert. Siehe Venezuela, siehe Argentinien, siehe, siehe, siehe...

    • @OutbackerAS:

      "Danke" für die Ungenauigkeiten in Ihrer Aussage. Ich gehe natürlich Ihnen gegenüber höflich davon aus, dass Sie sich nicht wie ein "FDP-Politiker" zwischen zwei Sinnen einer Aussage bewegen wollten, verbunden mit der Hoffnung, dass der Hörer oder Leser den andere als den korrekten Inhalt darin mitnehmen.

      Es kommt eben nicht zwingend unter identischen Maßnahmen zu identischen Ergebnissen, wenn andere Vor- und Gegenwartsbedingungen vorherrsch(t)en, sowie auf die Verhältnisse der Merkmale zueinander.

      Ich bin klar für MMT, überhaupt für ein anderes Geldsystem, insbesondere für anderes Wirtschaften.

      Wir sollten uns zuhören. Die Pandemie, u.a. fehlendes Toilettenpapier 🙂, haben gezeigt, was geschehen wird, wenn die Menschen befürchten, nicht mehr mit dem Nötigsten versorgt zu werden. Und damit meine ich nun einmal ganz offensichtlich einen Audi Q pp. nicht.

      • @Gerhard Krause:

        "Die Pandemie, u.a. fehlendes Toilettenpapier ..."

        Geld drucken wäre da natürlich eine Maßnahme gewesen. :-)

    • @OutbackerAS:

      Hallo,



      koennten Sie mal erklaeren, was sie mit MMT meinen? Zum allgemeinen Verstaendnis ist es nicht sehr sinnvoll solche Abzuerzungen ohne weiteren Kommentar zu verwenden.

      • @ifpw.eu:

        MMT ist "Unglisch" für Moderne Geldtheorie, Modern, Monetary usw.

        MfG

    • @OutbackerAS:

      Als Gegenbeispiel wird dann immer Japan gebracht, dort ist die Wirtschaft aber seit Jahren erstarrt, das einzige, was dort durch die Decke geht, sind die Immobilienpreise, wie es seit diesem Verhalten der EZB auch bei uns der Fall ist. Billiges Geld ist wie eine Droge, da man nicht mehr auf Effizienz achten muss wird alles finanziert und man endet in der zentralbankfinanzierten Alternativlosigkeit.

      • @FancyBeard:

        Geld ist dazu eine erforderliche Bedingung, aber keine hinreichende. Folglich kann an steigenden Immobilienpreisen Geld nicht die Dominanz einnehmen, welche Sie hier zuschreiben.

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @FancyBeard:

        Ach so, so wie bei den Azteken. Eine Pyramide nach der anderen gebaut, weil unbegrenzte Mittel zur Verfügung standen. Und als eine Handvoll Spanier kamen ist das ökonomische Kartenhaus zusammengebrochen.



        Mit freier Wirtschaft hätten sie schon Waffen aus Eisen gehabt.