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Ökonom über Geschichte des Tätowierens„Ein Künstler ließ sich ‚the end‘ auf die Lider tätowieren“

Manfred Kohrs hat das Deutsche Institut für Tätowiergeschichte gegründet. Er organisierte einen Gesprächsabend, bei dem die Antike auf Dürer trifft.

Jetzt in Hannover zu sehen: Tätowierungen mit Dürer-Motiven Foto: Daniel Karmann/dpa
Interview von Wilfried Hippen

taz: Herr Kohrs, bei dem Gesprächsabend „Antike Meets Dürer“ geht es auch um die Geschichte des Tätowierens. Aber die menschliche Haut ist ja ein vergängliches Material. Woher weiß man also, ob und wie sich die Menschen früher tätowiert haben?

Manfred Kohrs: Da gibt es doch einiges. Ein Beispiel ist Ötzi aus der späten Jungsteinzeit oder Kupfersteinzeit also circa 3300 bis 3100 vor unserer Zeit. Er hatte zahlreiche Tätowierungen, die untersucht wurden. In den USA fand der Archäologe Aaron Deter-Wolf zudem eine mumifizierte Hand mit Tätowierungen aus der Zeit um 1300 vor Christus.

taz: Sie selbst haben ja das Institut für Deutsche Tätowier-Geschichte (IDTG) gegründet. Worüber wird dort denn geforscht?

Kohrs: Wir erforschen die jüngere Geschichte der Tätowierung. Diese beginnt um 1890 mit den „tätowierten Damen“ im Zirkus und im Varieté. Es ließen sich nicht nur Seeleute, sondern auch Vertreter des Hochadels tätowieren. Ein Beispiel ist der dänische König Frederik IX. Die erste wissenschaftliche Publikation über einen frühen Protagonisten der Szene ist fertiggestellt und wird bald in Druck gegeben. Weitere werden folgen.

taz: Was ist denn an der Geschichte dran, dass auch die Kaiserin Sissi tätowiert gewesen sein soll?

Kohrs: Der Anthropologe Igor Eberhard von der Universität Wien hat zu diesem Thema geforscht und auch Hinweise gefunden. Ein endgültiger Beweis fehlt jedoch noch, da es keine entsprechenden Fotos gibt.

Gesprächsabend im Rahmen der Tattoo-Ausstellung über Tätowieren als grafische Technik, Museum August Kestner, Platz der Menschenrechte 3, Hannover, 10. 9., 18 Uhr

taz: Und warum trifft an diesem Abend die Antike auf Dürer?

Kohrs: Im Kestner-Museum in Hannover werden antike Artefakte aus der eigenen Sammlung ausgestellt, die mehrere Tausend Jahre alt sind. Die Malereien und Schnitzereien auf diesen Exponaten werden als Tätowierungen gedeutet. Vom Albrecht-Dürer-Haus in Nürnberg wurden Personen gesucht, die sich Motive von Albrecht Dürer, wie etwa die betenden Hände, auf die Haut tätowiert haben lassen. Hier werden Kunstgeschichte und Moderne zusammengeführt.

taz: Sie engagieren sich ja selber auch schon lange dafür, dass das Tätowieren aus der Schmuddelecke kommt und als Kulturgut anerkannt wird.

Kohrs: Ich habe 2000 den Verein Tätowierkunst gegründet, um durchzusetzen, dass die Tätowierer als Künstler anerkannt werden können. Der Verein ist noch heute tätig. Tätowierer arbeiten nur auf einem anderen Material – statt auf einer Leinwand eben auf der Haut.

taz: Und was gibt es da für Kunstwerke?

Kohrs: Der hannoversche Totalkünstler Timm Ulrichs hat sich im Rahmen einer Kunstaktion den Schriftzug „The End“ auf die Augenlider tätowieren lassen. Wenn der Künstler die Augen schließt, ist der Vorhang gefallen. Fotos davon werden heute in großen Museen ausgestellt.

taz: Das Tätowieren kann also auch eine Performance sein?

Kohrs: Ja, die österreichische Künstlerin und Feministin Valie Export hat sich von meinem Tattoo-Mentor H.H. Streckenbach im Rahmen einer Aktions-Kunst ein Strumpfband tätowieren lassen.

taz: Es ist Ihnen ja auch wichtig, dass das Tätowieren in den Wissenschaften ernster genommen wird.

Bild: André Gross
Im Interview: Manfred Kohrs

Jg. 1957, Ökonom, Künstler und Tätowierer, gründete 1976 das erste Tattoo-Studio in Hannover und 1977 die Vereinigung deutscher Tätowierkünstler.

Kohrs: Ja, das IDTG wächst und unsere Mitglieder sind beispielsweise Kunsthistoriker, Anthropologen und Sozialwissenschaftler. Wir kooperieren inzwischen mit Universitäten und Museen, auch international. Wir haben bereits mehrere Dissertationen positiv begleitet. Ein Beispiel ist das Thema Urheberrecht.

taz: Da kann jemand verklagt werden, weil er ein Bild von den Beatles auf seinem Arm hat?

Kohrs: Jemand, der sich eine Micky Maus tätowieren lässt, auf die Disney noch das Copyright hat. In Zeiten, in denen ständig etwas im Internet gepostet wird, ist die Gefahr groß, verklagt zu werden. Aber das kann auch umgekehrt sein. Wenn jemand eine Tätowierung mit „erheblicher Schöpfungshöhe“ erhalten hat, dann hat der Tätowierer das Urheberrecht daran, auch die Bildrechte. Darüber gibt es jetzt in Deutschland die erste Dissertation.

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