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Ökonom über G7-Gipfel„Schuldenschnitt eminent wichtig“

Armen Ländern Schulden zu erlassen, würde dem globalem Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung helfen, sagt Ökonom Ulrich Volz. Wo ist das Problem?

Entwicklungsländern wie Burkina Faso käme ein Schuldenerlass zugute Foto: Sam Mednick/ap
Interview von Lena Wrba

taz: Die Klimabewegung bringt vor dem G7-Gipfel einen Schuldenschnitt für arme Länder ins Gespräch. Was hat Schuldenerlass mit Klimaschutz zu tun?

Ulrich Volz: Viele Entwicklungs- und Schwellenländer sind stark überschuldet und haben ohne Schuldenerlass keine Chance, in Klimaschutz und -anpassung zu investieren. Zudem sind sie aufgrund ihrer Klimavulnerabilität strukturell benachteiligt. Ihre Schulden können sie nur abbezahlen, indem sie andere Ausgaben kürzen. Als Folge zahlen viele Länder aktuell mehr in den Schuldendienst, als sie für ihr Gesundheits- und Bildungssystem oder eben für Klimaschutz und -anpassung ausgeben.

Schulden können erlassen werden, wenn das Schuldnerland etwa durch eine Naturkatastrophe in Zahlungsnot gerät. Oder präventiv, ohne dass es dafür eine akute Krise geben muss. Was ist sinnvoller?

Nach zwei Jahren Pandemie sind viele Länder ja schon mitten in der Krise. Und jetzt kommen noch hohe Lebensmittel- und Energiepreise dazu. Die Länder müssen die Möglichkeit bekommen zu investieren, um aus der Krise zu kommen und sich gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen. Sonst sind wir in Gefahr, dass die Dekade des Handelns, in der wir uns eigentlich gerade befinden sollten, eine verlorene Dekade wird.

Eine Hoffnung lautet: Ein Schulden­erlass führe dazu, dass fossile Energieträger im Boden bleiben und stattdessen Erneuerbare ausgebaut werden. Für wie realistisch halten Sie das?

Die Gefahr, dass finanziell schwache Länder ohne Schuldenerlass ihre fossilen Ressourcen erschließen, um wenigstens kurzfristig ihre Finanzsituation zu verbessern, ist groß. Ein Schuldenerlass könnte Ländern die Möglichkeit bieten, stattdessen in nachhaltige Wirtschaftsmodelle zu investieren. Für viele Entwicklungsländer sind aber besonders Investitionen in Klimaanpassungsmaßnahmen wichtig, da sie die Folgen des Klimawandels bereits deutlich spüren. Wichtig ist: Reiche Länder, die die Hauptschuld am Klimawandel tragen und selbst beim Klimaschutz hinterherhinken, sollten den Schuldnerländern nicht vorschreiben, was diese mit den frei gewordenen Ressourcen machen dürfen. Sinnvoller wäre eine Art Selbstverpflichtung der Schuldnerländer.

Die Idee des Schuldenerlasses ist nicht neu. Woran liegt es, dass es bisher kein vernünftiges Programm dazu gibt?

IWF und Weltbank haben anerkannt, dass ein Schuldenerlass für bestimmte Länder sinnvoll sein kann. Leider fehlt ein internationales Verfahren, das sowohl staatliche als auch private Gläubiger mit einbezieht. Private Gläubiger halten in vielen Ländern einen Großteil der Schulden, haben aber kein Interesse daran, einen Teil ihrer Forderungen aufzugeben. Und auch die Schuldnerländer selbst setzen sich nicht aktiv dafür ein. Sie haben Angst, ihnen werde eine Forderung nach Schuldenerlass als Zahlungsunfähigkeit ausgelegt. Eine Einigung wird zudem durch politische Spannungen zwischen den G7 und China erschwert – während chinesische Staatsbanken in vielen Ländern die wichtigsten Gläubiger sind.

Was muss also passieren?

Damit private Gläubiger sich auf einen Schuldenerlass einlassen, braucht es Anreize. Diese könnten über einen Garantiefonds bei der Weltbank geschaffen werden. Darüber hinaus müssen die Regierungen der Länder, in denen die wichtigsten Gläubiger sitzen, Druck machen. Das haben die G7 und China bisher nicht ausreichend getan.

Die Gefahr, dass arme Länder ohne Schuldenerlass ihre fossilen Rohstoffquellen erschließen, ist groß

Was ist mit den Staaten selbst – können die nicht vorangehen und ihre Schulden zuerst erlassen?

Ein Schuldenerlass ergibt nur Sinn, wenn sowohl öffentliche als auch private Gläubiger am Schuldenerlass teilnehmen. Wenn nur die staatlichen Forderungen erlassen werden, besteht die Gefahr, dass die freiwerdenden Ressourcen dann in Zahlungen an die privaten Gläubiger fließen – die privaten Gläubiger würden also auf Kosten der Steuerzahler gerettet.

Während der Pandemie hat die Gruppe der G20 ein Schuldenmoratorium entwickelt. Kann man darauf aufbauen?

Im Interview: Ulrich Volz

ist Direktor des Zentrums für nachhaltige Finanzen an der SOAS University of London. Er beschäftigt sich mit der Transformation von Wirtschafts- und Finanz­systemen.

Das G20-Schuldenmoratorium war wichtig, es war aber nur auf Niedrigeinkommensländer begrenzt und hat die privaten Gläubiger nicht eingeschlossen. Mit dem „Common Framework“ haben die G20 ein erweitertes Rahmenwerk geschaffen, aber auch dieses geht noch nicht weit genug.

Was erwarten Sie vom G7-Gipfel in Elmau?

Leider keinen großen Durchbruch in der Schuldenfrage, auch wenn dies dringend notwendig wäre. Wegen des Kriegs in der Ukraine stehen viele Länder akut vor einer Hungersnot und können ihre Energieimporte nicht mehr zahlen – von Klimainvestitionen ganz zu schweigen. Umso wichtiger wäre es, dass die G7 gemeinsam mit China ein Signal setzen und einen breit angelegten Schuldenerlass auf den Weg bringen.

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10 Kommentare

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  • Ein solcher Schuldenschnitt hat mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit doch recht wenig zu tun, da hierdurch etwaige Investionen nicht gesteuert werden. Besser wäre da eine Direktinvestition (z.B. in afrikanische Wasserkraftwerke).

    Das eigentliche Problem der Länder, die steigenden Zinsen, werden im Artikel dagegen gar nicht erst erwähnt.

    Und selbsverständlich wäre ein Schuldenschnitt auch ein Zahlungsausfall. Die Regels stellen nicht der IWF oder die Weltbank auf sondern Ratingagenturen und Versicherer.

  • Klingt nach einer guten Idee, der Schuldenerlass in ärmeren Ländern.



    Nur macht es auch Sinn, dass China dagegen sein könnte.

    • @RuthH:

      Nun ob das eine so gute Idee ist, wenn im Land dann alles so weiter geht wie zuvor.



      Klar, gegen Dürre und Hitze und verdurstetes Vieh kann niemand in den Ländern etwas. Da sollte man unbedingt helfen.

  • Vielleicht sollte man erst einmal deutlich machen, worum es genau genommen geht:

    Um Schulden in Fremdwährungen. Schulden in eigener Währung stellen für ein Land kein Problem dar und einen Schuldenschnitt könnte es dann auch selbst vornehmen - wäre in eigener Währung allerdings völlig unnötig.

    Das wirft die Frage auf: wozu braucht ein Land Fremdwährungen? Um Importe bezahlen zu können. Woher bekommt es normalerweise Fremdwährungen? Durch Einnahmen aus Exporten.

    Nur braucht es bei einer ausgeglichenen Handelsbilanz keine Verschuldung in Fremdwährungen. Die braucht es erst, wenn mehr importiert als exportiert wird.

    Damit sind wir bei der Frage, was zu Importüberschüssen anreizt. Wenn diese Frage nicht ins Zentrum und damit auch die Handelspartner mit in den Blick genommen und als Teil des Problems erkannt werden, gibt es keine Lösung.

    "Ihre Schulden können sie nur abbezahlen, indem sie andere Ausgaben kürzen."

    Das ist Unsinn. Ausgabenkürzungen sorgen für das genaue Gegenteil: Schulden können dann noch viel weniger zurückgezahlt werden, die Wirtschaftsleistung sinkt und die relative Verschuldung nimmt dann noch zu, weil der Teiler BIP sich verringert.

    Um Schulden tilgen zu können müssten die Ausgaben gesteigert werden und in die Entwicklung der Wirtschaft investiert werden, so dass höherwertige Produkte an das Ausland verkauft werden können und so höhere Einnahmen erzielt werden. Denn das geht nur über Exportüberschüsse, weil nur dann netto Fremdwährungen ins Land fließen können, durch die Schulden getilgt werden können. Praktisch bedeutet das, weniger Rohstoffe exportieren sondern daraus hergestellte Produkte.

    Die Frage ist aber, wie sehr sie bei allem, was ihre Position verbessert, vom Ausland und von Importen abhängig sind. Und wie sehr die Handelspartner es zulassen, dass diese Länder prosperieren.

    Denn praktisch werden sie für zwei Dinge missbraucht: als billige Rohstoffquelle und als Absatzmarkt für Produktionsüberschüsse. Das geht nur durch Verschuldung.

    • @Reno Zeh:

      ich finde ihre Erklärung sehr interessant.



      ich bin, was Ökonomie angeht recht unbewandert, deswegen frage ich mich: könnten die ärmeren Staaten auch durch Rohstoffexport Exportüberschüsse erzielen?



      ... oder könnten die Rohstoffexportländer sich irgendwie absprechen, um keine billigen Preise für ihre Rohstoffe verlangen zu müssen?



      würde mich über eine Antwort freuen.

    • @Reno Zeh:

      Ja, ABER.. Das ist ja nur ein logisches Denkmodell. Letztlich geht es um Güter. Auch Ausbildung und die Ergebnisse von Ausbildung gehören dazu. Begrenzt von Anwendung, vom Machbaren, von Sinnhaftigkeit. Geld verzerrt, manchmal auf individueller Dummheit basierend, zB den Porsche geiler finden als Umweltschutz, die Wahrnehmung der Realitäten. Manchmal hat man eben wenig oder nichts zu importieren oder zu exportieren. Geld, auch Fremdwährung, kann's trotzdem regnen. Meist dann aber für Wenige. Ich würde erstmal Vermögen einsammeln bei den s.g. Reichen bzw Superreichen. .. Das sage ich Ihnen als Ökonom.

    • @Reno Zeh:

      Danke und nochmals Danke für Ihre bemerkenswerte Klarstellung!

  • Ein Schuldenschnitt kann durchaus auch ein gutes Einfluss- und Steuerungsinstrument sein. Man muss einfach Bedingungen daran knüpfen, das ist legitim, vor allem wenn es sich um Umweltschutzauflagen handelt, soziale Mindeststandards oder Korruptionsbekämpfung. Man muss auch nicht unbedingt China mit ins Boot holen wollen, denn das wird ohnehin nicht gelingen. China will keine Macht abgeben. Von daher könnte es auch interessant sein, China auszuzahlen und mittelfristig die Kontrolle über mögliche neue Schulden der betroffenen Staaten zu übernehmen. Natürlich ist das ein zwischenzeitlicher Souveränitätsverlust dieser Staaten, aber das ist nachrangig. Ein solches Modell, zum Beispiel im nördlichen Afrika von seiten der EU betrieben, könnte durchaus attraktiv sein. Man kann mit wenigen Ländern beginnen und hat dann schon brauchbare Vorlagen für eine Ausweitung. Man fördert Umweltschutz, Entwicklung, gerechtere Verteilung und die eigene Kontrolle über Märkte, Handelswege, Ressourcen und Migration.

  • Es hat ja einen Grund, warum diese Länder hoffnungslos verschuldet sind.



    Schuldenerlass ja - aber dann sollten wir das an Bedingungen knüpfen bzw. entscheidend mitreden dürfen.



    Das wollen die Herren Despoten aber nicht!

    Was seit Jahrzehnten im Sudan passiert ist unglaublich. Von Somalia ganz zu schweigen.

  • Wir schauen gerade zu, wie die Menschheit am freidrehenden Kapitalismus erstickt.

    Das unschöne daran ist, dass es zuerst diejenigen erwischt, die schon immer am wenigsten davon hatten. Die fetten erwischt es zuletzt (ich hoffe inständig, dass die auch noch ihre Katharsis bekommen, soll ja keiner leer ausgehen).