Öko-Graphic-Novel aus Frankreich: Höhlenmalerei statt Atommüll
Étienne Davodeau begibt sich in „Das Recht der Erde“ auf eine Wanderung quer durch Frankreich. Seine Graphic Novel ist ein ökologisches Manifest.
Er bleibt doch oft unbeachtet und ist räumlich und zeitlich dennoch allgegenwärtig – der Boden, auf dem wir stehen. Über diese „Haut der Erde“ wandert der Autor und Illustrator Étienne Davodeau tagelang und lässt dabei eine Bildgeschichte entstehen. Seine Graphic Novel „Das Recht der Erde. Eine Erzählung über den Boden, der uns trägt“ ist eine beeindruckende und aufrüttelnde Lektüre.
Schon früh begann der 1965 in Frankreich geborene Zeichner Comicreportagen zu publizieren, in denen er sich auch mit sozialkritischen Themen auseinandersetzte. In der Vergangenheit erhielt er viele Preise für seine detailgenauen Beobachtungen des ländlichen Lebens. Unter anderem wurde er 2005 mit dem Comicpreis von Angoulême für das beste Szenario geehrt. Graphic Novels wie „Die Ignoranten“ oder „Der schielende Hund“ machten ihn international bekannt
Sein jetziges Buch ist ein bebilderter Reisebericht einer über 700 Kilometer langen Wanderung quer durch Frankreich, die er im Juni 2019 begann. Sein Ausgangspunkt war hierfür die Tropfsteinhöhle von Pech Merle im Südwesten Frankreichs. Hier findet sich in der Höhle von nahe dem Ort Cabrerets im Departement Lot die 22.000 Jahre alte Wandzeichnung eines Mammuts. 700 Besucher täglich dürfen diesen beeindruckenden Fund einer frühen künstlerischen Darstellung besichtigen. Unter ihnen war auch Étienne Davodeau.
Von der Tropfsteinhöhle zum Atommüllendlager
Étienne Davodeau: „Das Recht der Erde“. Graphic Novel. Hardcover, Großformat. Carlsen Verlag, Hamburg 2023, 216 Seiten, 27 Euro
Mit einem Rucksack schwer bepackt auf den Schultern, machte er sich danach ächzend von dort zu Fuß auf den Weg nach Bure, einen Ort im Nordosten von Frankreich, 720 Kilometer entfernt. Die Hinterlassenschaft der magischen Wandmalerei in der Grotte von Pech Merle kontrastiert auf drastische Weise mit dem, was an dem Zielort in der Erde verbuddelt werden soll: Atommüll.
In Bure im Departement Meuse soll in 500 Meter Tiefe unter der Erde hochradioaktiver Abfall in Felsstollen eingelagert werden. Das in der Öffentlichkeit wenig diskutierte Projekt heißt Cigéo und wurde von der Andra, der nationalen Agentur für die Verwaltung von Atommüll, initiiert.
Seine Route nach Nordosten begeht Davodeau die meiste Zeit allein. Unterwegs trifft der Autor verschiedene Expert:innen aus unterschiedlichen Fachbereichen. Deren Gespräche und Perspektiven fließen in die Graphic Novel ein und erweitern die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis des Menschen zum Planeten und dessen Boden.
In der Bildgeschichte tauchen verschiedene Personen in der Landschaft auf und begleiten den Autor ein Stück auf seinem gezeichneten Weg. Leichtfüßig und ohne Gepäck. Das gemeinsame Wandern ist dabei Fiktion, der Autor ging zumeist alleine. Die Treffen und Dialoge haben tatsächlich stattgefunden. Aber bereits zur Recherche zumeist vor der Wanderung.
Gespräche mit Atomkraftgegnern
Da ist zum Beispiel der Atomkraftkritiker Bernard Laponche, der einst an der Entwicklung erster französischer Atomkraftwerke als Ingenieur beteiligt war. Er wechselte aber bald die Seiten, um über die gravierenden Gefahren der Radioaktivität aufzuklären. Mit ihm spricht Davodeau in einigen Szenen über Projekte wie Cigéo, ein Label, unter dem Nuklearmüll beseitigt werden soll, ohne wirklich genau zu wissen, wie.
Er hält es für eine plumpe Idee, den Müll einfach unter der Erde verschwinden zu lassen. Und er warnt vor allem vor der möglichen Gefahr einer Explosion, die mit den sicherheitstechnischen Schwächen einhergehen würde.
Étienne Davodeau
Der Gedanke an die nächsten Generationen, die nächsten 100.000 Jahre, in denen der Müll als eine Gefahr bestehen bleibt wird, lösen Unbehagen aus. In der Graphic Novel wird Bure als der unscheinbare Ort dargestellt, in der die Gedankenlosigkeit zu ihrem vorläufigen Ende kommt und in der Tiefe versenkt wird. Ohne dass wir wissen können, was daraus am Ende resultieren wird.
Die feinen Beobachtungen des Autors bei seinen Wanderungen durch die französischen Landschaft spiegeln sich in den sorgfältig gezeichneten und wertschätzenden Eindrücken. Er beschreibt die vielen Kilometer, die er zurücklegt, lebensnah und immer wieder humorvoll. Er schafft es, zu überraschen, zum Schmunzeln und zum Staunen zu bringen.
Unaufgeregt und unspektakulär
Anrührend und nahbar schildert er sein Naturerleben, den prasselnden Regen, die dumpfe Schwüle oder den Geruch von Schweiß auf seiner Haut. Die Schilderungen seiner Erlebnisse sind dabei weder redundant noch romantisierend. Eher unaufgeregt und unspektakulär.
Die mal beschwerlich, mal idyllisch erscheinende Wanderung gleicht einem politischen Willensakt. Er nimmt die Leserschaft ideell dabei mit, füttert sie mit jedem gegangenen Kilometer und seinem Schwarz-weiß-Zeichnungen mit Wissen über unseren fragwürdigen Umgang mit der Natur und uns selbst.
Szenen und Dialoge wie mit Joël Domenjoud sind sehr anschaulich wiedergegeben. Domenjoud hat sich in der Vergangenheit als Aktivist bei Waldbesetzungen gegen ein Atommüllendlager in Bure engagiert. Es lässt an die Geschehnisse in Lützerath denken, auch wenn es da nicht um Atommüll ging.
Fragen über die Demokratie und die Zukunft
„Das Recht der Erde“ provoziert die zeitlosen Fragen nach eigener Einflussnahme und Selbstermächtigung. Wirft Fragen über die Demokratie, die Zukunft und nachfolgenden Generationen auf. Die Thematik der Atomkraft lässt auch an den Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, und das von Russland beschossene Atomkraftwerk denken.
Die Worte, die eine Expertin im Gespräch mit Davodeau wählt, scheinen nur allzu passend zu sein: „Kernkraft und Demokratie sind wie zwei Magnete, die sich voneinander abstoßen.“
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