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Ocean Vuong über den American Dream„Wie bitte reden wir von Liebe?“

Ocean Vuong ist eine der spannendsten jungen Stimmen aus den USA. Der Autor über die Kraft der Sprache und queeres Scheitern als Chance.

Kommt aus einer Kultur des Geschichtenerzählens: der Autor Ocean Vuong Foto: Wolfgang Borrs
Stefan Hochgesand
Interview von Stefan Hochgesand

taz: Herr Vuong, es geht in Ihrem Debütroman um Familie, Verliebtsein und Selbstfindung eines schwulen Teenagers in den USA der Neunziger- und Nullerjahre. Aber auch um den Vietnamkrieg, Drogenmissbrauch und den American Dream in Zeiten von Trump. Wollten Sie gleich mit Ihrem ersten Roman eine Great American Novel vorlegen?

Ocean Vuong: Ich habe nicht versucht, eine Great American Novel zu schreiben, sondern über das geschrieben, was für mich wichtig war. Und das ist zufällig Amerika. Ich glaube, Sie haben recht mit Ihrer Lesart der Auflösung des amerikanischen Traums. Soweit ich weiß, sind die USA das einzige Land, das einen solchen Mythos braucht, um nicht auseinanderzufallen. Amerikanische (Bildungs-)Romane sind oft nervös, denken Sie an J. D. Salingers „Der Fänger im Roggen“ oder Sylvia Plaths „Die Glasglocke“. HighSchool, College, dann ist es vorbei. Keine Vorgeschichte.

Sie erzählen auch von der Mutter und der Großmutter des Ich-Erzählers in Vietnam.

Ja. Ich wollte den Bildungsroman umformen zu etwas, das auch zurückschaut. Und vorwärts. So konnte ich Gewalt in Amerika von seinem Epizentrum aus verfolgen.

Das Nagelstudio, in dem die Mutter schuftet, und die Tabakfarm, wo der Erzähler jobbt, sind Mikrokosmen der Einwanderergesellschaft.

Amerika basiert auf Arbeit: Tabakfarmen, Kohleminen, Nagelstudios. Aber der amerikanische Traum bröckelt, wenn man auf die gebrochenen Körper blickt, die ihn ermöglichen. Meine Hoffnung mit dem Buch ist, südostasiatische Identität in den USA zu unterscheiden von allgemein-asiatischer Identität in den USA à la „einfach alle gelb“: Südostasiaten in den USA haben, verglichen mit anderen Asiaten dort, die größten Probleme mit psychischer Gesundheit; die höchste Schulabbrecherquote – und das geringste Einkommen und die geringste Englischsprecherquote. Die Geschichte von Asiaten in den USA ist sehr divers: Chinesen bauten dort schon im 19. Jahrhundert Eisenbahnen; Vietnamesen kamen in erster Linie seit 1975.

Es heißt, Sie haben Ihren Bestseller in einem Kleiderschrank geschrieben.

Ich war in einer engen Wohnung in New York. Meine Mitbewohnerin hatte drei Kleinkinder. Sie war auf der Flucht vor häuslicher Gewalt. Die Kinder waren traumatisiert von ihrem Alkoholiker-Vater. Ich habe mich gefragt: Wo kann ich dem Geschrei am besten entkommen, um das Buch zu schreiben? Die Lösung war der Kleiderschrank.

Im Interview: Ocean Vuong

1988 in Saigon, Vietnam, geboren. Er war Flüchtling auf den Philippinen, bevor er mit seiner Mutter nach Hartford, Connecticut, in die USA zog. Er hat an der New York University unterrichtet und ist zurzeit Juniorprofessor in Massachusetts. Sein Debütroman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ (2019) ist New-York-Times-Bestseller. Ocean Vuong bringt eine queere, postmigrantische Perspektive in die US-Lite­ratur ein – aber vor allem ist seine Sprache einzigartig kraftvoll. Bereits sein Lyrikband „Night Sky with Exit Wounds“ (2016), der im Frühling auf Deutsch erscheinen wird, gewann zahlreiche Preise, unter anderen den T.-S.-Eliot-Preis.

In Ihrem Buch geht es auch um häusliche Gewalt.

Ich wusste schon vorher, dass ich über häusliche Gewalt schrei­ben möchte, aber auf diese Weise wurde das noch mal besonders dringlich: Ich kam ja jeden Abend an diesen kleinen, verstörten Gesichtern vorbei. Das stellt etwas mit dir an.

Sie haben das Buch in Briefform geschrieben. Der Erzähler rechnet zugleich damit, dass seine Mutter – die, wie er, in Vietnam geboren wurde – den Brief niemals lesen wird, da sie kaum Englisch kann.

Da steckt eine gewisse Aggression drin, etwas auszusprechen, das niemals ankommen wird. Aber dieser Konflikt ist kennzeichnend für Eltern-Kind-Beziehungen. Franz Kafkas „Brief an den Vater“ hat mich da inspiriert: ein Sohn, der sich vom Vater befreien will. Der Akt, diesen Brief zu schreiben, ist ein Bekenntnis, ist ein Streit. Aber auch ein Akt der Liebe. Wenn einem die andere Person nicht wichtig wäre, würde man nicht all das erzählen. Dieser Konflikt war so greifbar in Kafkas Brief. Am Ende hat er den Brief aber nie abgeschickt! Das hat es mir angetan. Von der Form her kommt mein Roman vom Essay. Ich wollte versuchen, ob Sprache wirklich Denken und Fühlen transportieren kann. Weil der Empfänger gewissermaßen nicht da ist, liegt ein gewisser Druck auf der Sprache selbst. Was kann Sprache in unseren Zeiten leisten? Nach der Trump-Wahl gab es in den USA den stärksten Anstieg des Verkaufs von Gedichtbänden seit 9/11. Ein Beweis, dass Sprache, dass Poesie von Bedeutung sind.

In einer Passage heißt es, ein Junge auf einem pinken Fahrrad müsse das Gesetz der Schwerkraft lernen. Warum?

Als Junge auf einem pinken Fahrrad lernst du beides: das Gesetz der Schwerkraft – denn du wirst vom Fahrrad gestoßen – und das Gesetz der Maskulinität. Stereotype von Männlichkeit wollte ich mit meinem Roman aufgreifen. Als ich aber mit Verlegern in den USA sprach, wollten sie das Buch in andere Richtungen drängen: „Lass uns einen Drogenroman draus machen!“ – „Lass uns einen Migrantenroman machen!“ – „Lass uns Trevor rausnehmen!“

… den Geliebten der Hauptperson. Man wollte das Buch also auf hetero bürsten. Hatten Sie Angst, von bestimmten Dingen zu schreiben? Und welche brachten am meisten Spaß?

Vergnügen bereitet haben mir besonders die sinnlichen Details, vor allem auf der Tabakfarm. Der schwierige Teil war, das alles nicht „hochliterarisch“ aufzuladen. Lass den Sex verschmutzt sein! Auch zu Ehren all der queeren Menschen, die niemals eine Landkarte hatten, die ihnen gezeigt hätte, wohin es zum Glück geht. In Sexualkunde spricht niemand darüber, wie queere Körper Vergnügen finden. Ich wollte der queeren Kultur Tribut zollen, die auch Misserfolg als innovative Triebkraft fruchtbar macht. Wir versagen ja von Anfang an: Wir enttäuschen unsere Eltern. Wir werden den sozialen Standards nicht gerecht. Und wir versagen beim Sex, wir wissen ja nicht, wie. Ich wollte also, dass die beiden Typen im Buch erst mal verkorksten Sex haben – und sich dann gegenseitig retten.

Mit den vielen Parallelen zu Ihrem Leben laden Sie die Leser*innen ein, den Ich-Erzähler mit Ihnen zu verwechseln.

Das war ein spannendes Experiment für mich: Wird man mich als Autor ernst nehmen? Oder wird es wie eine Autobiografie gelesen? Die chinesische US-Amerikanerin Maxine Hong Kingston wollte mit „The Woman Warrior“ 1976 die Great American Novel schreiben. Basierend auf ihrem Leben, aber ganz klar ein Roman. Der Verlag hat sie überredet, das Buch als Memoiren herauszubringen. Damit es sich besser verkauft.

Ist Ihnen das auch passiert?

Manche Verleger meinten, wenn man das Buch als Memoiren umetikettieren würde, würde ich zu Ellen und Oprah in die Talkshows eingeladen. Denn Amerika will ja das „echte Leben“: Keep it real! Und einige weiße Menschen haben ein aufrichtiges Interesse zu wissen, wie es ist, nichtweiß zu sein. Doch dieses Verlangen ignoriert oft die Anliegen des Autors. Nein, danke, ich schreibe keinen Touristenführer! Ich mache Kunst.

Eine Passage beschäftigt sich damit, wie martialisch amerikanische Metaphern oft sind und wie das toxische Maskulinität produziert.

Man könnte ja sagen, das sind bloß Redensarten: „You smashed it! You killed it!“ Schlimmer wird es, wenn wir über Intimität sprechen. Sex. „I owned her. I fucked her brains out. He’s a lady-killer.“ Wie bitte reden wir von Liebe? Ich als Außenseiter habe mich gefragt: Warum ist die Metapher des Todes so beharrlich, wo es doch so viele andere gäbe? Der Mythos vom Gang nach Westen änderte, wie wir über Männlichkeit denken. Noch im 18. und 19. Jahrhundert gab es romantische Ideen. Oder vorher: Shakespeare! Die Bilder von King Henry! Der machte doch fast Crossdressing! Drag, Brüste, Blumen. Das war die Speerspitze der Männlichkeit: ein Typ in Strumpfhosen.

Sie sind der erste Akademiker in Ihrer Familie. Und der Erste, der einen Roman geschrieben hat.

Und doch komme ich aus einer Kultur des Geschichtenerzählens. Die Geschichten, die mir die Frauen meiner Familie als Kind erzählten, waren oft über die Jahrhunderte immer wieder abgewandelt worden. Meisterwerke! Ein ganzes Volk hat daran geschliffen. Diese Frauen, die keinen Fernseher hatten, hatten ihre Storys. Ihre Körper wurden zu Bibliotheken. Details, Tempo, Spannung und Zeitverlauf: All das habe ich von ihnen gelernt.

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