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Nordkoreanische Fußballerinnen„Sie wurden nicht verheizt“

Die Regisseurin Brigitte Weich hat nordkoreanische Spielerinnen porträtiert. Ein Gespräch über Fußball, Drill, Klischees und Emanzipation.

Die Nordkoreanerinnen nach der Niederlage gegen die US-Girls Bild: reuters
Interview von Markus Völker

taz: Frau Weich, sind Sie ein Fan von Nordkorea?

Brigitte Weich: Absolut. Ich bin ein Fan des nordkoreanischen Frauenfußballs.

Warum?

Weil ich die nordkoreanischen Spielerinnen lieb gewonnen habe. Durch mein Filmprojekt habe ich den Frauenfußball kennen gelernt. Das fing mit dem Asien-Cup 2003 an, wo sie gewonnen haben. Das war die Initiation.

Als Insiderin können Sie uns doch bestimmt ein paar Geheimnisse über das aktuelle Team verraten, mal abgesehen vom spektakulären Blitzschlagunfall, über den Trainer Kim in dieser Woche berichtete?

Ich kenne ein paar Spielerinnen und Trainer Kim.

Bild: Ri-Filme
Im Interview: 

Brigitte Weich wurde 1962 in Wien geboren und promovierte 1984 als Juristin an der Universität Wien. Danach betätigte sie sich als Kulturmanagerin im Filmbereich. "Hana, dul, sed - Fußball und die DVR Korea " (2010) ist ihr Debüt als Regisseurin und Produzentin. Sie lebt in Wien.

Was ist der Trainer für ein Typ?

Das Filmprojekt

Der Dokumentarfilm "Hana, dul, sed" (Koreanisch für eins, zwei, drei) von den Österreicherinnen Brigitte Weich und Karin Macher seziert die Leben von vier nordkoreanischen Fußball-Nationalspielerinnen. Sie sind Pionierinnen im Spiel mit dem Ball: Ri Jong Hi, Ra Mi Ae, Jin Pyol Hi und Ri Hyang Ok. Seit dem Jahr 2003 begleitete Weich die Frauen - insgesamt sieben Jahre lang. Weich arbeitete mit Korfilm zusammen, der staatlichen Filmagentur. Deren Mitarbeiterin Ryom Mi Hwa begleitete und überwachte die Dreharbeiten. "Sie hat über die starren bürokratischen Strukturen hinweg viele Dinge ermöglicht", sagt Weich. Der Film läuft derzeit in deutschen Kinos. (mv)

Ein netter. Natürlich tragen gerade die Trainer irrsinnig viel Verantwortung. Deswegen setzen sie sich manchmal eine Maske auf.

Und sonst?

In Nordkorea gibt es eine sehr breite und professionelle Förderung des Frauenfußballs. Seit Anfang der neunziger Jahre. Da ist er aus dem Stand erfunden und stark gefördert worden. Unsere Spielerinnen im Film gehörten zu dieser ersten Generation. Das WM-Team, das jetzt antritt, wurde ja schon zweimal relauncht. Unsere Protagonistinnen sind Anfang dreißig. Die heutigen WM-Spielerinnen sind zehn Jahre jünger.

und werden als Botschafterinnen im Trainingsanzug in die Welt geschickt.

Natürlich befördert Sport Nationalgefühle. Man sagt den kommunistischen oder diktatorischen Staaten nach, dass sie viel über diese Schiene abhandeln, weil es sonst auch nicht viel gibt, wirtschaftlich, künstlerisch oder kulturell, womit man angeben könnte. Es geht um Erfolg, Ehre und Ruhm für die Nation.

Entsprechend werden die Heldinnen des Frauenfußballs in Nordkorea gefeiert?

Da gab es eine totale Wandlung. Als unsere Spielerinnen angefangen haben, waren viele Eltern dagegen. Das war in der Gesellschaft überhaupt nicht hoch angesehen. Die Stadien waren leer. Es hat niemanden interessiert. Das hat sich jetzt geändert.

Inwiefern?

Erstens ist es für eine Frau eine gute Karriere, Fußballerin zu werden. Das bringt Ehre und auch materielle Vorteile. Und zweitens hat sich die öffentliche Wahrnehmung verändert. Ich habe selber einmal in einem krachend vollen Stadion in Nordkorea gesessen. Und wenn die Spielerinnen nach einem erfolgreichen Turnier heimkommen, dann ist entsprechend plakatiert. Es gibt einen Triumphzug durch die Stadt. Spielerinnen werden auf der Straße nach Autogrammen gefragt.

Werden die Spielerinnen politisch instrumentalisiert?

Das ist unvermeidbar. Alles ist politisch in Nordkorea. Es geht im Sport immer um die Nation. Wir sind Weltmeister. Das kennt man ja. In einer totalitären Diktatur tritt so eine Propaganda natürlich verstärkt auf.

Sie sprechen immer von „Ihren“ Spielerinnen.

Sie gehören weder mir noch bin ich überhaupt Nordkoreanerin, aber über die Identifikation findet man zu einem Naheverhältnis. Ich freue mich mit ihnen. Sie sind sehr herzliche, zugewandte Menschen und fantastische Athletinnen. Es gibt natürlich eine große Fremdheit. Ich kann kein Koreanisch. In den ersten beiden Jahren lief der Kontakt mehr über die Mimik und den Augenkontakt. Aber Nordkorea hat mich im Sturm erobert. Über vier Jahre hat das Filmprojekt gedauert und sie waren immer offen und willig, an dem Projekt zu partizipieren. Sie haben mir ihr Land gezeigt und erklärt.

Das hieß für Sie aber auch, dass Sie sich auf die Bedingungen der Nordkoreaner einlassen.

Ja. Die Bedingungen, unter denen man die Spielerinnen treffen kann, sind total reglementiert. Man kann sich dort nicht frei bewegen, alles wird beobachtet. Aber wir haben Nordkoreanerinnen sprechen können. Das kann ein normaler Tourist zum Beispiel nicht.

In Ihrem Film wird deutlich, dass sich Nordkoreanerinnen mit einer Fußballkarriere durchaus emanzipieren können.

Es gibt in Nordkorea ein sehr konservatives Geschlechterrollenbild. Das fand ich erstaunlich, weil ich dachte, im Kommunismus sind alle gleich, was sich auch auf Frau und Mann bezieht. Aber es gibt so ein Kleinfamilien-Schema. Alle heiraten. Alle kriegen Kinder. Homosexuelle gibt es offiziell nicht. Und die Frau ist die sittsame, schöne Blume, wie man sie bei uns aus den sechziger Jahren kennt. In diesem Umfeld musste sich der Frauenfußball etablieren.

Wurden die Spielerinnen arg gedrillt?

Für meine Spielerinnen war Fußball immer das Größte. Sie wurden nicht verheizt. Ich weiß, es gibt dieses Klischee. Keine von ihnen hat gesagt: Endlich muss ich nicht mehr Fußball spielen. Das war ihr Ding, obwohl es in der Gesellschaft eigentlich nicht vorgesehen war. Trotz dieser Implementierung von oben konnten die Spielerinnen ihren Lebenstraum verwirklichen.

Den mussten sie aber aufgeben, als das Team die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Athen verpasst hatte. Es wurde einfach so aufgelöst. Eine Strafmaßnahme. Was bedeutete das für die Spielerinnen?

Sie mussten in eine andere Rolle schlüpfen. Sie haben ihre Kostümchen angezogen, manche die Frisur verändert, deswegen wurden sie aber nicht zu einem Mäuschen. Sie sind weiter ihren Weg gegangen. Auch sehr selbstbestimmt. Zum Beispiel unsere Verteidigerin im Film heiratet einfach nicht. Das ist total ungewöhnlich. Ich glaube, sie ist die einzige unverheiratete Nordkoreanerin. Das muss man erst mal durchziehen. Alle anderen haben geheiratet und zum Teil auch ihre Karrieren danach im Fußball gemacht. Eine ist Trainerin geworden, eine Fifa-Schiedsrichterin. Sie haben nicht aufgegeben. Der Fußball hat ihnen die Kraft gegeben, ihr eigenes Ding durchzuziehen.

Ist der Blick des Westens auf Nordkorea zu eindimensional, zu klischeehaft?

Das Bild von den hirngewaschenen Einheitsmenschen in dieser Operettendiktatur, die alle nur dem Führer nachrennen, hat mich herausgefordert. Ich habe gedacht: Das kann doch nicht sein. Ein Mensch ist ein Mensch. Mich hat die menschliche Note interessiert. Und tatsächlich habe ich ganz viel gefunden, ganz viel eigene Gestaltungsräume und sehr individuelle Gefühle.

Haben Sie den nordkoreanischen Alltag nicht trotzdem als extrem merkwürdig empfunden?

Ja, aber sie kennen dort kein anderes Leben. Wir aus unserer Wohlstandswelt kommen dort hin und sagen: Was? Die haben kein Auto, keinen Lift, keine Heizung und kein fließendes Wasser? Keine Meinungs- und Pressefreiheit? Man muss aber auch sehen, dass sie nicht aus einem demokratischen Wohlstand in dieses Regime hineingefallen sind, denn vorher hat es eine unfreundliche Kolonialherrschaft gegeben. Sie richten sich ein Leben ein in einem für uns unlebbaren Regime.

Und schotten sich ab. Auch bei der WM in Deutschland. Warum tun sie das?

Da treffen zwei Typen aufeinander, der Westler und der Nordkoreaner, die kulturelle Missverständnisse potenzieren. Ich habe es auch erlebt, dass vor uns die Türe zugeknallt wurde. Aber danach haben sich doppelt so viele Türen wieder geöffnet. Sicher, ein westliches Team würde hier noch eine PK mehr geben und da eine Frage mehr beantworten, aber Nordkorea ist anders. Sie entziehen sich den Verwertungsmaßstäben der hiesigen Presse, die nach den drei Wochen sowieso weiterzieht zum nächsten Event. Ich habe sie nicht als schroff und abwesend erlebt, im Gegenteil.

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