Niedersachsen startet Windenergie-Ausbau: Ausgleichszahlungen für Anwohner
Niedersachsen will mehr Windräder aufstellen. Um die Akzeptanz zu erhöhen, sollen die Betreiber Kommunen und Anwohner finanziell beteiligen.
Wer im Kartenportal des „Energieatlas Niedersachsen“ des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz das Häkchen bei „Windenergieanlage“ setzt, könnte denken: Schon ganz schön zugebaut, das Land.
Rund 6.300 Anlagen sind in Niedersachsen in Betrieb, mit einer Leistung von 12,7 Gigawatt. Das ist mehr als ein Fünftel der bundesweit installierten Windenergie-Gesamtleistung. Niedersachsen ist damit Spitzenreiter in Deutschland.
Aber das ist erst der Anfang. Der Energiehunger nimmt zu. Zugleich verschärft sich die Klimakrise. Mehr Windenergie soll her, und das schnell. Damit das funktioniert, braucht es mehr Akzeptanz in Kommunen und Bevölkerung.
„Nicht zuletzt geht es um die Demokratisierung der Energiewende“, sagt Marie Kollenrott der taz, Landtagsabgeordnete der Grünen, Fraktionssprecherin für Energie und Klimaschutz. „Und wir legen hier eine Blaupause für die anderen Bundesländer und den Bund vor. Das ist eines der größten Vorhaben unserer Rot-Grün-Legislatur.“ Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, habe auch schon Interesse gezeigt.
Marie Kollenrott, Grünen-Landtagsabgeordnete
Kollenrott hat den Gesetzentwurf mitverfasst, der auch den Bau von Freiflächen-Photovoltaikanlagen neu regelt. Der Entwurf legt regionale Teilflächenziele fest, um das Generalziel Niedersachsens zu erreichen, 2,2 Prozent der Landesfläche als Windenergiegebiete auszuweisen. Zudem schreibt er die Aufstellung neuer Raumordnungspläne vor.
Sein Kernstück ist jedoch die Beteiligung von Kommunen und Bevölkerung am wirtschaftlichen Ertrag neuer Windenergieanlagen. Auf Freiwilligkeitsbasis gibt es das schon. Jetzt wird es verbindlich.
Der Anlagenbetreiber muss betroffenen Gemeinden 0,2 Cent pro eingespeister Kilowattstunde als „Akzeptanzabgabe“ zahlen, zudem den Anwohnern innerhalb eines Radius von 2,5 Kilometer 0,1 Cent. Um diese Partizipation zu gewährleisten, stehen dem Betreiber viele Wege zur Verfügung, von der Direktzahlung und der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung am Unternehmen bis zum vergünstigten Stromtarif.
„Das ist eine Beteiligung der vielen“, sagt Kollenrott und stellt eine Beispielrechnung auf: Angenommen, ein Windpark von drei Anlagen zu je 5 Megawatt erzeugt bei 2.500 Vollast-Betriebsstunden pro Jahr 37,5 Millionen Kilowattstunden Strom, brächte das der Kommune jährlich 75.000 Euro ein. Gesetzt, 500 Anwohner melden ihren Anspruch an, bekommt jeder 75 Euro pro Jahr. Meldet sich niemand, fallen die 0,1 Cent zusätzlich an die Kommune, für gemeinwohlorientierte Vorhaben. „Die Bürger sollen merken: Das ist auch mein Windrad“, sagt Kollenrott. Ende April könnte das Gesetz in Kraft treten. „Es wird große Strahlkraft haben“, hofft Kollenrott.
Horst Mangels, als Geschäftsführer der Energie 3000 Energie- und Umweltgesellschaft mbH in Alfstedt Windparkprojektierer und -betreiber, lobt den Vorstoß von Rot-Grün: „Das ist wirklich ein Vorbild. Gut, dass eine solche Akzeptanzabgabe jetzt verpflichtend ist. Man muss die Menschen vor Ort einbinden. Das macht Mühe, aber es lohnt sich.“
Hoffnung auf schnelleren Ausbau
Mangels, zugleich Geschäftsführender Vorstand des Landesverbands Erneuerbare Energien Niedersachsen/Bremen (LEE) und dadurch in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden, hat bisher 107 Anlagen gebaut, meist unter Beteiligung lokaler Investoren. Vor zwei Jahren entstand eine Enercon E-138 EP3 in Ebersdorf. „Da haben wir 71 Gesellschafter. Und wir haben die Anteile bewusst klein gehalten, damit sich möglichst viele beteiligen konnten.“
„Viele Bürger finden die Windkraftnutzung generell gut. Nur in ihrer Nachbarschaft wollen sie sie nicht unbedingt haben“, sagt Mangels. Doch er ist überzeugt: „Wenn man die Leute informiert, zu Gesprächen einlädt, ihnen etwas zurückgibt, kann man den Großteil überzeugen.“
Ob die finanzielle Beteiligung die Akzeptanz der Windkraftnutzung wirklich erhöht, wird Ergebnis einer Abwägung vor Ort sein. Schall und Schattenwurf bleiben ja als Problem bestehen, die Veränderung des Landschaftsbildes. Naturschützer werden weiter vor Bodenverdichtung und Flächenfraß warnen, vor Auswirkungen auf das Lokalklima, tödlichen Folgen für Vögel, Fledermäuse und Insekten.
Kollenrott ist überzeugt, dass sich mit dem neuen Gesetz „die Dinge beschleunigen“. Am Ende könnten die 2,2 Prozent Landesfläche sogar überschritten werden. „Es gibt Kommunen“, sagt Kollenrott, „die erklären sich schon jetzt bereit, mehr Fläche zur Verfügung zu stellen, als sie eigentlich müssten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus