Nicole Anyomi über Rassismus im Fußball: „Das war erschreckend“
Die Nationalspielerin Nicole Anyomi äußert sich zum Rassismusvorfall bei der U21-EM. Auch sie hat schon ähnliche Erfahrungen gemacht.
taz: Nicole Anyomi, nach dem Länderspiel gegen Vietnam (2:1) hat die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg Ihre Leistungen herausgehoben. Sind Sie froh, dass Sie auch im Nationalteam wieder als Stürmerin auflaufen?
Nicole Anyomi: Das liegt mir auf jeden Fall mehr. Ich bin eine Offensivspielerin, kann sicherlich auf mehreren Positionen spielen, vorne links oder rechts, aber auch auf der Zehnerposition, aber ich fühle mich in der Spitze am wohlsten.
Die 23-Jährige wurde in Krefeld geboren und debütierte für die SGS Essen mit 16 Jahren in der Frauen-Bundesliga. 2021 wechselte die 16-fache Nationalspielerin zu Eintracht Frankfurt.
Bei der EM im vergangenen Jahr haben Sie noch das Backup für Giulia Gwinn als Rechtsverteidigerin gegeben. Aber eigentlich waren Sie damit nicht glücklich?
Für mich war es damals überraschend, eine ganz neue Position erlernen zu müssen, weil ich bis dahin nie als Außenverteidigerin gespielt hatte. Ich wollte dieses Projekt gerne bei der Nationalmannschaft annehmen, um zu spielen. Man hat mir dann angesehen, dass es nicht meine ideale Rolle ist.
Sie leben in Frankfurt, einer multikulturellen Stadt. Das spiegelt sich aber im Frauenfußball in Deutschland überhaupt nicht wider. Wie können mehr Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund gewonnen werden?
Gute Frage. Viele verstecken sich noch, viele dürfen vielleicht auch nicht. Mir wurde damals von meiner Mutter auch gesagt, ich solle nicht Fußball spielen. Mein Vater hat sich dann durchgesetzt.
Warum hatte Ihre Mutter denn Vorbehalte?
Sie hat gesagt, ich sei ein Mädchen, und wollte mich lieber zum Reiten schicken, sage ich mal. Aber ich bin mit zwei Brüdern aufgewachsen und habe viel Fußball gespielt – und das wollte ich weitermachen. Mein Vater hat dann wohl bei mir ein gewisses Talent gesehen und meiner Mutter gesagt: „Lass sie weiterspielen!“
Früher haben Sie berichtet, dass sich eine ältere weiße Frau von Ihnen weggesetzt hat. Kommt Diskriminierungen dieser Art noch vor?
Solche Erfahrungen habe ich in Essen gemacht, wenn ich nach der Schule in die U-Bahn gestiegen bin. Aber jetzt nicht mehr: Frankfurt ist eine Stadt mit vielen Kulturen und Nationalitäten, da habe ich so etwas noch nicht erlebt.
Sehen Sie sich als Role Model?
Doch, warum nicht? Ich glaube schon, dass mich einige als Vorbild ansehen. Ich möchte zeigen, dass es hier auch erfolgreiche Sportlerinnen mit Migrationshintergrund gibt.
Den deutschen Fußball haben gerade die rassistischen Beleidigungen in den sozialen Medien gegen Youssoufa Moukoko und Jessic Ngankam aus der U21-Nationalmannschaft erschüttert. Sie haben etwas Ähnliches nach dem EM-Finale gegen England (1:2 nach Verlängerung) vor einem Jahr auch erlebt.
Ich habe in dem Finale einfach nach meiner Einwechslung kein gutes Spiel gemacht. Das hatte verschiedene Gründe, meine Handverletzung spielte eine Rolle, aber es lief einfach nicht. Nach dem Spiel habe ich keine schönen Kommentare bekommen, da habe ich mir natürlich Gedanken gemacht. Gott sei Dank haben mich Mitspielerinnen unterstützt. Was bei Youssoufa Moukoko und Jessic Ngenkam passiert ist, war natürlich erschreckend. Da stimme ich beiden zu: Wenn es läuft, sind wir Deutsche, wenn es nicht läuft, gilt das nicht. Das ist sehr schade in der heutigen Zeit.
Nicole Anyomi
Haben Sie die Beleidigungen bewusst gelesen damals?
Ich war nur kurz auf meinen sozialen Medien, als das auftauchte. Man will das eigentlich nicht lesen, aber dann klickt man halt schon drauf. Ich habe direkt danach die Kommentarfunktion deaktiviert.
Öffentlich darüber gesprochen haben Sie erst viel später in der Dokumentation „Born for this“. Haben Sie die Kommentarfunktion wieder aktiviert?
Ja, denn ich bin da auch stärker geworden. Ich lasse so etwas nicht mehr so stark an mich ran, aber natürlich kann man das nicht ganz verhindern.
Wenn so etwas vorkäme, würden Sie das öffentlich machen?
Das kommt auf die Situation an, dazu habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Früher habe ich so etwas nicht öffentlich gemacht. Da dachte ich immer: „Ins eine Ohr rein, zum anderen wieder raus“, aber manchmal muss man einfach etwas sagen. Insofern kann ich mit den beiden von der U21 voll mitfühlen.
Die Fifa will bei der Frauen-WM eine spezielle Software für Verbände und Spielerinnen einsetzen, die mittels künstlicher Intelligenz solche Kommentare unterbindet.
Davon habe ich gehört, das wäre sicherlich ein Mittel, mit dem gearbeitet werden sollte.
Haben solche Beleidigungen zugenommen in letzter Zeit?
Nein, gar nicht.
Auch die erstmals mit 32 Teams ausgespielte WM wird in Australien und Neuseeland ein Zusammentreffen der Kulturen. Deutschland hat mit Marokko, Kolumbien und Südkorea eine besonders bunte Gruppe erwischt.
Ich freue mich deshalb sehr auf die WM, das ist unter diesem Aspekt noch mal etwas ganz anderes als eine EM, weil man auf Nationen anderer Kontinente trifft – auch unbekannte Gegner.
Jetzt bestreiten Sie mit Deutschland die WM-Generalprobe gegen Sambia, das erste WM-Spiel gegen Marokko, was zu Ihrer Vita passt.
Ja, irgendwie schon. Es ist schön, jetzt gegen zwei afrikanische Mannschaften zu spielen. Wobei ich aber über deren Spielweise gar nicht so viel sagen kann, weil ich noch nie gegen solche Teams gespielt habe. Aber ich weiß, dass wir auf schnelle, physisch starke Spielerinnen achtgeben müssen, die einen anderen Fußball spielen als wir Europäer.
Ihre Mutter kommt aus Togo, ihr Vater aus Ghana: Sind Sie schon mal in den Heimatländern Ihrer Eltern gewesen?
Ich habe jetzt wirklich im Winter vor, mit meiner Mutter oder allein dorthin zu fliegen. Das erste Mal mit 23 Jahren.
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