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Inszenierungen der HamasZynische Choreografie

Nicholas Potter
Kommentar von Nicholas Potter

Die Hamas nutzt die Freilassung weiterer Geiseln für den Krieg der Bilder. Aber es gibt andere Bilder, die mächtiger sind.

Inmitten bewaffneter Hamas-Kämpfer: Die freigelassenen Geiseln Foto: Hadi Daoud / APA Image

E s ist ein sorgfältig inszeniertes Spektakel: Als die vier israelischen Frauen nach 477 Tagen Geiselhaft aus dem Autokonvoi steigen, jubelt die schaulustige Menge auf der Publikumstribüne in Gaza. Eine Palästinenserin wirft Konfetti auf die schwer bewaffneten Hamas-Kämpfer mit Sonnenbrillen und Sturmhauben.

Liri Albag, Karina Ariev, Daniella Gilboa und Naama Levy wurden am 7. Oktober 2023 in blutverschmierten Pyjamas entführt. Bei ihrer Freilassung am Samstag werden sie von der Hamas in dunkelgrünen Uniformen, die an militärische Kleidung erinnern sollen, auf einer Bühne vorgeführt. Im Hintergrund hängt ein großes Transparent, auf Arabisch und Englisch steht darauf: „Palästina – der Sieg des unterdrückten Volks gegen den Nazizionismus“.

Die Szenen wurden in einem Propagandavideo ­zusammengeschnitten, vertont mit Siegesmusik, das nun die Runde auf dem Messengerdienst Tele­gram macht. Und diese bewusst gewählten Bilder sollen im Gegensatz zu den chaotischen Szenen der Geisel­übergabe in der vergangenen ­Woche stehen, als Hunderte Menschen die Fahrzeuge des Roten Kreuzes ­bedrängten.

Es ist eine zynische ­Choreografie: Gaza liegt nach 15 Monaten Krieg in Trümmern, laut UNO sind 60 Prozent der Gebäude im Küstenstreifen beschädigt oder zerstört. Laut der von der Hamas geleiteten Gesundheits­behörde, die zwischen Kämpfern und Zivilisten nicht unterscheidet, sind fast 50.000 Menschen tot. Doch die Terrororganisation will mit ihrer Show vor allem Stärke und Kontrolle zeigen – und den Waffenstillstand, der am 19. Januar in Kraft getreten ist, als Sieg feiern. Denn schließlich ist es auch ein Krieg der Bilder.

Aber es gibt andere Bilder, die mächtiger sind. Es sind die der Mütter der Geiseln, die weinend ihre Kinder wieder in die Arme nehmen, nachdem sie 15 Monate lang für deren Freilassung kämpften. Die Familien 87 weiterer Geiseln kämpfen noch immer. Und manche wissen nicht, ob ihre Lieben überhaupt noch leben.

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Nicholas Potter
Redakteur
Nicholas Potter ist Redakteur bei taz zwei. Aktuell ist er Cramer & Kollek Fellow des Internationalen Journalistenprogramms bei der Jerusalem Post. Seine Artikel sind zudem u.a. bei Guardian, Haaretz, Tagesspiegel und Jüdische Allgemeine erschienen. Er ist Mitherausgeber des Buches "Judenhass Underground: Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen", 2023 im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Er studierte in London und Berlin.
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9 Kommentare

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  • Was den Krieg der Bilder angeht, tun sich beide Seiten nicht viel. Die Bilder der wieder vereinten Familien sind ebenso gezielt für die eigene Seite ausgewählt und in die sozialen Medien geworfen.



    Wer über das Tagesgeschäft hinaus blickt, kann ja einmal in den nächsten Wochen die Berichte der Gefangenen beider Seiten über deren Behandlung sammeln und vergleichen. Und auch die Bilder : Im Gaza Streifen herrscht seit Monaten Hunger. Aber es sind die Gefangenen Israels denen man die schlechte Ernährung ansehen kann.



    Und man kann auch einmal erwähnen, dass sich Israel nach Bedarf neue Gefangene im WJL für den etwaigen Austausch einfangen kann.

  • Wäre es nicht legitim auch die andere Seite zu betrachten? Wo isr. Soldaten sich schaulustig um Bilder ihrer Kameraden ringen, wenn diese Palästinenser auf ihre gepanzerten Wagen schnallen um dann in WJL in paläst. Dörfern rumzufahren, oder wenn paläst. Gefangene von isr. Soldaten als "bobby-traps"-Auslöser benutzt werden? Alles Mittel und Aktionen die nicht vereinbar mit dem intern. Kriegsrecht sind. Und dann dazu auch mal Worte erwähnen, von den paläst. Gefangenen in ihrer schieren Zahl die wieder Freigelassen wurden. Nachdem sie teils Monte/Jahre in isr. Gefängnissen, meist ohne Anklage und Kontakt zu Familien ihr Leben fristeten? Ach btw. gleich der nächste verstoß gegen intern. Recht.

    Sie sprechen vom "Krieg der Bilder", schade das sie nur eine Seite dieses Krieges gezeigt haben.

  • Vielen Dank für diese neue Perspektive und tiefgehende Analyse. Es ist doch immer wieder beruhigend, dass in der taz noch über echte Politik geredet wird.

  • Das die Hamas in der Lage ist solche Selbstbeweihräucherungsbilder in Gaza zu produzieren ist weniger erstaunlich, als die Bereitschaft vieler Palästinenser und ihrer Freunde sie dafür immer noch weltweit zu feiern. Das ist dann wirklich Zynismus angesichts der von den Tunnelkriegern zu verantwortenden Lage vor Ort.

  • "Denn schließlich ist es auch ein Krieg der Bilder."



    So ist es. Aber das gilt für beide Seiten.

  • Der Kontrast zwischen den Szenen in Gaza und der Ankunft in Israel könnte in der Tat verstörender nicht sein und macht mir persönlich einmal mehr klar, wie stark und verletzlich zugleich, wichtig und unverhandelbar die Existenz des einzigen demokratischen Staates in der Region ist. Nie im Leben möchte ich auf Personen treffen wie sie sich bei der Übergabe in Gaza selbst inszeniert haben, wie stark fühle ich dagegen mit den Familien, den Menschen in Israel in diesen Tagen.

  • Sieht so aus als hätte die Hamas immer noch nichts gelernt.

    Die Situation der Palästinenser ? Schlimmer denn je.

    Doch die Hamas scheint ihren alten Trip weiter durchziehen zu wollen.

    Bomben basteln, Tunnel buddeln, exzessives Macho-Outfit etc.

    Oje oje. Warum muss man wenn man ein paar arme weibliche Geiseln endlich freilässt immer noch den starken Max markieren?

    Herr, gebe ihnen ein paar tolle Sportwagen, dass sie ihre Nummer weniger tödlich für andere abziehen können!

    Freiheit für die Palästinenser und vor allem Palästinenserinnen! Von Hamas!

    • @shantivanille:

      Die Formulierung, “die” Palästinenser hätten nichts gelernt, ist grenzenlos zynisch: Halten Sie eine Strafexpedition, die inzwischen von etlichen Experten, Menschenrechtsexperten und sogar einigen europäischen Regierungen als genozidal betrachtet wird, für eine pädagogische Maßnahme? Dann sind wir wieder auf dem Niveau der Hunnenrede angelangt - was nicht besser wird, wenn man solche Einlassungen mit rassistischen Klischees (Macho, Sportwagen etc.) garniert und nebenbei auch noch den Gesamtkontext des NO-Konflikts und die Rolle Israels als Besatzungsmacht ausblendet.

  • Sie kritisieren die falschen. Daß eine bestens finanzierte und international unterstützte Organisation wie die Hamas über die Fähigkeit und Mittel zur Herstellung wirkungsvoller Propagandabilder und -filme verfügt, sollte niemanden überraschen. Die Frage muß gestellt werden, warum Qualitätspresse und ÖR-Medien diese Erzeugnisse ausliefern, als wären es sauber recherchierte journalistische Berichte. Diese Methode, sich die Faulheit und Kritiklosigkeit der Berufsjournalisten zunutze zu machen, ist keineswegs neu. Erfunden wurde sie möglicherweise von Greenpeace mit ihren perfekt sendefähig angelieferten Beiträgen.