Neuwahlen in den Niederlanden: Holland steht an einer Weggabelung
Nicht noch eine Amtszeit von Regierungschef Mark Rutte ist eine schöne Aussicht. Ob es nach ihm besser werden würde, bleibt jedoch fraglich.
W enn eine Regierung zurücktritt, ist damit in der Regel die Hoffnung auf einen Neuanfang verbunden. Reinen Tisch machen, lange aufgeschobene Probleme angehen. Die Niederlande, deren Mitte-rechts-Regierung am Wochenende zerbrach, bilden in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Gute Gründe zur Hoffnung gibt es allerdings nicht.
Das Gros der Bevölkerung hat das Kabinett Rutte IV., das nur antrat, weil es keine andere funktionierende Mehrheit gab, reichlich satt. Das Vertrauen in Politik, in Parteien und staatliche Instanzen ist fundamental angeschlagen: durch den beispiellosen Kindergeld-Skandal, nachlässigen Umgang mit den Menschen in Groningen, als dort wegen der Erdgasförderung die Erde bebte. Und durch Ruttes kreativen Umgang mit der Wahrheit. So ist die Erleichterung im Land spürbar.
Leider ist die Sache mit dem Neuanfang nicht so einfach. Zunächst könnte die Macht der Gewohnheit im Herbst dazu führen, dass Ruttes marktliberale VVD wie stets seit 2010 die Wahl erneut gewinnt. So regelmäßig die Niederländer*innen seine Regierungen verfluchen, so hartnäckig bleibt doch die Bereitschaft bestehen, sich trotz Eurokrise oder Inflationsgalopp von der VVD den Gürtel enger schnallen zu lassen. Dass diese zudem auf scharfem Rechtskurs ist, hat der jüngste Streit um die Asylpolitik gezeigt.
In welche Richtung das Land geht, ist freilich derzeit völlig unklar. Auszuschließen ist nämlich nicht, dass die Bauern-Bürger-Bewegung, eine konservative Protestpartei, die im März die Provinzwahlen klar für sich entschied, auch im Parlament die stärkste Kraft wird. Oder dass der absehbare Wahlkampf um eine Migrationsbegrenzung den Rechtspopulisten Auftrieb gibt.
Sicher ist im Augenblick nur: die Niederlande stehen an einer Weggabelung. Für die linken Parteien, zumal das Projekt einer Zusammenarbeit der Partij van de Arbeid und GroenLinks, kann dies eine Chance bedeuten. Sie kommt früher als erwartet. Doch auch in den Niederlanden gibt es Resonanzraum für einen Wahlkampf mit sozialem und ökologischem Schwerpunkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen