Regierungskrise in den Niederlanden: „Teflon-Mark“ zieht die Reißleine

Nach dem Bruch seiner Mitte-rechts-Koalition will der niederländische Premier Rutte bei Neuwahlen nicht mehr antreten. Viele Wäh­le­r begrüßen das.

Mark Rutte steht lächelnd vor einer orangefarbenen Wand mit dem Logo der VVD

Mark Rutte hat fertig und verlässt die Politik Foto: Patrick Post/ap

AMSTERDAM taz | Die Woche nach dem Sturz der niederländischen Regierung begann mit einem Paukenschlag: „Gestern Morgen habe ich die Entscheidung getroffen, dass ich nicht mehr als Spitzenkandidat der VVD zur Verfügung stehe“- mit diesen Worten eröffnete der zurückgetretene Regierungschef Mark Rutte am Montag seine Erklärung an das Parlament.

„Beim Antritt eines neuen Kabinetts nach den Wahlen werde ich die Politik verlassen“, sagte er. Rutte, der bereits seit 2010 im Amt ist, betonte, die Niederlande seien das einzige, was ihn motiviere, seine eigene Position sei dem allen dabei völlig untergeordnet.

Unmittelbar nach dem Zerbrechen seiner Mitte-rechts-Koalition hatte er noch angekündigt, erneut kandidieren zu wollen. Den Staffelstab nun weiterzugeben, fühle sich gut an, so der 56-jährige Rutte. Bis zur Vereidigung einer neue Regierung will er das Amt weiter kommissarisch ausüben. Da Koalitionsverhandlungen in den Niederlanden meist komplex und langwierig sind, dürfte der endgültige Abschied nicht vor dem Frühjahr anstehen. Die Neuwahlen sollen im November stattfinden.

Als unmittelbare Folge von Ruttes Erklärung zog die Opposition den eigentlich geplanten Misstrauensantrag gegen ihn zurück. Damit wollten So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen und Links-Grüne in einer Parlamentsdebatte über den Sturz der Regierung einen sofortigen Abschied Ruttes erwirken. Nach seinem freiwilligen Rückzug ließen sie verlauten, eine „neue Zeit“ sei angebrochen. Die PvdA-Fraktionsvorsitzende Attje Kuiken sprach von „frischer Luft“.

Krasser Widerspruch

Die Anerkennung, die Rutte in der Folge selbst von schärfsten politischen Rivalen wie Geert Wilders bekam, hatte etwas Versöhnliches. Sie steht jedoch im krassen Widerspruch zu einer Umfrage des TV-Magazins „EenVandaag“ am vergangenen Wochenende: Demnach sind drei Viertel der Befragten dagegen, dass Rutte nach den Neuwahlen ein fünftes Mal als Premierminister antritt.

Dieses Ergebnis spiegelt eine weitverbreitete Stimmung im Land wider. Spätestens seit Ruttes Vorgängerregierung 2021 wegen des Kindergeldskandals zurücktrat, stößt er bei einem großen Teil der Bevölkerung auf Abneigung. Dass er danach mit einer identischen Koalition ins Amt zurückkehrte, verstärkte dieses Unbehagen. Mehrfach balancierte er in Parlamentsdebatten am Rande des Abgrunds, Misstrauensanträge häuften sich. „Teflon-Mark“, wie man ihn seit jeher nannte, überstand sie alle.

Der Aura, dass vermeintlich nichts an ihm kleben bleibe und ihm etwas anhaben könne, wurde dabei jedoch immer mehr vom Bild eines Premierministers untergraben, der an seinem Amt klebt und sich durch einen flexiblen Umgang mit der Wahrheit aus der Bedrängnis zu retten versucht. Der Ausdruck, er habe an bestimmte Situationen „keine aktive Erinnerung“, wurde zu einem geflügelten Wort.

Dass einem gewieften Politik-Profi wie Rutte sein Instinkt abhanden kommt und er den Zeitpunkt zum Rückzug derart offensichtlich verpasst, zeigt: die Teflon-Schicht ist ab. Das Ende der Regierung und sein nun verkündeter Abschied sind das späte Eingeständnis dieser Erkenntnis.

Ambivalentes Vermächtnis

Zurückbleiben wird ein ambivalentes Vermächtnis. Rutte hat in seinen Amtszeiten das Land durch Eurokrise und Coronapandemie gelotst, freilich zum Preis brettharter Austerität, der Verarmung vieler Bür­ge­r*in­nen sowie einer bisweilen erratischen Virusbekämpfung. Er ist aber auch der Premier des Kindergeldskandals und der Ignoranz gegenüber der Groninger Bevölkerung, die wegen der durch die Erdgasförderung ausgelösten Erdbeben um ihre Sicherheit fürchtete.

Rutte ist das erklärte Feindbild einer nach rechts offenen Protestbewegung, die seit Jahren durch das Land schwappt und mit dem Slogan „Oprutte!“ (in Anspielung an „oprotten“ – „sich verpissen“) seinen Abschied fordert. Zugleich war er – selbst am Tag, als er seinen Rückzug verkündete, sah er noch harmlos wie ein Konfirmand aus – bemüht, einem wachsenden Populismus mit barschen Aussagen gegen weitere europäische Integration oder Zuwanderung das Wort zu reden. Das hat nun zum Ende seiner politischen Laufbahn geführt.

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