Neuwahl in Berlin: Die drei??? und das Rote Rathaus
Berlin wählt – schon wieder. Wer hat Chancen auf den Sieg?
Der bodenständige Aufsteiger
Das war der Ritterschlag. Ein Porträt im jüngsten Spiegel, das hatte Kai Wegner (50) zuvor in über drei Jahrzehnten Politikerleben nicht geschafft. Und noch nicht einmal ein schlechtes, sondern eines, das den CDU-Spitzenkandidaten als sehr bodenständigen Antiintellektuellen beschreibt, der Berlin nie länger verlassen hat, was Wegner als Auszeichnung empfand.
An ihm gab es in den letzten Tagen vor der Wahl kein Vorbeikommen. Immer höher waren die Umfragewerte seiner CDU gestiegen, immer weiter blieben SPD und Grüne zurück. 1999, vor fast 24 Jahren, war die CDU letztmals siegreich aus einer Abgeordnetenhauswahl hervorgegangen.
Wegner kommt aus dem Westberliner Bezirk Spandau, der sich selbst gerne als eigenständige Kommune sieht. Seine Parlamentskarriere begann 1995 auf Bezirksebene, ging vier Jahre später im Abgeordnetenhaus weiter und führte ihn 2005 mit 33 Jahren in den Bundestag. Kaum 14 Kilometer liegen zwischen diesen drei Stationen. Kurs auf die Spitzenkandidatur nahm Wegner 2019 auf, als er die damalige CDU-Landeschefin Monika Grütters aus dem Amt drängte.
Die war zwar überregional als Kulturstaatsministerin sehr anerkannt, interessierte sich aus Sicht vieler Parteimitglieder aber zu wenig für Berliner – oder Spandauer – Politik. Lange wurde Wegner für seinen Regierungsanspruch belächelt, doch nach der nun zu wiederholenden Landtagswahl 2021 bescheinigten ihm selbst Kritiker einen Teilerfolg: Er lag trotz des miserablen Trends der parallelen Bundestagswahl nur knapp hinter den zuvor weit höher gehandelten Grünen.
Wie kommt er ins Rote Rathaus?
Anders als Bettina Jarasch (Grüne) und Franziska Giffey (SPD) hat Wegner mehrere Optionen, ins Amt zu kommen – vorausgesetzt, sein Aufwärtstrend hält genauso an wie der Abwärtstrend der anderen. Der CDU-Mann könnte SPD wie Grünen eine Zweierkoalition anbieten und abwarten, wer mehr zu bieten hat. Die FDP spielt dabei keine Rolle: Mit ihr reicht es nicht und für ein anderes Bündnis braucht Wegner sie mutmaßlich nicht.
Was ändert das?
Innenpolitisch anders als gelegentlich dargestellt nicht viel: Der polizeinahe und auf konsequente Strafverfolgung auch für Klimakleber setzende Kurs der SPD-Innensenatorin, gestützt von Regierungschefin Franziska Giffey, ist kaum zu überbieten.
Anders ist es in der Verkehrspolitik. Zwar lehnt auch die SPD ein breites Autoverdrängen ab. Doch Wegner will wie die FDP einen Weiterbau der Stadtautobahn A100. Den hat zwar nicht Giffey persönlich, aber ihr SPD-Landesverband im Sommer 2022 bei einem Parteitag abgelehnt. Eine Koalition muss daran aber nicht scheitern: Schon die aktuelle rot-grün-rote Koalition hatte den Weiterbau 2021 nicht ausgeschlossen, sondern die Beschäftigung damit nur in die nächste Legislaturperiode vertagt. Zudem sind Planung und Bau allein Sache der Bundesregierung. Stefan Alberti
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Die getriebene Landesmutter
Franziska Giffey wäre gerne Berlins Landesmutter. Ihre Partei unterstützt sie dabei mit Kräften: „Weil sie es kann“ steht auf den SPD-Wahlplakaten, oder einfach nur: „Unsere Regierende“. Doch passt eine solche Übermutti zu Berlin mit seinen notorisch motzenden Menschen?
Bislang jedenfalls konnte Giffey im Wahlkampf nicht groß punkten. In Umfragen liegt sie meist knapp unter 20 Prozent und damit hinter ihrem Wahlergebnis von 2021. Meist reicht das für Platz zwei, nach CDU, aber vor ihrer Verkehrssenatorin und Widersacherin im Wahlkampf, Bettina Jarasch (Grüne).
Dabei hat die einstige Bundesfamilienministerin zumindest zu Beginn der heißen Phase klug agiert, als die Debatte um die Ausschreitungen an Silvester in eine populistische Integrationsdebatte umzuschlagen drohte. Giffey hat sich entschieden gegen pauschale Vorverurteilungen gewandt, gleichzeitig harte und schnelle Strafen gefordert. Ausgezahlt hat sich das aber nicht, im Gegenteil: Mit der Debatte begann der unerwartete Höhenflug von CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner.
Wie kommt sie ins Rote Rathaus?
Stärkste Kraft wie 2021 wird die SPD wohl nicht mehr werden. Das muss sie aber auch gar nicht, damit Giffey Regierende Bürgermeisterin bleibt. Solange ihre Partei vor den Grünen liegt und die Linke nicht zu viel verliert, reicht es erneut für ein rot-grün-rotes Bündnis unter Giffeys Führung.
Die Wiederholung
Als am 26. September 2021 parallel zur Bundestagswahl die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus stattfand, ging einiges schief: fehlende Stimmzettel, zu wenig Wahlurnen, lange Schlangen vor den Wahllokalen. Das Berliner Verfassungsgericht entschied, die Wahlen zu wiederholen. Am 12. Februar ist es so weit.
Die Umfragen
Im Herbst lagen CDU, SPD und Grüne noch alle bei rund 20 %. Zuletzt setzte sich die CDU deutlich ab (24 bis 26 %) vor SPD (18 bis 21 %) und Grünen (etwa 18 %). Die Linke liegt bei rund 11 %, die FDP bei rund 6 %.
Diese Regierungsoption ist, allem Wahlkampfgetöse zum Trotz, auch für Giffey die naheliegendste Option. So müssten bei gleichem Zieleinlauf wie 2021 keine langwierigen Koalitionsverhandlungen geführt werden mit Grünen und Linken. Dieser Zeitfaktor ist wichtig, denn da es sich um eine Wiederholungswahl handelt, läuft die bisherige Legislaturperiode weiter. Heißt: Im Herbst in drei Jahren wird schon wieder gewählt. Für die rot-grün-rote Regierung bedeutet das auch: Sie muss in diesen drei Jahren wirklich liefern und einige Erfolge vorweisen können – sonst wäre eine weitere Neuauflage des linken Bündnisses wohl kaum mehr vermittelbar.
Was ändert das?
Erfolg heißt in Giffeys Fall: Sie muss bauen, bauen, bauen. Denn sie hatte die Wohnungs- und Mietenpolitik zur Chefinnensache erklärt und 20.000 neue Wohnungen versprochen – pro Jahr. So will sie zudem verhindern, dass der Druck weiter wächst, den erfolgreichen Enteignungsvolksentscheid umzusetzen. 2022 hat Rot-Grün-Rot das Bauziel deutlich verfehlt. Und auch für 2023 sieht es trübe aus, nachdem Berlins größter Wohnungseigentümer Vonovia alle neuen Bauprojekte gestoppt hat.
Darüber hinaus hat sich Giffey zum Ziel gesetzt, die Verwaltung zu digitalisieren, schneller zu machen und den Stau bei den Bürgeramtsterminen aufzulösen. In diesem Bereich immerhin gibt es erste Fortschritte.
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Die gescheiterte Brückenbauerin
Bettina Jarasch, 54, beschreibt sich gerne als Brückenbauerin. Dieser Begriff soll sagen: Ich kann verschiedene Lager zueinanderbringen. Diese Selbsteinschätzung ging auch schon mal komplett daneben: „Ich bin eine Brückenbauerin“, sagte Jarasch auch, als sie nach fünf Jahren als Landesvorsitzende 2017 Spitzenkandidatin der Berliner Grünen für die Bundestagswahl werden wollte. Das überzeugte beim Parteitag 70 Prozent nicht – die stimmten lieber für die heutige Bundesfamilienministerin Lisa Paus vom linken Parteiflügel.
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Die Brückenbauerei recycelte Jarasch, als die Grünen sie völlig überraschend als Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2021 nominierten. Man präsentierte Jarasch, zuvor fast vier Jahre Hinterbänklerin im Landesparlament, als lagerübergreifende Kompromisskandidatin. Noch drei Monate vor der Wahl lag sie mit den Grünen weit vor der SPD, fiel dann aber deutlich zurück, nur knapp vor der CDU, und wurde in der neuen rot-grün-roten Landesregierung nicht Chefin, sondern für Verkehr, Umwelt und Klima zuständig.
Wie kommt sie ins Rote Rathaus?
„Ich werde diese Chance nutzen“, versprach Jarasch ihrer Partei im taz-Interview, nachdem das Verfassungsgericht im Herbst die Weichen Richtung Wiederholungswahl gestellt hatte. Danach sah es auch noch im Januar aus – die Grünen lagen teils deutlich vor der SPD. Das hieß zugleich: vorne im linken Lager, das in diesen Umfragen noch eine sichere Mehrheit hatte, um sie im Parlament zur Regierenden Bürgermeisterin zu wählen, dem offiziellen Titel der Berliner Ministerpräsidentin.
Inzwischen aber ist zum einen die SPD wieder auf Augenhöhe, zum anderen ein künftige links-grüne Mehrheit im Parlament auf der Kippe. Grün-Rot-Rot aber ist Jaraschs einzige Chance, den Nr.-1-Job in der Regierung zu übernehmen: Für eine Ampelkoalition ist die FDP zu schwach, und bei einem Bündnis mit der umfragemäßig weit vorn liegenden CDU wäre sie nur kleiner Partner.
Was ändert das?
Sollte es am Ende doch klappen, stünde Jarasch unter Druck, Klimaschutz allenthalben den Vorrang zu geben. Erst jüngst änderten die Grünen ihre Haltung zu einem Ende März anstehenden Volksentscheid, der darauf drängt, Berlin bis 2030 und nicht wie von der Landesregierung beschlossen erst 2045 klimaneutral zu machen. Als nicht umsetzbar hatten die Grünen mit SPD und Linkspartei diese Forderung in der Regierung abgelehnt.
Nun wünschen sie dem Volksentscheid – auch unter Druck durch den parteiinternen Streit um die Lützerath-Räumung – in ihrem Wahlprogramm viel Erfolg. Jarasch sagt, sie wolle Autos nicht verbieten, will aber den Platz dafür beschneiden. Mit der SPD ist aber in der jetzigen Koalition eine Halbierung der Parkplätze genauso wenig zu machen wie eine sonstige Verdrängung von Autos.
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