Neues Polizeigesetz in Niedersachsen: Eitelkeiten und Paranoia
Der Niedersächsische Landtag verabschiedet ein härteres Polizeigesetz. Nicht ohne einen deftigen Schlagabtausch zwischen den Abgeordneten.
Mit seinen Worten begründet der als Hardliner geltende Sicherheitspolitiker („Lieber ein harter Hund als ein Warmduscher“ – Schünemann über Schünemann) das Polizeigesetz, das der Staatsmacht mehr Rechte einräumt. Kritiker*innen indes sehen darin einen Vorstoß, Bürgerrechte massiv zu beschneiden.
Am Dienstag hat der Landtag nach einer lebhaften Debatte das „Gefahrenabwehrgesetz“ mit den Stimmen von CDU und SPD angenommen. Mit diesem Ergebnis war zu rechnen. Seit etwa einem Jahr debattiert Niedersachsen über die im Gesetz vorgesehenen 35 Tage Präventivhaft für Menschen, von denen man annimmt, dass sie demnächst eine Straftat begehen werden. Ebenso im Gesetz enthalten: Überwachung von Demos und anderen öffentlichen Veranstaltungen, Filmen mit Bodycams an Polizeiuniformen, automatisches Scannen von Autokennzeichen sowie der Einsatz von Staatstrojanern auf privaten Computern und Smartphones.
All das ist den Grünen und der FDP ein Dorn im Auge, die Fraktionen stimmten erwartungsgemäß gegen das Gesetz und wiederholten ihre Drohung, eine Normenkontrollklage einzureichen. Ihnen an die Seite gesellte sich nun überraschenderweise die AfD, die das Gesetz zwar ebenfalls ablehnt, weil es nicht hart genug sei. Zudem fehlt der Fraktion der Einsatz von Elektroschockern. Der Klage vor dem Staatsgericht in Bückeburg würde sich die Partei aber gern anschließen.
5 Stimmen fehlen zur Normenkontrollklage
Das bringt Grüne und FDP in die Bredouille. Damit eine solche Klage vom Staatsgericht angenommen wird, brauchen die Kläger*innen ein Fünftel der Stimmen des Landtags, das wären 28. Gemeinsam haben die beiden Fraktionen aber nur 23 Stimmen. Dass Grüne und FDP sich die fehlenden 5 Stimmen von der AfD beschaffen, ist relativ unwahrscheinlich. So könnte die angekündigte Klage eher eine Drohung bleiben.
In ihrer Kritik am Gesetz zeigten sich Grüne und FDP weiterhin unnachsichtig. Für den Grünen Belit Onay ist es ein „Desastergesetz“. „Mit dem Staatstrojaner macht sich der Staat selbst zum Hacker“, sagte der innenpolitische Sprecher seiner Partei: „Grundrechte stehen unter Technikvorbehalt.“
Der FDP-Abgeordnete Stefan Birkner bewertete das Polizeigesetz als „handwerklich extrem schlecht“ und zudem als miesen Kompromiss zwischen CDU und SPD: „Die SPD hat sich von der CDU treiben lassen.“ Damit zielte Birkner auf das schlechte Verhältnis zwischen dem aktuellen SPD-Innenminister Boris Pistorius und seinem CDU-Vorgänger Schünemann ab.
„Schauen Sie sich doch mal Ihren Auftritt an“
Die beiden lieferten sich gleichfalls einen Schlagabtausch. Es sei nicht immer einfach zwischen ihm und Pistorius gewesen, sagte Schünemann: „Es geht hier aber nicht um Eitelkeiten.“ Das sorgte für lautes Lachen in den Grünen-Reihen. Birkner von der FDP hakte ein: „Es geht nicht um Eitelkeiten? Schauen Sie sich Ihren Auftritt doch mal an, Herr Schünemann.“
Überzogene Redezeiten, Zwischenrufe, Zwischenfragen. Landtagspräsidentin Gabriela Andretta hat manche Mühe, die Wogen zu glätten: „Ich bitte um Ruhe.“
Am Ende sitzt Innenminister Pistorius an seinem Platz, mit hochrotem Kopf und nach Sätzen wie diesem: „Ich leide nicht an Paranoia wie manch anderer aus diesem hohen Hause“.
Die namentliche Abstimmung dauert dann ganze acht Minuten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Hamburg und die Kühne-Oper
Als das Wünschen noch geholfen hat