Neuer türkischer Oppositionskandidat: Mobilisierende Wechselstimmung
Die türkische Opposition hat sich auf den Präsidentschaftskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu geeinigt. Mit ihm hat sie eine echte Chance, Erdoğan zu schlagen.
D er Nominierungsprozess eines gemeinsamen Gegenkandidaten zum türkischen Präsidenten Erdoğan ist gerade noch einmal gut gegangen. Dass sich am Ende dann doch sechs Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten einigten, ist letztlich wichtiger als der Name dieses Kandidaten.
Schaut man allein auf die Personen, die zur Auswahl standen, ist der Vorsitzende der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, nicht unbedingt der beste Kandidat, um gegen Erdoğan anzutreten. Er ist kein so begnadeter Wahlkämpfer und hat der aggressiven Rhetorik Erdoğans oft zu wenig entgegenzusetzen. Das war auch der Grund, warum Meral Akşener, die Vorsitzende der rechten İyi Parti, Kılıçdaroğlu zunächst nicht akzeptieren wollte.
Am Ende aber ist sie in das Bündnis zurückgekehrt, weil ein Wahlsieg der Opposition im Mai nur möglich sein wird, wenn der Verbund der sechs sehr heterogenen Oppositionsparteien zusammen bleibt. Es ist das große Verdienst von Kemal Kılıçdaroğlu, dies früh erkannt und konsequent daran gearbeitet zu haben. Da nun auch die kurdisch-linke HDP, die formal nicht zum Sechser-Bündnis gehört, signalisiert hat, sie könnte auf einen eigenen Kandidaten verzichten und stattdessen Kılıçdaroğlu unterstützen, besteht jetzt eine realistische Chance, Erdoğan tatsächlich zu schlagen.
Das Erdbeben hat seinen Ruf als Modernisierer begraben
Denn der Langzeitherrscher ist angeschlagen. Zuerst die Wirtschaftskrise und die hohe Inflation haben sein Image, er würde die Türkei reich machen, nachhaltig beschädigt. Die immensen menschlichen und materiellen Verluste durch das Erdbeben haben dann auch seinen Ruf als Modernisierer der türkischen Infrastruktur buchstäblich unter sich begraben.
Gegen die Verzweiflung nach dem Erdbeben ist es der Opposition nun gelungen, einen Hoffnungsschimmer zu setzen. In der Türkei ist tatsächlich eine Wechselstimmung entstanden, weil die Opposition jetzt selbst daran glaubt, dass sie gewinnen wird. Das war in den vergangenen 20 Jahren der Erdoğan-Herrschaft nie der Fall – und es wird eine sehr mobilisierende Wirkung haben.
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