Neuer Streit um Brexit: In Brüssel schrillen Alarmglocken
Erst drohte Großbritannien, jetzt die EU. Die Verhandlungen über ein Brexit-Handelsabkommen könnten doch noch scheitern.
Die „volle Umsetzung“ des Austrittsvertrags sei „eine Vorbedingung“ für die Fortsetzung der Gespräche, erklärte ein EU-Sprecher am Montag in Brüssel. „Alles, was unterschrieben wurde, muss respektiert werden“, sagte Chefunterhändler Michel Barnier. Sogar Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schaltete sich ein. Das Irland-Protokoll sei wichtig für den Erhalt des Friedens und des Binnenmarkts, teilte sie mit.
Zuvor war bekannt geworden, dass die britische Regierung ein Gesetz plant, das dem Austrittsvertrag widerspricht. Laut Financial Times würde das sogenannte Binnenmarktgesetz die Zusagen zu Irland und Nordirland teilweise aushebeln.
Der Bericht ließ in Brüssel die Alarmglocken schrillen, denn er rührt an einen wunden Punkt: Das zu Großbritannien gehörige Nordirland war von Anfang an ein Stolperstein in den Brexit-Verhandlungen. Brüssel will verhindern, dass eine „harte Grenze“ zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland entsteht. Deshalb war zunächst geplant, dass Großbritannien bis zu einem Handelsabkommen in der Zollunion mit der EU bleibt.
Dieser sogenannte „Backstop“ hätte eine Grenze unnötig gemacht, da sowohl in Irland als auch in Nordirland dieselben (europäischen) Handelsregeln gegolten hätten. Der britische Premier Boris Johnson lehnte das jedoch vehement ab. Nach Gesprächen mit der irischen Regierung fand Johnson im vergangenen Herbst eine andere Lösung.
Sie sieht vor, dass in Nordirland ein spezielles Zollregime eingeführt wird, bei dem formal die britischen, de facto aber die europäischen Regeln gelten. Die Kontrolle liegt allerdings bei London. Johnson setzte zudem durch, dass Nordirland den Deal nach vier Jahren kündigen kann. Damit war der Weg für das Brexit-Abkommen frei, Großbritannien trat im Januar aus der EU aus.
Johnson beschwichtigt
Seither verhandeln die beiden Seiten über die künftigen Beziehungen und einen Handelsvertrag. Doch die Gespräche treten auf der Stelle, London droht mit einem „No Deal“. Die Sorge in Brüssel ist, dass sich Johnson auch aus den mühsam gefundenen Vereinbarungen für Irland herausstehlen könnte.
Laut Financial Times will er britische Staatshilfen für Nordirland ermöglichen und Auflagen für nordirische Unternehmen beim Transport von Waren in das Vereinigte Königreich lockern. Beides widerspräche dem Austrittsabkommen. Für die EU ist dieses Abkommen jedoch die unverzichtbare Grundlage für die laufenden Verhandlungen.
Entsprechend groß ist die Aufregung in Brüssel. Der Fraktionschef der Konservativen im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), warf Johnson vor, Nordirland „erneut als Geisel zu nehmen“. Der Linken-Politiker Martin Schirdewan, Mitglied in der Brexit-Koordinierungsgruppe des Parlaments, fordert sogar den Abbruch der Verhandlungen. Es wäre ein „unheimlicher Affront“, wenn Johnson einen internationalen Vertrag, also das Austrittsabkommen, brechen sollte, sagte Schirdewan der taz. Beim nächsten Treffen der Brexit-Koordinierungsgruppe am Freitag müsse man über eine EU-Reaktion nachdenken. Bei einem Vertragsbruch könne es kein neues Abkommen geben.
Johnson versucht indes zu beschwichtigen: Die Regierung bleibe den Abmachungen über das Ausscheiden aus der EU sowie den Festlegungen bezüglich Irlands verpflichtet, erklärte ein Regierungssprecher am Montag.
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