Neuer Lisbeth-Salander-Roman: Fortsetzung eines Bestsellers
Ghostwriter für einen Toten: Lisbeth-Salander-Romane von Larsson sind blutig, aber sie sterben nicht. Eine neue Folge, geschrieben von Karin Smirnoff.
Es muss wahnsinnig gut bezahlt sein. Das ist wohl die beste Erklärung dafür, warum vor einigen Jahren der Autor David Lagercrantz und nun auch Karin Smirnoff sich überzeugen ließen, als Ghostwriter für einen Toten anzutreten, den man nicht mehr nach seinem Einverständnis fragen konnte, und Stieg Larssons sogenannte „Millennium“-Reihe fortzusetzen. Stieg Larsson starb 2004 mit nur fünfzig Jahren und wurde erst posthum mit den drei Lisbeth-Salander-Thrillern berühmt, die sich in seinem Nachlass fanden.
Immer noch lässt sich mit seinem Namen gut Geld machen; auf dem Cover des jüngsten Lisbeth-Salander-Romans ist er fast genauso groß gedruckt wie der Name der eigentlichen Autorin. Diese wiederum ist für alle beteiligten Verlage ein tausendmal besserer Fang als ihr Ghostwriter-Vorgänger; denn anders als jener ist Smirnoff international, zumal auf dem deutschen Markt – dem Hauptabsatzmarkt für Krimis aus Skandinavien – gut eingeführt als Romanautorin.
Hinzu kommt, dass ihre Themen prinzipiell gut anschlussfähig sind an den Lisbeth-Salander-Kosmos: Da geht es um Männergewalt, toxische Beziehungen, Kindesmissbrauch und -vernachlässigung, Eigenbrötelei und Hochbegabung. Stilistisch könnte der Unterschied allerdings kaum größer sein. Während Smirnoff zweifellos eine „literarische“ Autorin ist, die sich in ihrem Schreiben normalerweise an hohen formalen Ansprüchen messen lässt, verfolgte Larsson mit seinen Spannungsromanen andere Ziele. Passt das also überhaupt?
Die kurze Antwort lautet: Na ja. Smirnoff passt sich an.
Karin Smirnoff: „Verderben“. Aus dem Schwedischen von Leena Flegler. Heyne Verlag, München 2023, 464 Seiten, 24 Euro
Offenbar lautete der Auftrag, einen Großteil des gut eingeführten Larsson’schen Figurenpersonals zu übernehmen und möglichst im Sinne der Vorlage zu erweitern. Es ist zwar nicht wirklich plausibel, wenn Lisbeth Salander, Mikael Blomkvist, die schlimmen Mord-Rocker des Svavelsjö MC und sogar der unbeliebte Polizist Hans Faste alle gleichzeitig, und auch noch aus verschiedenen Gründen, im selben norrländischen Kaff, 700 Kilometer von Stockholm entfernt, auftauchen – aber okay.
Neue Orte, plötzliche Tode
Ein Wechsel des Handlungsorts schadet nie. Drumherum gibt es jede Menge neue Figuren: Lisbeth hat nun eine Nichte, die 13-jährige Svala, die genau wie ihre Tante über besondere Fähigkeiten verfügt und die plötzlich allein dasteht, da ihre Mutter verschwunden und ihre Großmutter nach einem Besuch des Svavelsjö MC bei sich zu Hause plötzlich verstorben ist.
Und in Mikael Blomkvists Leben spielt neuerdings sein Enkel eine große Rolle, der Sohn seiner Tochter, die im Kaff Gasskas heiraten soll, und zwar einen örtlichen Großkotz, der eine ungute Rolle bei der Ansiedlung eines neuen Windparks in der Gemeinde spielt.
Vorab hatte die Autorin, in einem Interview befragt, was denn in ihrem Roman wohl anders würde als bei Larsson selbst, trocken geantwortet, es werde blutiger. Dieses Programm hält sie ein, allerdings nicht in der Intensität, mit der sie beginnt.
Die ersten beiden Szenen sind wirklich zum Wegducken grausam und dabei noch sadistisch gut geschrieben: Mit akribischer Detailversessenheit schildert Smirnoff das Dasein eines Berufskillers; und nach einem Szenenwechsel wird die junge Svala eingeführt, die sich smart und brutal gegen die Nachstellungen der Todesrocker wehrt.
Hat da vielleicht eine KI geschrieben?
Aber gerade wenn man denkt, einen ganzen Roman lang würde man das so nicht aushalten, scheint es, als habe Smirnoff den Stift aus der Hand gelegt und, statt uns in ihrem eigenen, dichten Stil weiter durch Schockwellen zu treiben, statt dessen eine künstliche Intelligenz mit Schreibanweisungen gefüttert.
Nach dem Deus-ex-Machina-Prinzip treten Figuren auf und ab wie Teufelchen aus der Kiste, unwahrscheinliche Zufälle häufen sich, und Leichen fallen am Wegesrand an, als gehöre sich das eben so. Ein gewisses Maß an Spannung wird zwar aufrechterhalten. Richtig ernst nehmen muss man das alles aber nicht mehr, was auch Vorteile hat. Katharina Granzin
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