Neuer Actionfilm von Christopher Nolan: Krieg der Zeiten
Vorwärts, rückwärts, Action im Quadrat: In „Tenet“ von Christopher Nolan reisen die Protagonisten durch die Zeit und die Kugeln fliegen rückwärts.
Ein Konzertsaal vor Coronazeiten: Die letzten Besucher_innen füllen die verbliebenen Plätze in den bereits gut gefüllten Reihen, der Dirigent klopft mit dem Taktstock auf sein Pult. Doch statt der ersten Takte des Konzerts erfüllt der Knall einer Explosion den Raum, Bewaffnete stürmen von allen Seiten in den Saal und schießen um sich.
Später im Film wird man sich als Zuschauer wiederholt fragen, ob das, was man zu Beginn von Christopher Nolans Film „Tenet“ sieht, auch der Anfang der Geschichte ist. Bei der Schießerei in der Kiewer Oper kämpfen diverse Fraktionen von Bewaffneten um unterschiedliche Dinge. Ein geheimnisvolles Metallobjekt soll erobert werden, ein Informant befreit – was Ereignis ist und was Deckungsmanöver, ist unklar. Das Chaos zu Beginn von „Tenet“ ist der Auftakt zu einem fulminanten Actionfilm.
Die Befreiung des Informanten gelingt, doch ein Teil des Teams wird geschnappt. Nur einer aus dem Team überlebt, wird außer Landes gebracht und bekommt ein einziges Wort als Ausgangspunkt für die nächste Mission: „Tenet“. Der namenlose Protagonist wird auf einer Windkraftanlage auf dem Meer ausgesetzt, um ihn unauffällig wieder ins Spiel zu bringen. Mit einem Wartungsschiff kehrt er an Land zurück und verfolgt ab dann die Spur einer Munition, die sich rückwärts durch die Zeit bewegt. Die Kugeln fliegen aus den Einschusslöchern einer Wand, die sich hinter den Kugeln wieder schließen. Dieser Filmtrick, die Aufnahmen rückwärts abzuspielen, ist mit einigem theoretischen Überbau, die Grundlage von Nolans Film.
Mit den Augen rollen
Der Spur der Munition folgend reist der Protagonist um die ganze Welt, stößt auf einen russischen Superschurken und nimmt den Kampf für die Rettung der Welt auf.
„Tenet“. Regie: Christopher Nolan. Mit John David Washington, Robert Pattinson u. a. Großbritannien/USA 2020, 150 Min.
Man mag nun mit den Augen rollen: Christopher Nolan und komplexe Zeitstrukturen. Spätestens seit Nolan vor zehn Jahren „Inception“ drehte, ist sein Name untrennbar verbunden mit einem erzählerischen Spiel im Umgang mit der Zeit. Das ist auch bei „Tenet“ der Fall. Schon der Titel „Tenet“ (deutsch: Lehrsatz, Theorem) verweist auf eine Strukturspielerei, das sogenannten Sator-Quadrat: Das Quadrat ist aufgebaut wie ein Meta-Palindrom, bei dem sich nicht nur jedes Wort für sich sowohl vorwärts wie rückwärts lesen lässt, sondern die Wörter ihrerseits einen Satz bilden, der von allen Ecken des Quadrats aus lesbar ist.
Bei Nolans „Batman“-Filmen stand die Vorliebe für komplexe Strukturen der Action nicht selten im Wege und je nach Vorlieben konnte man die Filme deswegen mögen oder auch nicht. Auch bei „Tenet“ ist die Struktur ausgetüftelt, die Palindromstruktur zieht sich durch den Film und taucht bisweilen in Details erneut auf. Am Ende des Films weiß man nicht, an welcher Stelle der Erzählung der Film begonnen hat.
Dass „Tenet“ unbedingt sehenswert ist, hat andere Gründe: Einerseits wird Nolans Film mit seinem Kampf der Gegenwart gegen die Zukunft, um eine Zukunft zu haben, mit der aktuellen Pandemie im Hinterkopf mit einer weiteren Bedeutungsebene aufgeladen. Wenn die Protagonisten des Films schließlich selbst beginnen, durch die Zeit zu reisen, um Ereignisse zu verhindern, lässt sich konstatieren: there is glory in prevention.
Andererseits hat Nolan aus der politischen Schelte, die er vor drei Jahren für sein Zweiter-Weltkriegs-Drama „Dunkirk“ bezogen hat, gelernt. „Dunkirk“ wurde zu Recht vorgeworfen, bei der Rettung britischer Soldaten, die an der französischen Atlantikküste eingeschlossen waren, indische Einheiten weggelassen zu haben.
Auf den Kinostart gewartet
„Tenet“ lässt den schwarzen Protagonisten (John David Washington) zu Beginn des Films den ganzen Rassismus britischer Eliteclubs und ihrer imperialen Geschichte erfahren, als er zum Lunch mit einem Kenner des britischen Geheimdienstes (Michael Caine) verabredet ist. Der Kellner mustert den Protagonisten missbilligend und „Sir Michael“ beginnt schon einmal ohne sein Gegenüber mit dem Essen. Auch jenseits des Protagonisten ist der Cast der globalen Handlung angemessen unweiß besetzt; so sehr, dass Kenneth Branaghs Verkörperung des russischen Superschurken mit kehligem Akzent und beständig heiserer Stimmlage ungut aufstößt.
Nolans „Tenet“ ist ein rundum gelungener Actionfilm. Wie immer bei Nolan ist der Film schon in der Produktion auf das Kino als primärem Vorführungsort angelegt. Nolan hat beständig seine Zustimmung verweigert, den Film als Streamingangebot zu starten und darauf beharrt, den Film in den Kinos zu starten. Die zeitliche Verzögerung hat er dabei in Kauf genommen. Neben der digitalen Fassung existieren auch 70-mm-Kopien des Films, die das Erlebnis der Bilder und vor allem der ausgetüftelten Tonspur noch einmal steigern. „Tenet“ markiert die Rückkehr des großen Kinos – bleibt abzuwarten, für wie lange.
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