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Neue Wendungen in Italiens KriseSalvini die Stirn geboten

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Überraschend einig haben sich Fünf Sterne und PD gegen Salvinis Wunsch nach Neuwahlen gestellt. Jetzt brauchen sie aber ein gutes Gegenprogramm.

Rückhalt? Hat Salvini nicht mal von seinen Koalitionspartnern – aber leider noch von den Wählern Foto: dpa

N ein, langweilig ist diese Sommerkrise in Italien wirklich nicht. Noch letzten Freitag, als Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini beschloss, die Koalition mit den Fünf Sternen platzen zu lassen, schien das Drehbuch eigentlich schon geschrieben: Misstrauensvotum, Auflösung des Parlaments, schnelle Neuwahlen mit dem Sieg Salvinis.

Doch Salvinis Gegenspieler denken gar nicht daran, sich an dieses Drehbuch zu halten. Stattdessen glänzen sie auf der Bühne der Politik mit einem beneidenswerten Improvisationstalent, und ihre Einlagen haben vor allem ein Ziel: den Durchmarsch des Lega-Chefs zu verhindern.

Da wäre vorneweg Beppe Grillo, der Gründer des Movimento 5 Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung). Für ihn war der gemäßigt linke Partito Democratico (PD) bisher das rote Tuch schlechthin, für ihn war vor allem dessen früherer, bis 2018 amtierende Parteichef Matteo Renzi die Verkörperung der politischen „Kaste“, jetzt aber ruft er: „Von wegen Neuwahlen!“ Stattdessen möchte Grillo die „neuen Barbaren“ der Lega verhindern – an der Seite des PD.

Dann ist da auf der anderen Seite Matteo Renzi, heute einfacher Senator und Frontmann des Minderheitsflügels im PD, der gegen den neuen Parteichef Nicola Zingaretti opponiert. Vor allem eine Frage trieb Renzi immer wieder zur Weißglut: sein Verdacht, Zingaretti könne den Dialog mit den Fünf Sternen suchen. Für diesen Fall drohte Renzi nichts weniger als die Parteispaltung an.

Geht's Renzi jetzt um das Gemeinwohl?

Jetzt aber predigt ausgerechnet er den Schulterschluss mit dem M5S und die Bildung einer „institutionellen Regierung“ an ihrer Seite. „Menschlich schwer“ falle ihm diese Volte, verkündet er, aber Politik treibe man nun mal „für das Gemeinwohl, nicht als persönliche Rache“.

Am Dienstag nahm der neue Schulterschluss Gestalt an: M5S und PD stimmten im Senat gemeinsam gegen den Wunsch der Lega, umgehend die Misstrauensabstimmung anzusetzen. Stattdessen beschloss der Senat, sich auf den 20. August zu vertagen.

Natürlich liegt der Verdacht auf der Hand, dass es auch jetzt nur bedingt ums Gemeinwohl geht. Die Fünf Sterne drohen sich bei schnellen Wahlen in Sternschnuppen zu verwandeln, und Renzi, der bisher das Gros der PD-Parlamentarier hinter sich weiß – er hatte ja 2018 die Listen aufgestellt –, muss riskieren, dass Zingaretti kaum einen seiner Gefolgsleute wieder aufstellen wird.

Ein nobler Grund war dennoch schnell gefunden: Sowohl das M5S als auch Renzi verkünden jetzt, es gehe darum, die schon aufgelegte Verfassungsänderung zur Verkleinerung des Parlaments – statt 945 Volksvertretern in beiden Kammern soll es in Zukunft nur noch 600 geben – durchzubringen und außerdem einen soliden Staatshaushalt für 2020 zu verabschieden.

Verhinderung ist kein Regierungsprogramm

Die Diskussion zwischen M5S und PD hat aber noch einen weiteren Dreh bekommen: Jetzt ist nicht mehr von einer Übergangsregierung die Rede, sondern von einem Kabinett, das bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2023 amtieren soll.

Natürlich würden viele in Italien, viele auch in Europa sich freuen, wenn Salvini mit seinen Duce-Allüren ausgebremst wäre. Eine Frage allerdings muss der PD genauso wie das M5S erst noch beantworten: Wozu eigentlich soll eine solche Regierung gut sein? Es reicht kaum, den Bürgern zu erklären, es gelte „die Orbanisierung Italiens zu verhindern“, wenn eine Mehrheit der italienischen Wähler den starken Mann Salvini will. Die schiere Verhinderung von Neuwahlen ist kein Regierungsprogramm. Ohne eine überzeugende Agenda, formuliert als klare Alternative zu Salvinis Brachialpopulismus, wäre eine Allianz aus M5S und PD genau das, was Salvini von ihr sagt: eine „Koalition der Verzweifelten“.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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10 Kommentare

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  • Rot-Grün also auch in Italien, endlich. Wenn nichts dazwischenkommt haben sie jetzt drei Jahre Zeit daran zu arbeiten, sich in eine zweite Legislaturperiode wählen zu lassen. Das die Sterne von der Leyen gewählt haben und was das allgemein über die Vernetzung der Grünen in Europa und deren Naivität im Umgang mit den Konservativen aussagt, ist ganz schön gruselig. Da hätten sie sich bewähren können.

  • Der Populismus als Mehrheitsfähiger Volkszorn fiel auch in Italien nicht plötzlich vom Himmel. Mitschuld sind nicht nur die Korruptionsbelasteten Vorgängerregierungen sondern die EU-Politik die Italien (und Griechenland) ein vollkommen unsoziales und widersinniges - die Konjunktur hemmendes Spardiktat aufdrückte. Die gesamte Mittelschicht wurde dabei zu extrem unsozialen Härten gezwungen und vorher schon prekär lebende Menschen zu absoluten Verlierern der neoliberalen Doktrin gemacht die quasi selbst schuld an der hohen Jugendarbeitslosigkeit seinen. Gleichzeitig ließ die EU als Ganzes die Mittelmeeranrainer schon Jahrzehntelang mit ankommenden Flüchtlingen alleine und sorgte mit der Dublin Regel dafür dass Flüchtlinge im Ankunftsstaat Asyl stellen müssen und dort versorgt werden sollen. Beides förderte in Italien den Eindruck von der EU ausgenommen zu werden und förderte die Wahl des martialisch autoritären Staatschefs der "den" Europäern mal so richtig die Meinung bläst." Seine forschen Ankündigungen sich beim Haushaltsdefizit nicht länger EU Regeln diktieren zu lassen sondern für Italiener Sozialpolitik zu machen kam ebenso gut an wie sein menschenverachtender Kampf gegen Geflüchtete. Er dreht es ja geschickt so hin dass jedes Schiff dem er die Einfahrt in "seine" Häfen verweigert ein kleiner Sieg gegen die EU Vorgaben ist. Diesen schiebt er auch die Verantwortung zu für den Tod im Mittelmeer. Seine Anhänger können sich also als unschuldige Opfer der EU zelebrieren und statt gegen die Ursache der Misere - nämlich die Dominanz neoliberaler Politik zu kämpfen freut man sich über die so drastisch klingende Symbolpolitik Salvinis.

  • Ein lose-lose game für uns - die Befürworter der Demokratie und der EU.

    Schlimm, wenn Salvini JETZT die Wahl haushoch gewinnt und die Macht ergreifen kann,



    schlimm, wenn er SPÄTER die Wahl noch höher gewinnen und die Macht ergreifen wird.

    Ist Italien verloren?

    Vermutlich wäre es besser, Salvini bekäme die Chance zu versagen gleich jetzt.

    (Ökonomisch hat er nichts zu bieten. In dieser Hinsicht könnte er gründlich enttäuschen. Für die EU wär's riskant. Der Bruch bzw. Kollaps würde aber nur hinausgeschoben - vielleicht wäre diese Verzögerung gut für die EU, weil sie jetzt erst einmal mit dem Brexit und der Rezession fertig werden muss.)

    • @Leo Brux:

      Es wäre nicht nur für die EU riskant, sondern auch für Italien. Sollte sich Salvini als Ministerpräsidet allzu gut einrichten und an der Spitze langfristige Verbindungen etablieren, könnte es in Zukunft extrem schwierig werden, ihn wieder loszuwerden, selbst wenn er versagen sollte. Man erinnere sich nur an den "Cavaliere", der Italien in die Schuldenkrise geführt hat. Der treibt bis heute sein Unwesen in der italienischen Politik und lauert auf seine Chance. Salvini ist ähnlich gestrickt, wie der Berlusconi, ähnlich rassistisch, populistisch, aber darüber hinaus noch wesentlich aggressiver, und jünger. Den sollten die Italiener besser nicht unterschätzen...

      • @Grandiot:

        Das ist alles richtig - ABER:

        Die Frage ist ja nun nur, ob Salvini JETZT oder etwas SPÄTER die Macht ergreifen kann.

        Es ist wohl gehupft wie gesprungen.

        Sie sind für SPÄTER, ich bin eher für JETZT.

        Ich denke, wir haben beide gute Gründe für unsere ebenso melancholische wie nervöse Präferenz.

        Was Nina Janovic (weiter oben) schreibt, ist auch zu berücksichtigen. Könnte die EU Italien bzw. einer 5stelle/PD-Regierung aus der Misere helfen, wenn sie aus den bisherigen Fehlern (wie Janovic sie beschreibt) lernen würde?

        • @Leo Brux:

          nein nein die Frage ob jetzt oder später imppliziert eine Art historischer Zwangsläuffigkeit, eine solche gibt es nicht, ich würde sogar fast sagen nie.

          • @wirklich?:

            Keine historische Zwangsläufigkeit, sondern eine nüchterne Prognose.

            JETZT bekäme Salvini ca. 38%, SPÄTER (nach einem mittelmäßigen Intermezzo von 5Stelle&PD) bekäme er vielleicht 50%.

            Es kann natürlich Überraschendes geschehen. Zum Beispiel etwas Katastrophales für die Lega oder etwas Mirakulöses für 5Stelle/PD. Ich würde aber mit beidem nicht rechnen. Darum meine - zugegebenermaßen - traurige, resignierte, nervöse Präferenz für das JETZT.

            • @Leo Brux:

              Das JETZT wäre aber ein ganz dickes Brett für das arme Italien, und eines, von dem sich das Land wohl so bald nicht erholen dürfte, denn so mancher angerichtete Schaden könnte am Ende irreparabel sein.

              Sollte es also auch nur eine kleine Chance darauf geben, dass bis zum Eintreten des SPÄTER etwas "katastrophales für die Lega oder etwas Mirakulöses für 5Stelle/PD" oder aber eine ganz andere Partei ergibt, dann sollte das Land diese Möglichkeit wahrnehmen und Herr Salvini auf SPÄTER vertrösten. Das gebietet schon allein der gesunde Menschenverstand.

  • besser als Grillo wer der Witz, Italien wähl doch einfach alle 3 Tage die i-partei! wär dann keine Überraschung mehr die raschen Regierungswechsel und die farfalle-Nudeln schmecken besser. is natürlich nich alles nur Spass, auch nich in Italien...

  • 9G
    94778 (Profil gelöscht)

    Das weiss Grillo erst jetzt?



    Dass der Salvini und seine Gangsterbande "die neuen Barbaren " sind?



    Der wusste genau, worauf er sich einlässt.Er gehört ja selber dazu.Soviel Humor muss schon sein.



    Soll er das jemand anderen weiss machen.