Neue Vorschrift bei der Berliner Polizei: Bewaffnet in die Freizeit
Ob zum Date im Zoo oder auf den Kindergeburtstag: Berlins Polizist*innen dürfen ihre Waffen jetzt auch wieder außerhalb der Dienstzeit tragen.
Das bedeutet: In der S-Bahn, an der Supermarktkasse oder im Schwimmbad können Polizist*innen in Zivil nun eine Pistole unterm Hemd oder dem Handtuch tragen. In Berlin sehen einige darin ein Mehr an Sicherheit, andere befürchten durch die neue Praxis Machtmissbrauch und neue Gefahren. Auf jeden Fall stellen sich viele Fragen, die es zu klären gilt.
Es ist dabei eine erstaunliche Kehrtwende in der Berliner Sicherheitspolitik. Um diese zu verstehen, bedarf es zunächst eines Blicks ins Jahr 2016. Die am 1. Juni vor acht Jahren in Kraft getretene Geschäftsanweisung „ZSE II Nr. 1/2016“ verbot Polizist*innen in Berlin das Mitführen ihrer Waffen außerhalb des Diensts. Damals zog die Führung der Polizei die Notbremse, nachdem viele Polizist*innen ihre Waffen privat genutzt hatten. Etwa, um Wildtiere im Stadtgebiet zu erlegen. Schießen fürs eigene Vergnügen also.
Das in der damaligen Geschäftsanweisung festgeschriebene Verbot sollte diesen Polizeitrieb stoppen. Das wurde nun revidiert. Mit dem Arbeitshinweis vom Februar dieses Jahres dürfen Polizist*innen wieder offiziell mit ihren Waffen zum Tinder-Date in den Zoo, zur Kita-Geburtstagsparty oder eben zur Oma ins Altersheim.
Nach Empfang eines Fragenkatalogs der taz zur Aufhebung des Waffenverbots bittet die Berliner Polizei erst einmal um mehr Zeit für die Beantwortung. Diese sei aufwendig, es müssten verschiedene Fachbereiche koordiniert und Informationen händisch recherchiert werden. Nach drei Arbeitstagen folgt schließlich eine etwas technische Antwort: „Polizeiliche Dienstvorschriften und Geschäftsanweisungen werden regelmäßig auf ihre Aktualität und Zielrichtung hin überprüft und gegebenenfalls geändert, angepasst oder aufgehoben.“
Eine Polizeisprecherin lässt allerdings auch wissen: „Ich bitte um Verständnis, dass zu weiteren Inhalten der als Verschlusssache eingestuften Geschäftsanweisung keine Auskünfte erteilt werden.“ Zu diesem zentralen Satz kehrt diese Recherche später zurück.
Wer kontrolliert?
Zu erwähnen ist hier zunächst, dass es durchaus Ausnahmen gibt, in denen die Waffen nicht in der Freizeit mitgetragen werden dürfen: ins Ausland oder in den Urlaub dürfen Polizist*innen offiziell nur unbewaffnet aufbrechen. Nach Alkohol- oder Cannabiskonsum sind Pistolen ebenfalls tabu. Aber wer kontrolliert das alles im privaten Bereich? Gute Frage. Und: Wie sehen also mögliche zusätzliche Gefahren durch die neue Regelung konkret aus?
Aus einer aktuellen Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schrader geht hervor, dass im vergangenen Jahr eine Pistole schlicht verschwunden ist. Auf taz-Nachfrage erklärt eine Polizeisprecherin den Verlust damit, dass einem Beschäftigten des polizeilichen Objektschutzes die Dienstwaffe im Februar 2023 aus seinem privaten Pkw entwendet worden sei.
Der Mitarbeiter habe „gegen ihm obliegende arbeitsvertragliche Pflichten“ verstoßen – also das damals geltende Verbot des Mitführens in der Freizeit missachtet, so die Sprecherin. Es seien arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet worden, „in deren Folge er im Oktober 2023 aus der Polizei Berlin ausschied“. Wo diese eine Pistole heute ist, in welche Hände sie gelangt ist, scheint auch der Polizei nicht bekannt zu sein. Laut der neuen Regelung hätte der Beamte die Waffe legal außerhalb des Dienstes mitführen dürfen. Ob sie in seinem privaten Pkw unbeaufsichtigt hätte liegen dürfen, bleibt wegen der Geheimhaltung des Arbeitshinweises für die Öffentlichkeit aber unklar.
Niklas Schrader betont auch mit Blick auf dieses Beispiel eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass Beamt*innen außer Dienst überhaupt in Situationen geraten, in denen sie ihre Waffen nutzen müssten. „Es steigt dagegen die Gefahr, dass Waffen außerhalb des Dienstes unrechtmäßig angewandt werden oder abhandenkommen. Zudem entfällt die gegenseitige Kontrolle im Dienst, was den ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen angeht“, sagt der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion.
Warum das Verbot dann aufgehoben wurde? Schrader hat dazu eine Theorie: „Es ist kein konkreter, rational zu erklärender Anlass ersichtlich. Ich vermute, dass hier einfach Symbolpolitik betrieben wird, um Pluspunkte bei Polizeigewerkschaften zu sammeln.“
Durch Schraders Anfrage sind auch noch weitere Daten öffentlich gemacht worden. Demnach sind zwischen Januar 2023 und Mai 2024 der Berliner Polizei exakt 99 Reizstoffsprühgeräte abhandengekommen. Was nach einer polizeilichen Neuauflage von „99 Luftballons“ klingt, lässt Innenexpert*innen erschaudern. Die Polizei gibt gegenüber der taz an, dass über die Umstände des Verlustes dieser gefährlichen Geräte keine Statistik geführt werde.
Niemand weiß also genau, wann, wo und wie diese Reizstoffsprühgeräte verschwunden sind. Und wer sie jetzt besitzt. Niklas Schrader verweist hierbei auf fehlende Kontrollmechanismen und Fälle wie Nordkreuz, ein rechtsterroristisches Netzwerk, das sich auch an Waffen- und Munitionsbeständen deutscher Sicherheitsbehörden bedient hat.
Fehlende Transparenz
Und noch eine Ungereimtheit begleitet die bewaffneten Freizeit-Polizist*innen im Familienrestaurant, auf dem Rummel oder in der Kirche: Anders als die Geschäftsanweisung aus dem Jahr 2016 ist der neue Arbeitshinweis zur Aufhebung des Waffenverbots unter Verschluss: „Geheim, nur für den Dienstgebrauch“. Dabei ist ein Arbeitshinweis eine der informellsten Möglichkeiten, innerhalb einer Behörde zu kommunizieren. Die Opposition sieht darin eine Einschränkung ihrer parlamentarischen Kontrollmöglichkeit. Für Transparenz sorgt die Geheimhaltung der Waffenpraxis bei der Berliner Polizei auf jeden Fall nicht.
Die Senatsinnenverwaltung will die Freizeit-Bewaffnung der Berliner Polizist*innen und die Bedenken der Opposition übrigens nicht kommentieren. Für diese Fragen sei die Berliner Polizei zuständig, heißt es lapidar aus dem Haus von SPD-Innensenatorin Iris Spranger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers