Neue Staffel von „Streetphilosophy“: Fragen aus dem Nichts
Für Deutschlands Jugend hat Religion ausgedient und Politik keine Antworten parat. Was treibt sie dann um? Jan Kawelke will es wissen.
Ein Mann steht auf dem Dach des rbb-Fernsehzentrums und schaut über Berlin. Die Offstimme spricht nachdenklich über sein schwarz-weißes Bild: „Wenn man von oben auf diese Stadt schaut, wirkt es ja schon so, dass irgendetwas hinter den Kulissen die Dinge ordnet, ihnen einen tieferen Sinn gibt.“ Die Einstiegsszene gibt vor, wie man in dieser neuen Folge von „Streetphilosophy“ über die wichtigen Fragen des Lebens nachdenkt. Sehr getragen. Und etwas zu verkrampft.
„Streetphilosophy“ ist eine Sendung auf Arte, die den „Spirit“ der Mittzwanziger einfangen will. Bisher moderierten die Journalistin Ronja von Rönne und der Schauspieler Jonas Bosslet. Der junge Mann auf dem Dach heißt Jan Kawelke, er ist Musikjournalist und Rapper. Als Bosslets Nachfolger moderiert er mit von Rönne im Wechsel die neue Staffel. Als Host des „Machiavelli“-Podcasts über Rap und Politik vom WDR scheint er perfekt für das Konzept von „Streetphilosophy“ geeignet zu sein.
Es ist nämlich ein Angebot für Leute, die sich gleichzeitig für Nietzsche und Bonez MC interessieren, oder wie die Sendung selbst sagt: Man will existenzielle Fragen „vom Denkerstübchen raus auf die Straßen von Kreuzberg und Neukölln“ holen. Wäre das Konzept von „Streetphilosophy“ ein Mensch, wäre es ein Geisteswissenschaftsstudent, der sich in der Kneipe herüberbeugt und erklärt, warum Feierngehen und Drogennehmen etwas Religiöses sein kann.
Das Thema der ersten Folge mit Jan Kawelke heißt „Esoterik: Stell Dich dem Übernatürlichen!“. Noch immer nachdenklich auf dem Dach stehend, fragt er: „Woher kommt unsere Sehnsucht nach Göttern, Geistern, Engeln und Energien? Ist das Esoterik oder ist da etwas dran, dass mein Leben vom Übernatürlichen beherrscht wird?“
Antworten unerwünscht
Das Problem: Im Laufe der Sendung bekommt man den Eindruck, dass Kawelke die Fragen gar nicht unbedingt beantworten will. Als eine Feng-Shui-Beraterin erklärt, wo überall im Raum graue Wolken schlechter Energie hängen, wirkt Kawelke so, als versuche er, nicht loszukichern. Beim Currywurstessen erklärt ein Philosoph, dass der Begriff „Esoterik“ wahrscheinlich auf Aristoteles zurückgeht und dass der damit wohl seinen Lehrer Platon beschrieb. Kawelke: „Ach krass, okay.“
Ein Künstler, der virtuelle Engel erschafft, die man durch eine VR-Brille sehen kann, liefert die schrägsten Kommentare: Er spricht vom „allsehenden Kommetenauge“ und sagt, er wolle „Rodins Höllentor updaten“. Kawelke steht etwas verlegen daneben und kommentiert lieber wieder in der Offstimme: „Im Gegensatz zur Engelsanbetung kann ich mir beim Internet sicher sein, dass es funktioniert.“
Kawelke trägt bei seinen Moderationen philosophisch dick auf, wirkt im Beisein seiner Protagonist:innen aber etwas unbeteiligt. Man glaubt ihm die Begeisterung für das Übernatürliche und für die (zugegeben exzentrischen) Menschen nicht.
„Street Philosophy“, in der Arte-Mediathek
Ronja von Rönne strahlt in ihren Folgen so viel Begeisterung aus, dass es die Sendung auch über eher plätschernde Passagen trägt. In der Folge „Faulheit: Mach mal nix!“ ist sie im Altersheim zu Besuch, angelt mit einem Streetfischer in der Spree oder isst mit einem Beinahe-Fußballprofi Chips – und hat eine tolle Zeit. Selbst als sie mit einem Comiczeichner bei 10 Grad und Wind im Strandbad Wannsee einen Campingtisch aufbauen muss, scheint von Rönne nirgendwo anders lieber sein zu wollen.
Moderne Hexe
In von Rönnes Folge „Nimm’s mit Humor“ bekommt sie die Aufgabe, einen Stand-up-Auftritt vorzubereiten und zu performen. Dabei kommt sie zu dem Schluss: Am besten kommt man beim Publikum an, wenn man statt andere sich selbst verarscht. Wenn man aufhört, sich über seine Schwächen zu ärgern, und anfängt, sich über sie lustig zu machen. Diese Fähigkeit von Rönnes, loszulassen, ist der Grund, warum ihre Moderation bei „Streetphilosophy“ so mitreißt.
Auch Kawelkes Esoterikfolge hat ihre Momente: Vor allem, als er eine „modern witch“, eine „moderne Hexe“, besucht und sich von der Volltätowierten Tarotkarten legen lässt. Zwischen Gesprächen über Altare und Spiritualität fragt Kawelke aus dem Nichts, was man denn als Hexe bei der Steuer angebe. „Beim Finanzamt bin ich als Kreativcoach gemeldet“, antwortet sie, „aber ich würde gerne als Magierin in die KSK aufgenommen werden.“ Manchmal ist auch eine sachliche Herangehensweise gar nicht so übel.
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