Neue Stadt in Kalifornien: Die Superreichen proben den Auszug
Tech-Investoren aus dem Silicon Valley wollen eine neue Modellsiedlung errichten. Ist das innovativ oder schlicht verantwortungslos?
Solano County ist ein netter kleiner Fleck in Kalifornien: malerische Hügellandschaften wie in der Toskana, Weinbaugebiete, Windräder, Ranches. Der Trubel der Bay Area ist weit genug entfernt, sodass die saturierten Boomer in Ruhe golfen und kühlen Weißwein schlürfen können. Doch mit der Ruhe könnte es bald vorbei sein: Mitten in diesem ländlichen Idyll wollen Investoren aus dem Silicon Valley eine Planstadt aus dem Boden stampfen.
Wie die New York Times berichtet, hat ein mysteriöses Konsortium namens Flannery Associates in der Gegend eine riesige Landfläche für insgesamt 800 Millionen Dollar gekauft. Hinter der Gesellschaft steht das Who’s who des Silicon Valley: Wagniskapitalgeber und Netscape-Gründer Marc Andreessen, Linkedin-Gründer Reid Hoffman sowie Laurene Powell Jobs, Mäzenatin und Witwe des verstorbenen Apple-Gründers Steve Jobs.
Die Projektentwickler, um deren Finanzen sich ein ehemaliger Goldman-Sachs-Trader kümmert, haben in den vergangenen Jahren Parzelle um Parzelle von Landwirten erworben. Das Areal, das sich über eine Fläche von insgesamt 220 Quadratkilometern (zum Vergleich Nürnberg: 186,5 Quadratkilometer) erstreckt, grenzt an einen Luftwaffenstützpunkt in Fairfield, einer Stadt mit 120.000 Einwohnern. Schon seit einiger Zeit gibt es Spekulationen, wer der Käufer dieser Grundstücke sein könnte. Plant Disney einen Freizeitpark? Oder gibt es Verbindungen zu den Chinesen? Nun herrscht Klarheit.
Laut Projektbeschreibung soll auf dem Gebiet eine „neue Stadt mit Zehntausenden neuen Häusern, einer großen Solarenergiefarm, Obstgärten mit über einer Million neuen Bäumen sowie über 10.000 Hektar neuer Parks und Open Space“ entstehen. Eine grüne Modellsiedlung, wie sie der Schriftsteller Ernst Callenbach in seiner Zukunftsvision „Ökotopia“ aus dem Jahr 1975 entworfen hat, die zur Pflichtlektüre für die kalifornische Gegenkultur wurde. Der Milliardär Michael Moritz, der das Projekt maßgeblich vorantreibt, träumt von einer „Walkable City“ nach dem Vorbild von Paris oder dem West Village in New York.
Immobilienpreise explodieren
Nun ist es für den urbanistischen Diskurs ja durchaus fruchtbar, wenn sich Investoren aus dem Silicon Valley Gedanken über die ideale Stadt machen. Vor ihrer Haustüre allerdings haben die Tech-Konzerne alles andere als ideale Zustände geschaffen: Staus durch Roboterautos, Gentrifizierung, Wohnungsnot. Zum einen hat das Anwerben hochqualifizierter Arbeitskräfte die Nachfrage nach Wohnungen erhöht. Zum anderen hat die Anmietung von Büroflächen im Zuge der Unternehmensexpansion den städtischen Wohnraum verknappt.
Die Folge: Die Miet- und Immobilienpreise sind in der Bay Area explodiert. Selbst Facharbeiter mit gut bezahlten Jobs können die hohen Mieten zum Teil nicht bezahlen und müssen in Wohnwagen campieren. San Francisco hat eine der höchsten Obdachlosenquoten in den USA.
Auch in Seattle, dem Hauptsitz von Amazon, hat sich die Wohnungskrise verschärft – am Stadtrand sind ganze Zeltstädte von Wohnungslosen entstanden. Google lag mit dem Stadtparlament und Anwohnern in Mountain View wegen der Erweiterung seines Hauptquartiers immer wieder über Kreuz, das Smart-City-Projekt der Tochter Sidewalk Labs in Toronto scheiterte auch am Widerstand der Bevölkerung. Nun also wollen die Tech-Giganten aufs Land ziehen, wo sie sich mit Anwohnerprotesten schon gar nicht mehr herumschlagen müssen.
Will sich da jemand seiner sozialen Verantwortung entziehen? Die Utopie, mit einer Modellsiedlung ein soziales Experimentierfeld zu schaffen, beflügelt die Fantasie libertärer Denker und Unternehmer. So will Paypal-Gründer Peter Thiel mit seinem Seasteading Institute schwimmende Inseln als mobile Mikronationen in internationalen Gewässern errichten. Und Elon Musk, sein Bruder im Geiste, lässt in Texas vor den Toren Austins eine Planstadt bauen. Auf dem Gelände von Snailbrook – der Stadtname ist eine Anspielung an das Maskottchen seines Tunnelbauunternehmens Boring Company – sollen neben einer Fabrik 110 Häuser für Arbeiter, zwei Kaufhäuser, Sportanlagen, ein Schwimmbad sowie ein Golfplatz entstehen.
Mauern und Stacheldraht
Snailbrook erinnert an das Modell der Company Town, wie sie etwa der amerikanische Schlafwagenfabrikant George Pullman 1880 im Süden Chicagos errichten ließ. Die Werkssiedlung, die sich um die Fabrik im Zentrum gruppierte, war so konzipiert, dass die Arbeiter die Stadt nie verlassen mussten. Es gab Schulen, Kindergärten, eine Kirche und sogar ein Hotel. Der Firmenpatriarch wollte so das Freizeitverhalten seiner Arbeiter kontrollieren – zum Beispiel, ob sie sonntags in die Kirche gehen oder Alkohol konsumieren. Auch Elon Musk ist ein Kontrollfreak, der seinen Mitarbeitern Vorschriften bis hin zum Sprachgebrauch macht. Es verwundert daher nicht, dass das mit hohem Stacheldraht und Mauern umgebene Containerdorf wie eine Kaserne angeordnet ist.
Dass man heute so nicht mehr baut und auch Golfplätze in einer Dürreregion nicht mehr State of the Art sind, scheint den Bauherren Musk nicht zu stören. Machtmenschen hatten schon immer ihre eigenen Visionen, der sie räumlichen Ausdruck verliehen.
Der Urbanist Mike Davis hat in seinem stadtsoziologischen Klassiker „City of Quartz“ (1990) die Privatisierung des öffentlichen Raums und Verunstaltung suburbaner Landschaften ausführlich thematisiert: Die Projektentwickler würden ihren Lifestyle aus Chardonnay, Klimaanlagen und Überwässerung wie ein Wohnmobil in die entlegensten Orte transportieren: aufräumen, Mauer hochziehen und das „Produkt“ reinstecken.
So hätten in den 1970er Jahren Immobilienfirmen die französische Lebensart in „fortifizierten Mini-Banlieues“ in die kalifornische Wüste gebracht – mit „Alte-Welt-Sträuchern“, Fake-Mansarden und Nouveau-Riche-Bezeichnungen à la „Chateau“. Entsteht nun auch in Solano County ein Disneyland?
Noch ist nicht klar, was die Tech-Investoren aus dem Silicon Valley mit dem Grundstück vorhaben. Einen Flächennutzungs- oder Bebauungsplan gibt es (noch) nicht. Daher bleibt vieles Spekulation. Dass aber die Stadtentwicklung in die Hände von Investoren fällt, nährt den Verdacht, dass am Ende eine weitere Gated Community für Superreiche entstehen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut