Neue Sicherheitsallianz „Aukus“: Australiens Wackeldiplomatie
Die neue Aukus-Kooperation hat Australien auf einen Schlag wichtige Freunde gekostet. Das hat auch mit fehlendem diplomatischem Geschick zu tun.
Tingle erinnerte Macron an Morrisons Verhalten vor drei Jahren gegenüber dem damaligen Premierminister Malcolm Turnbull. Der ultrarechte Flügel von Turnbulls Regierungskabinett forderte damals seinen Kopf wegen dessen vermeintlich progressiver Klimapolitik. Morrison, damals Minister, legte seinem Chef vor laufender Kamera den Arm auf die Schulter und garantierte ihm mit glühenden Worten Loyalität. Zwei Tage später putschte er Turnbull aus dem Amt. Als „Stich in den Rücken“ verurteilten damals Kommentatoren das Verhalten Scott Morrisons.
Genau diese Worte nutzte der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian letzte Woche in einer Reaktion auf Morrisons Stornierung eines 57 Milliarden Euro schweren Vertrags für den Bau und die Lieferung einer Flotte konventionell betriebener U-Boote. Stattdessen will Australien von den Vereinigten Staaten mit Nuklearstrom angetriebene U-Boote erwerben.
Der „Deal“ ist Teil einer neuen Sicherheitsallianz zwischen den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Australien. Aukus – in Anlehnung an die englischen Abkürzungen der beteiligten Staaten – soll die strategische Allianz im indopazifischen Raum stärken und ist primär eine Antwort der drei Staaten auf Chinas Expansionsgelüste im Pazifik.
Scharfe Reaktion aus Paris
Peking war brüskiert und warf den drei Ländern eine „Kalte-Krieg-Mentalität“ vor. Diese Reaktion war zu erwarten gewesen von einem Land, das sich in diesem strategisch wichtigen Teil der Welt immer selbstbewusster benimmt, auf diplomatischer und auf militärischer Ebene. Deutlich mehr Sorge ausgelöst hat jedoch die Reaktion Frankreichs, dem wichtigsten Freund Australiens in der Europäischen Union.
Macron reagierte auf den „Vertrauensbruch“ mit der Rückberufung der französischen Botschafter in Washington und Canberra „zu Konsultationen“ nach Paris. Botschafter Jean-Pierre Thébault, Frankreichs Amtsträger in Australien, soll aus den Medien von der Stornierung des U-Boot-Vertrages erfahren haben.
Die Schärfe der Reaktion in Paris soll das Weiße Haus überrascht haben. Einem Zeitungsbericht zufolge habe die Biden-Administration es Canberra überlassen, Frankreich über den laut der amerikanischen Regierung „größten strategischen Schritt Australiens seit Generationen“ zu informieren. Es war eine Aufgabe, die höchstes diplomatisches Geschick benötigt hätte.
Doch Washington habe nicht mit dem hohen Grad an Mittelmäßigkeit der australischen Diplomatie unter Morrison gerechnet, meinten australische Beobachter am Sonntag. Laut dem führenden Politikkommentator Peter Hartcher habe Australien eine „beeindruckend inkompetente diplomatische Leistung“ gezeigt. „Ein Anruf am Vorabend von Canberra nach Paris gilt nicht als Diplomatie“.
Vor zwei Wochen klang alles noch ganz anders
Das Gefühl des Vertrauensbruchs in Paris wird durch die Tatsache verstärkt, dass die australische Außenministerin Marise Payne und Verteidigungsminister Peter Dutton erst vor zwei Wochen gegenüber ihren französischen Amtskollegen erklärt hatten, „die Zusammenarbeit mit der Verteidigungsindustrie vertiefen und ihre Fähigkeiten in der Region verbessern“ zu wollen. „Die Minister unterstrichen die Bedeutung des künftigen U-Boot-Programms“, hieß es in einer Verlautbarung.
Doch Mangel an Voraussicht und diplomatischem Fingerspitzengefühl beklagt nicht nur die „Grande Nation“. Am Wochenende meldeten Australiens nördliche Nachbarn Malaysia und Indonesien ihre Besorgnis über die Folgen der jüngsten Entwicklung für das globale strategische Gleichgewicht. Auch diese Länder – beide gelten als Freunde und sind wichtige Wirtschaftspartner – scheinen von Canberra nicht oder zumindest nicht rechtzeitig informiert worden zu sein.
Das „Aukus-Debakel“, wie ein Beobachter es am Sonntag nannte, ist nur das jüngste Beispiel diplomatischer Fehltritte durch Australien. Canberras aggressive Rhetorik gegenüber China ist legendär. Verteidigungsminister Peter Dutton impliziert in seinen Reden regelmäßig, China sei eine militärische Bedrohung für Australien und den Rest der Welt.
Vor einem Jahr löste Ministerin Marise Payne in Peking eine Welle von Handelsboykotten gegen Australien aus, als sie und Morrison forderten, man müsse in China eine Untersuchung nach der Ursache des Covid-19-Virus einleiten und damit das Land vor der Weltöffentlichkeit bloßstellte. Solche Forderungen mögen zwar durchaus legitim sein, sagen führende Diplomatieexperten. Aber sie müssten im direkten Kontakt mit den betroffenen Ländern geäußert werden, nicht über brüskierende „Megafon-Diplomatie“.
Vertrauen zerstört
Die Situation hat sich derart zugespitzt, dass führende Politiker der beiden Länder seit über einem Jahr nicht mehr miteinander sprechen. Der frühere Premierminister Kevin Rudd, ein Chinesisch sprechender Ex-Diplomat, meinte am Samstag, die Morrison-Regierung werde von „diplomatisch und sicherheitspolitisch Inkompetenten“ geführt, die „Australiens guten Namen rund um die Welt beschmutzen“.
Australien mag mit Aukus zwar auf den verstärkten Schutz seines traditionellen Bündnispartners USA hoffen. Aber die Kosten dafür sind hoch. Nicht nur werden befreundete Nachbarstaaten wie Indonesien Australien noch mehr als bisher als „Hilfssheriff der USA im Pazifik“ empfinden, wie der ehemalige konservative Premierminister John Howard es formuliert. Die Chancen, dass Australien Pläne für einen Freihandelsvertrag mit der EU noch realisieren kann, sind drastisch geschrumpft. Ein Veto von Frankreich gilt als möglich.
„Ich sehe nicht, wie wir unseren australischen Partnern noch trauen können“, so Frankreichs Europa-Minister Clément Beaune. Wenig Freunde dürfte Australien auch bei den Klimaverhandlungen Ende Oktober in Glasgow haben. Die Morrison-Regierung arbeitet laut gut informierten Kreisen derzeit eine Public-Relations-Strategie aus. Damit will sie die Weltgemeinschaft überzeugen, am Ausbau der lukrativen Gas- und Kohleindustrie festhalten zu dürfen, während andere Staaten ihre CO2-Emissionen drastisch einschränken sollen.
Beobachter gehen davon aus, dass die Behauptungen und Versprechen Canberras von den Teilnehmerländern nun deutlich stärker unter die Lupe genommen werden dürften, als dies noch vor wenigen Tagen der Fall gewesen wäre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“