Neue Linksfraktionschefs Helm und Schatz: Mit Gegenwind ins Amt

Die Berliner Linksfraktion hat mit Anne Helm und Carsten Schatz neue Fraktionschefs gewählt. Ihr inhaltliches Angebot stößt nicht nur auf Zustimmung.

Leeres Rednerpult auf einem Linke-Parteitag

Die Neuen: Bitte hervortreten Foto: dpa

BERLIN taz | Am Ende war es knapper, als viele in- und außerhalb der Partei Die Linke gedacht haben: Anne Helm und Carsten Schatz sind als neue Vorsitzende der Berliner Linskfraktion gewählt und treten damit die Nachfolge von Carola Bluhm und Udo Wolf an. Die beiden langjährigen Chefs hatten vor etwa vier Wochen ihren Rückzug von der Fraktionsspitze verkündet und dies mit dem Vorschlag für ihre Nachfolge verbunden. Diesem ist die Fraktion am Dienstagnachmittag mehrheitlich, aber teilweise zähneknirschend nachgekommen.

Lange hatte es so ausgesehen, als gäbe es zwar Kritik an dem Verfahren – der Nominierung der Wunschnachfolger ohne vorherige Debatte in der Fraktion – nicht aber, als fände sich ein personelles Gegenangebot. Auch die Parteivorsitzende Katina Schubert hatte sich wenig begeistert gezeigt, eine eigenen Kandidatur aber abgelehnt. In die Offensive ging schließlich an Pfingsten Franziska Brychcy, Sprecherin für berufliche Bildung und Bezirkschefin aus Steglitz-Zehlendorf. Hinter der vor allem in den West-Bezirken gut vernetzten Brychcy, die öffentlich jedoch wenig bekannt ist, sammelten sich jene in der Fraktion, die auch inhaltlich mit dem Duo Helm/Schatz ihre Bauchschmerzen haben.

Nun werden sie sich arrangieren müssen: Auf Schatz, der schon in den 1990er Jahren in der PDS aktiv war und sich in der Fraktion bislang um Europa- und Bundesangelegenheiten kümmerte, entfielen 21 von 27 Stimmen; einen Gegenkandidaten hatte er nicht. Der Bezirksvorsitzende von Treptow-Köpenick gilt intern als Strippenzieher, war lange Geschäftsführer der Landespartei und ist ein Reformer, der auch in der SPD nicht für Schrecken sorgen dürfte. Er ist Deutschlands erster Parlamentarier, der seine HIV-Infektion nicht verschweigt.

Anne Helm, bislang Sprecherin für Medien und Strategien gegen Rechts, kann nicht annähernd auf so eine Parteikarriere zurückblicken, ist aber öffentlich viel bekannter, auch durch einen Protest anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens 2014, als sie auf ihrem entblößten Oberkörper die Parole „Thanks. Bomber Harris do it again“ präsentierte. Als ehemaliges Mitglied der Piratenpartei trat sie erst 2016 in Die Linke ein und zog wenig später, ohne Unterstützung durch ihren Neuköllner Bezirksverband ins Abgeordnetenhaus ein. Sie setzte sich mit 16 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen gegen Brychcy durch. Zumindest für Helm gilt: Groß ist dieser Rückenwind nicht.

Herausforderung Coronakrise

Dabei stehen die neuen Chefs vor schwierigen Zeiten. Die Auswirkungen der Coronakrise auf die wirtschaftliche, finanzielle und soziale Entwicklung der Stadt werden in den kommenden Monaten voll durchschlagen. Auseinandersetzungen darüber, wo noch Geld ausgegeben werden kann, wie sie angesichts voller Kassen in den vergangenen Jahre geführt wurden, werden solchen um Sparmaßnahmen weichen. Während die Koalitionspartner SPD und Grüne mit erfahrenen PolitikerInnen in diesen Themenfeldern aufwarten, kann dies für Schatz und Helm nicht behauptet werden.

Ein Strategiepapier, das beide nach ihrer Kandidatur vorgelegt hatten, kann diese Bedenken nicht zerstreuen. Der achtseitige Aufschlag liefert wenig Substanzielles. Eingefordert wird zwar eine „gesellschaftliche Strategie im Umgang mit Corona“, doch die Antworten gehen über dem Festhalten an den Kernpunkten der bisherigen Arbeit kaum hinaus. Die Kritik innerhalb der Fraktion fiel heftig aus; Reaktionen reichten von „So was kann man nicht liefern“ bis „Sehr schlechte Performance“. Die Verteidiger verweisen darauf, dass Helm und Schatz zur Mitarbeit aufgerufen und das Papier inzwischen fortgeschrieben haben.

Brychcy hatte zusammen mit den stadtentwicklungs- und umweltpolitischen Sprecherinnen Katalin Gennburg und Marion Platta ein Papier dagegen gesetzt. Eine der Kernaussagen: „Wir wollen die anhaltenden Klimaproteste mit den bisherigen und den kommenden Arbeitskämpfen verbinden und so eine Perspektive für einen sozial-ökologischen Umbau schaffen.“ Das Eintreten für eine Partei, die bewegungsnah agiert, sozialökologisch aufgestellt ist und die öffentliche Daseinsvorsorge stärkt, dürfte mehr die Seele der Partei treffen, die in den vergangenen Jahren trotz Regierungsbeteiligung eher ihr linkes Profil geschärft hat.

Womöglich aber lassen sich zumindest die in den Papieren hervorgetretenen inhaltlichen Differenzen zusammenführen: Geplant ist eine Fraktionsklausur im August. Dort will sich die Fraktion auf ihr letztes Jahr vor der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021 einstimmen. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) gratulierte via Twitter als einer der ersten „von Herzen“ zur Wahl von Schatz und Helm. Der Abgeordnete Hakan Tas sagte der taz: „Vor uns liegen wichtige Aufgaben. Die Fraktion ist stark aufgestellt.“ Einig war sich die Fraktion in ihrem Dank an Bluhm und Wolf, die, so der allgemeine Tenor, eine hervorragende Arbeit gemacht hätten.

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