Neue Kandidatur von Friedrich Merz: Ein Glücksfall für die Ampel
Mit Friedrich Merz könnte eine Rechtsverschiebung der politischen Kultur drohen. Aber die neue Koalition würde ein solcher Gegner zusammenschweißen.
W etten, dass Friedrich Merz neuer CDU-Chef wird? Ja, genau, dieser ewige Möchtegern aus Brilon, der auf der Bundesebene noch nie etwas gewonnen hat. Gerade weil er wie ein Mann von gestern wirkt, der sich zum dritten Mal aufdrängt, passt der altmodische Sauerländer perfekt in die aktuelle Retro-Stimmung.
Wenn sich das halbe Land wieder samstagabends selig vor dem guten alten ZDF zusammenkuschelt und wie befreit über die Herrenwitze eines 71-jährigen Moderators zum tiefen Ausschnitt seiner Assistentin lacht, für wen werden sich die Mitglieder der CDU dann wohl entscheiden?
Nun sage bitte keiner, das könne man doch nicht vergleichen. Klar, Thomas Gottschalk hat Ironie, Merz Rachsucht. Das eine ist eine alberne Fernsehshow, das andere Politik. Aber in einer Zeit, in der die Nachrichten abwechselnd von Corona-, Klima- und Belarus-Katastrophen handeln, also zunehmend Gruselfilmen gleichen, wächst auch die Sehnsucht nach einer politischen Führungsgestalt, die dafür sorgt, dass alles endlich wieder schön übersichtlich und gemütlich wird. So wie es früher natürlich auch nie wirklich war, aber in der wehmütig verklärten Erinnerung erscheint. Auf seine Weise hat davon schon Olaf Scholz bei der Bundestagswahl profitiert. Auch er stand ja für alles andere als Aufbruch.
Merz fehlt die seriöse Langeweile, die Scholz ausstrahlt und die ihm bei der Kanzlerwerdung hilft, aber als CDU-Chef hätte Merz jetzt erst einmal einen anderen Job, nämlich Opposition. Und da ist Unterhaltungswert durchaus ein wichtiges Kriterium, weil er Aufmerksamkeit verspricht. Das ist Merz’ größter Trumpf. Oder kann sich jemand vorstellen, wie Helge Braun oder Norbert Röttgen mitreißende Reden halten, die sich substanziell von den drögen Scholz-Ansprachen unterscheiden? Dazu kommt, dass Merz schlauerweise gleich ein Team mit mehreren Frauen, Ostdeutschen und Parteipromis wie Jens Spahn präsentiert hat, während Röttgen als eitler Einzelkämpfer und Braun als blasser Merkel-Helfer gelten.
Erliegt die CDU der Versuchung?
Auch weil die letzten zwei Versuche mit Vertretern des Merkel-Lagers, AKK und Armin Laschet, krachend gescheitert sind, spricht also viel dafür, dass die CDU beim dritten Mal doch noch der Versuchung Merz erliegt. Was daraus langfristig folgen würde, wäre offen. Schlimmstenfalls eine Rechtsverschiebung des politischen Diskurses.
Das Risiko besteht, dass Merz mit einer Politik der Angst und Zukunftsverweigerung Erfolg hat. Aber für die geplante Mitte-links-Ampel ist seine Kandidatur auch eine Chance. Nichts dürfte SPD, FDP und Grüne mehr zusammenschweißen als das rechte Schreckgespenst Merz. Topp, die Wette gilt!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich