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Neue Kämpfe in LibyenDie Waffen schweigen … nicht

Haftars LNA hat im Kampf gegen die Regierung Libyens größten Militärflughafen eingenommen. Das durchkreuzt die türkischen Interventionspläne.

Zog jetzt geschlagen ab: Regierungssoldat in Sirte, März 2019 Foto: reuters

Tunis taz | Während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Russlands Staatschef Wladimir Putin am Mittwoch eine Waffenruhe in Libyen ab Sonntag beschlossen, stehen die Zeichen in Libyen auf Eskalation. In der Hauptstadt Tripolis sagte Innenminister Fathi Bashagha auf einer Pressekonferenz, ein Waffenstillstand sei nur nach einem völligen Rückzug der ostlibyschen Truppen von General Chalifa Haftar möglich, der mit seiner „Libyschen Na­tio­nal­armee“ (LNA) am Rande der Hauptstadt steht und die dortige Regierung von Premier Fajis al-Sarradsch stürzen will.

Seit Dienstag kontrolliert Haf­tars LNA nun auch die strategisch wichtige Stadt Sirte und damit erstmals einen westlibyschen Hafen. Sie eroberte Sirte am Montag in wenigen Stunden. Mit dem Überraschungsangriff auf Sirte fiel auch Li­byens größter Militärflughafen al-Kardabija südlich der Stadt an die LNA.

Er wäre für die türkische Armee ein idealer Sta­tio­nie­rungs­ort für Drohnen und Kampfflugzeuge gewesen. Laut Erdoğan sind mittlerweile 35 türkische Soldaten in Libyen stationiert und sollen der international anerkannten Regierung Sarradsch beim Aufbau militärischer Strukturen helfen. Eine unbekannte Zahl russischer Söldnern und Militärexperten steht an der Seite der LNA.

Sirte war während des Aufstands gegen Gaddafi und nach der späteren Besetzung durch den Islamischen Staat hart umkämpft. Durch Absprachen zwischen Haftar und den Stämmen der Region gelang diesmal eine unblutige Übernahme. In Sirte, Gaddafis Geburtsstadt, wurde die Ankunft der LNA von Gaddafi-Anhängern mit den grünen Flaggen des 2011 gestürzten Regimes freudig gefeiert.

Seit 2016 hatten die „Sirte-Sicherungskräfte“ aus dem benachbarten Misrata die Stadt kontrolliert. Sie hatten damals unter hohen Opfern mit Unterstützung der US-Luftwaffe den IS vertrieben, der damals gehofft hatte, von Sirte aus eine ständige territoriale Präsenz in Libyen aufbauen zu können. Aber gegen Haftar bekamen sie keine Unterstützung. Nachdem die ebenfalls in Sirte pa­trouil­lie­ren­de salafistische „Brigade 604“ sich Haftar anschloss, blieb den Kräften aus Misrata bei Ankunft der LNA nur der Rückzug.

Infografik: infotext-berlin.de

Der angekündigte Gegenangriff blieb trotz Generalmobilmachung in Misrata bisher aus. Haftars Luftwaffe weitete derweil die von ihr ausgerufene Flugverbotszone auf ganz Tripolis aus, kurz vor der geplanten Rückkehr von Premier Sarradsch in die libysche Hauptstadt.

Pendeldiplomatie über dem Mittelmeer

Haftar und Sarradsch waren am Mittwoch unabhängig voneinander nach Italien aufgebrochen. Haftar traf in Rom zu einem dreistündigen Gespräch mit Regierungschef Guiseppe Conte ein. Auch Sarradsch war auf dem Weg nach Rom. Als er von der Anwesenheit Haftars hörte, drehte seine Maschine Richtung Tripolis ab, da der international anerkannte Ministerpräsident sich weigert, mit dem selbsternannten Feldmarschall zu sprechen.

Zuvor war Libyens Premier in Brüssel mit EU-Ratspräsident Charles Michel zusammengetroffen. Italiens Außenminister Luigi Di Maio sprach zeitgleich in Kairo mit der ägyptischen Regierung, die Haftar unterstützt. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hatte zuvor angekündigt, einem türkischen Eingreifen nicht tatenlos zusehen zu wollen.

Die rege Pendeldiplomatie über das Mittelmeer soll verhindern, dass sich demnächst in Libyen ägyptische und türkische Soldaten gegenüberstehen. Ein ebenfalls für Mittwoch geplanter Besuch von EU-Außenministern in Tripolis wurde aber aus Sicherheitsgründen kurzfristig abgesagt.

Mehrere hundert Menschen de­mons­trier­ten dort gegen den Besuch des französischen Außenministers, weil Frankreich Haftar unterstützt, den es als Stabilitätsfaktor für die Sahelzone ansieht. Italien stützt hingegen aus wirtschaftlichen Interessen die Sarradsch-Einheitsregierung in Tripolis: Durch die Greenstream-Pipeline strömt westlibysches Gas nach Sizilien.

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1 Kommentar

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  • Was heißt eigentlich heutzutage noch international anerkannt?

    Wenn ein selbsternannter Präsident Guaido (ohne Legitimierung durch einen Wählerwillen) einfach so international anerkannt wird, obwohl er mittlerweile sogar als Parlamentspräsident abgewähllt wurde, kann das keine größere Bedeutung mehr haben. Wen will denn die Bevölkerung?