piwik no script img

Neue Jugenddroge BenzodiazepineLocker im Lockdown

Sogenannte Downer sind bei Jugendlichen das neue Drogending. In Berliner Beratungsstellen tauchen immer mehr Kon­su­men­t*in­nen auf.

Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen gerade angesagt: Benzodiazepine Foto: Markus Spiske/Unsplash

Berlin taz | Eine Sommernacht am Zehlendorfer Schlachtensee. Jugendliche feiern, tanzen und flirten. Bisschen Wodka, bisschen Gras – und ne Xanny. So erzählt es eine 18-Jährige: „So Benzodiazepine, so Xanax, Valium, Tavor – in die Richtung wird hier sehr viel vor allem von jüngeren Leuten konsumiert.“

In einer Reportage vom RBB diesen Sommer war das zu sehen, und für Lars Behrends veranschaulicht dieses Zitat ein Problem, das er aus erster Hand kennt. Denn Behrends ist Drogenberater und bekommt mit: Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind Downer gerade angesagt, konkret Benzodiazepine und Opioide. Sie haben Namen wie: Xanax, Valium, Tilidin.

Behrends ist Sozialarbeiter und leitet die Suchtberatung Vista in Marzahn-Hellersdorf. Mit seinem psychedelisch gemusterten Hemd und der ruhigen Stimme wirkt er, wie man sich einen Drogenberater vorstellt. „Es ist ein deutlich sichtbares Phänomen, das sich innerhalb kurzer Zeit etabliert hat“, sagt er. Gerade in den ersten drei Monaten des Jahres seien merklich mehr Jugendliche als im Vorjahr in die Drogenberatung gekommen, die Erfahrungen mit Tilidin, Valium oder Lean, einer Mischung aus Codein und Sprite, hatten.

Auch wenn bei Behrends natürlich nur die Extremfälle landen, können diese auf ein breiteres Phänomen hinweisen. „Die Droge ist ganz klar im Mainstream angekommen“, fasst er zusammen.

Benzodiazepine sind billig, ein bis zwei Euro kostet eine Pille

Gegen Angst und Schmerz

Xanax, Valium und Tilidin sind verschreibungspflichtige Medikamente, die gegen Angstzustände, Schlaflosigkeit und Schmerzen verschrieben werden. Dass diese Substanzen missbräuchlich, also ohne medizinische Indikation gebraucht werden, ist nicht unbedingt neu. Die Rolling Stones besangen Valium schon in den Sechzigern als „Mother’s Little Helper“. In der sogenannten harten Szene, unter Heroin-Konsument*innen, sind Benzodiazepine schon länger ein Ding.

Neu daran ist, dass diese Substanzen jetzt unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen an Beliebtheit gewinnen, obwohl sie in diesen Gruppen früher gar keine Rolle gespielt haben. Problematisch daran ist, dass sie ganz andere Risiken bergen als klassische Partydrogen, auch wenn „Downer“ erst mal harmloser klingt.

Im Rausch

So viel kostet der Rausch Der Preis eines Benzodiazepins wie Valium ist auf dem Schwarzmarkt ähnlich hoch wie beim legalen Erwerb in der Apotheke, ein bis zwei Euro pro Tablette. Im Vergleich ist das ein billiger Rausch: Ein Gramm Marihuana kostet rund 10 Euro, über den Messengerdienst Telegram bekommt man etwa eine Ecstasy-Pille für rund sechs Euro. Ein Gramm Heroin kostet rund 50 Euro. Teuerste Droge ist Kokain, in Berliner Telegramgruppen kostet ein halbes Gramm dort 50 Euro.

Capital Bra, ein der bekanntesten wie umstrittensten deutschen Rapper, hat nicht nur in seinem Hit „Tilidin“ über die Droge gerappt, sondern war jahrelang selbst süchtig danach. Im vergangenen Jahr sprach der Berliner mit dem Youtube-Kanal „Y-Kollektiv“ darüber: „Du kannst nicht ohne, weil es dich dann fickt.“ Den Entzug habe er erst nach mehreren erfolglosen Versuchen geschafft. Er schäme sich dafür, dass er über die Droge gerappt und damit Jugendliche womöglich zum Konsum inspiriert hat. (taz)

Aktuelle Zahlen für Berlin gibt es dazu nicht, die neuesten Zahlen stammen von 2019, bevor der Trend einsetzte. In Frankfurt am Main untersucht der Soziologe Bernd Werse regelmäßig den Drogenkonsum bei Jugendlichen, dort sei das im Jahr 2019 nur ein Randphänomen gewesen, das rund zwei Prozent der Jugendlichen ausprobiert hätten.

Die taz hat daher bei fünf Trägern von Berliner Drogenberatungsstellen nachgefragt, alle bestätigen den Trend. Vor allem in den vergangenen Monaten sei ein Anstieg an Jugendlichen, die wegen Benzodiazepinen zur Drogenberatung gehen, zu beobachten gewesen.

Dass die Substanzen ihren Weg in den Mainstream gefunden haben, liege mutmaßlich im zweiten Lockdown im Winter begründet, sagt Heike Krause, Sprecherin vom Drogennotdienst. „Wenn Lockdown ist, nimmt man keine Partydrogen. Da sitzt man abends alleine Zuhause. Benzos nimmt man eher alleine“, erklärt Krause.

Plausibel, wenn man bedenkt, dass die Substanzen vor allem beruhigend wirken. Gerade diese Form des Konsums – alleine – sorge jedoch noch mal für ein Extrarisiko, so Lars Behrends: „Für die meisten Jugendlichen ist der Probierkonsum ein soziales Ereignis. Sie passen in der Gruppe aufeinander auf, schließlich will sich ja niemand mit dem Konsum Schaden zufügen. Wenn aber der soziale Kontext wegfällt, dann fehlt dieses Korrektiv.“

Die Popularität von Benzos und Tilidin hänge mit der Rapkultur zusammen. Trap-Rapper aus den USA besingen schon seit Jahren „Lean“ oder „purple drank“, Hustensaft gemischt mit Sprite. Hauptwirkstoff ist darin Codein, ein Opioid, das hierzulande bei Reizhusten verschrieben wird.

Mit Trap und Cloud-Rap fand das seinen Weg über den Atlantik in die deutsche Rap-Szene. Andere Downer besingen deutsche Rapper auch ohne US-Einfluss: „Popp ne Xanny, Bitch“ rappte Rin vor drei Jahren, mit „Tilidin“ landeten Capital Bra und Samra, der aktuell wegen Vergewaltigungsvorwürfen in der Kritik steht, vor zwei Jahren einen Nummer-1-Hit.

Natürlich knallt sich nicht je­de*r Jugendliche, der*­die gerne Deutschrap hört, gleich mit den besungenen Tabletten weg. Aber „popkulturell wird da eine Nachfrage hergestellt, die vorher nicht da war“, sagt Behrends.

Diese Nachfrage zu befriedigen ist heute, auch das ist neu, so leicht, wie eine Pizza zu bestellen. Eine Suche auf dem Messengerdienst Telegram mit Begriffen wie „Berlin“ und „Benzos“, schon findet man eine Gruppe, in der etwa ein User namens „Brille“ Codein und Alprazolam anbietet. Abholung in Reinickendorf, aber er kann einem auch entgegenkommen.

Zusätzlich hätte sich das schon lange verbreitete Prinzip der Kokstaxen auf andere Substanzen und ganz Berlin ausgeweitet, so Behrends: „Mit dem Ergebnis, dass eigentlich an jedem Punkt in der Stadt zu jedem Zeitpunkt nahezu jede Substanz, die interessant erscheint, zu erhalten ist.“ Das sei vor allem seit einem Dreivierteljahr in diesem Ausmaß so. Eine „Lieferandoisierung“ des Drogenmarktes nennt er das, die zu den Verkaufsstrukturen über klassische Dealer und öffentliche Orte wie an der Warschauer Straße hinzukommt. Benzodiazepine sind außerdem billig, ein bis zwei Euro kostet eine Pille.

Die besonderen Gefahren von Benzos und Tilidin: Sie machen sehr schnell abhängig, psychisch wie körperlich. Der Beipackzettel von Alprazolam zum Beispiel empfiehlt eine so kurze Behandlungsdauer wie möglich, maximal acht bis zwölf Wochen. „Der Entzug hat es echt in sich“, sagt Andreas Gantner, Sozialarbeiter beim Therapieladen. Oft müsse man den Entzug stationär machen, was aber gerade Jugendliche oft nicht wollten. Aber: „Du kannst bei den Kids nicht warten, bis sie das wollen, vielleicht sind sie in Lebensgefahr“, sagt er.

Das ist die zweite Tücke bei diesen Substanzen: Sie werden dem Körper sehr viel schneller sehr gefährlich als die meisten Partydrogen. Weil sie sedierend wirken, bergen sie die Gefahr einer Atemdepression. Gerade in Kombination mit Alkohol oder bei Benzodiazepinen zusammen mit Opioiden wird es gefährlich, und gefährlich kann an dieser Stelle eine Überdosis bedeuten.

So weit kommt es nicht bei allen. Drogentrends kommen und gehen. Ob und wie sich das in den Statistiken niederschlägt, wird sich erst nächstes Jahr zeigen, wenn die Zahlen von 2021 ausgewertet sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • das NEUE Drogending ??? :D das ist bei mir in der Region schon seid Jahren so dass sich immer mehr Leute mit Benzos zuknallen .....ziemliches Scheisszeug

  • "Locker im Lockdown" - ??? - was für eine verharmlosende Überschrift. So richtig ernst scheint die taz-Autorin dieses Drogenproblem nicht zu nehmen. Im Text kommt dann zum Glück der Hinweis auf die tatsächliche Gefährlichkeit, aber gegen Ende tut sie dann doch wieder so, als könnte man sich zurücklehnen: "Drogentrends kommen und gehen" - also einfach abwarten und aussitzen?

  • Der meiste Pillenkram geht ganz normal über Rezept und Apotheke. Ein Teil wird vielleicht weitergegeben, aber das macht nicht den großen Anteil. Die Verschreibungspraxis der Ärzte hat sich geändert. Es hängen auch unter den Jungen so viele Leute durch, dass Ärzte die Drucker heißlaufen lassen. Was sollten sie auch tun? Therapiemöglichkeiten wurden eingeschränkt, die ganzen niedrigschwelligen Angebote sind größtenteils einfach weggefallen.



    Bei uns am Ort wurde die offene Jugendarbeit gestrichen und durch Ausgabe von Bastelsets an Kinder ersetzt. Anleitung per YouTube...

  • Wie traurig und langweilig ist das denn,wenn sich in der Jugend selbst sediert wird.



    Dann auch noch mitso einen Schrott wie Tillidin.



    Das ich nach einem sehr schweren Unfall auch 3 Monate intensiv genommen habe. Der Entzug ist Horror.



    Man läuft wie ein Junky durch die Gegend. Und das für nichts. Kein rausch Nada. Nur schmerzfrei



    Es wird Zeit, dass die Jugend es wieder krachen lassen kann und sich nicht selbst ruhig stellt.

    • @fmraaynk:

      Kein Rausch, nada?



      Wenn man keine seelischen Schmerzen, starke innere Unruhe verspürt, ist das wohl so.



      Plagt es dich aber, könnte man diese Art Schmerzfreiheit durchaus als Rausch ansehen. Keiner nimmt bzw. Tilidin einfach nur so, um hinterher davon abhängig zu sein.

  • Die neueste fachmedizinische Auskunft lautet: 19% der Benzodiazepin-User werden abhängig - d.h erhöhen die Dosis.

  • Das Hauptproblem an der ganzen Thematik ist, daß die Pharma-, Tabak- und Alkohollobby offenbar leider immer noch zu stark ist, als daß der Gesetzgeber sich endlich zu einer vorbehaltslosen Aufhebung der Cannabis-Prohibition durchringen könnte! - Die allermeisten der genannten "harten" Pharmazeutika könnte man durch ein Nebenwirkungsfreies, nicht abhängig machendes, jahrtausende altes Bio-Produkt namens Cannabis ersetzen!

    P.S.: Mag sein, daß es in Großstädten Cannabis zu 10€/Gramm an jeder Ecke gibt. Flächendeckend üblich ist das jedoch nicht! Und Cannabis auf Privatrezept kostet derzeit satte 20€/Gramm! Legal kiffen ist hierzulande eine recht teure Angelegenheit - erst recht im Vergleich zu Dias!

  • Was für ein Artikel? Es gibt nicht wirklich Xanax und Valium in Deutschland. Das sind Markennamen. Da die Patente aber seit langem abgelaufen sind und die Krankenkassen nur günstigere Generika bezahlen, sind diese "Markenprodukte" nicht auf dem Markt. Alprazolam wird z. B. in Deutschland auch als Generika nicht in der in den USA üblichen hohen Dossierung angeboten. Es ist auch eher selten, da es für Angststörungen eingesetzt wird und Hausärzte in Deutschland insofern lieber Lorazepam verschreiben.

    Was will ich damit sagen? Der Bericht ist komisch, weil angebliche Slang-Namen verwendet werden, die es in Deutschland so gar nicht gibt. Der Slang für Diazepam ist nicht der Markenname Valium sondern "Dias". Wenn nun ein Artikel besondere Nähe zur Zielgruppe durch die Verwendung (szenetypischer) Namen nahelegen will, welche nur in der Kultur der USA existieren, aber nicht in Deutschland, frage ich mich, wie seriös ist der/die Author*in. Im Ergebnis ist der Artikel insofern vll. nicht besser, als wenn die Bild berichten würde.

    • @rujex:

      Ist doch völlig egal, ob man den Überbegriff Valium benutzt! Alle *zepame sind Valiumderivate! Nur kann mit den Namen Alprazepam, Bromazepam, Diazepam, Oxazepam etc.. halt nicht jeder etwas anfangen, daher spricht/schreibt man einfach "Valium".

      Viel wichtiger finde ich, daß im Artikel am Schluß auch auf das hohe Risiko, an einer Atemdepression zu sterben, wenn man Dias/Benzoes/Valiums zusammen mit Opioden wie Buprenorphin/Subutex, Tilidin, Fentanyl etc. kombiniert (und dann vielleicht sogar noch ein paar kräftig gemischte alkoholische Getränke dazu nimmt)!

      Leider wird auf die Gefahr einer starken Abhängigkeit von Dias viel zu wenig eingegangen! - Diese zu entziehen, ist (nach meinen eigenen Erfahrungen) nochmal eine ganz andere Nummer, als von den genannten Opioiden! - Sich Subu, Fenta oder Tilidin (natürlich mit entsprechender langsamer Runterdosierung) wieder abzugewöhnen, ist dagegen ein Spaziergang!

      P.S.: Sage ich mal so, als 51-jähriger Krebspatient, der vor dem Krebs im letzten Jahr auch schon 12 Jahre lang Subu genommen hat, dieses zigmal aufgrund Nachschubmangel kalt entzogen hat, in der Krebsphase erst Tilidin, später Morphin und Fentanyl, sowie Amitryptilin und Oxazepam genommen hat (Teils in Kombination und jedes für sich in für opioidnaive Personen wahrscheinlich letalen Dosierungen!).

    • @rujex:

      Außerdem ist das Problem der Benzodiazepine doch wohl ehr eines von Mittelklassenleistungsträgern, die das Zeug brauchen, um sich abends etwas aus ihrem gruseligen Alltag herauszuschießen.

      Die bekommen es von ihren Hausärzten jahrelang unter Vorwänden wie Rückenschmerzen oder Schlafstörungen verschrieben ... und dann, wenn der Arzt nicht mehr will, aber schon gut angefixt, aus dem Internet.

  • Unter Benzodiazepin-Entzug kommt es zu mehr Suiziden als im Heroin- Entzug!!

  • "Neue Jugenddroge Benzodiazepine" ???

    Mal davon abgesehen, dass Benzodiazepine und Tilidin schon seit Jahrzehnten in der Drogenszene weit verbreitet sind wird in diesem Artikel ja alles schön bunt durcheinander gemixt was eine PZN hat (oder eben auch nicht)

    Benzodiazepam (Handelsname z.B. Valium) ist praktisch der "Urvater" dieser Stofgruppe und stark suchterregend.

    Alprazolam (Handelsname z.B. Xanax) ist ein modernerer Nachfolger von Benzodiazepam mit erheblich stärkerer Wirkung.

    Tilidin (Handelsname z.B. Valoron) hingegen ist ein Opiat und hat mit den beiden anderen nichts zu tun - außer der Verbreitung in der Drogenszene seit Jahrzehnten

    Also was ist neu daran?

    Das die konsumierten Mengen Jahr um Jahr steigen ?

    Ich bin durchaus der Meinung dass man die Drogenprobleme der Gesellschaft immer wieder mal thematisieren muss - aber die Headline



    "Neue Jugenddroge Benzodiazepine" geht da schon recht weit an der Realität vorbei.

  • Klar, wenn man nicht mehr in Klubs gehen und tanzen darf liegt man lieber in irgendeiner Ecke betäubt herum.