Neue Gesetzesentwürfe für Berlin: Politik mit schönen Worten

Die neue Regierende ist bekannt für ihre luftig-unbedarften Gesetzesnamen. Die taz hat in Giffeys Gießkanne noch vier geheime Entwürfe gefunden.

Aus der Gießkanne fließen neue Entwürfe für Schöner-Irgendwas-Gesetze Foto: dpa

Enteignung für alle – Gesetz

Es ist die Herkulesaufgabe dieser Koalition: Den Un­ter­stüt­ze­r:in­nen des erfolgreichen Enteignen-Volksentscheides gerecht zu werden, aber auch nicht die 40 Prozent der Ber­li­ne­r:in­nen und 100 Prozent der Fachleute der Immobilienbranche zu verprellen, die diese Maßnahme als Schritt in die stalinistische Terrorherrschaft kritisieren. Nachdem die Enteignungskommission sich ein Jahr lang selbst blockiert hat, weil die von der SPD entsandten Mitglieder immer nur über Neubau reden wollten, soll das „Enteignung ist für alle da“-Gesetz den gordischen Knoten lösen.

Aus Respekt vor dem demokratischen Mehrheitsentscheid wird vergesellschaftet, das ist die Kernbotschaft. Aus Rücksicht auf Giffeys „Rote Linie“ tastet man die Bestände der großen, privaten Konzerne aber nicht an. Vergesellschaftet werden stattdessen alle Neubauwohnungen, damit niemand mehr behaupten kann, durch die Enteignung entstünden keine neuen Wohnungen. Um den Neubaukonzernen (Deutsche Neubau, Baunovia & Co) die Maßnahme schmackhaft zu machen, wird nach Marktwert entschädigt.

Außerdem erhalten die Konzerne über ein Sale-and-Lease-Back-Verfahren die Möglichkeit, die Neubauten auch nach der Enteignung weiter zu bewirtschaften und den Verkauf der Eigentumswohnungen selbst zu managen. „Das tut auch der sozialen Mischung in den Problemvierteln gut“, zeigt sich Giffey zufrieden.

Das Glückliche-Kinder-Gesetz

Giffey, das hat sie bereits bei der Vorstellung des bildungspolitischen Kapitels im Koalitionsvertrag klargemacht, will in den kommenden Jahren vor allem eins in den Schulen: Ruhe. „Umsetzen, anpassen, managen“, das sei ihre Strategie – beziehungsweise soll es die Strategie ihrer Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse sein.

Kein Wunder also, dass das pragmatische Duo gleich liefert in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit: „Wir wollen den Kindern und den Familien, gerade auch in Zeiten der Pandemie, etwas zurückgeben“, sagte Giffey. Deshalb soll nun das Glückliche-Kinder-Gesetz ins Abgeordnetenhaus eingebracht werden. Der Gedanke dahinter, so Schulsenatorin Busse, sei einfach: Je weniger man in den Schulen anpacke – etwa bei der zügigen Neubesetzung der seit Monaten vakanten Stelle des Antidiskriminierungsbeauftragten für die Schulen oder bei der Einstellung von mehr sonderpädagogischem Personal für einen inklusiven Ganztag – desto besser. Was man hingegen „zügig“ anpacken wolle: Die Lehrerverbeamtung. Und, sagte Giffey, auch wenn zugegeben nicht ganz klar sei, wie viele Lehrkräfte sich durch das Verbeamtungsversprechen tatsächlich in der Hauptstadt halten lassen: „Nur Beamtinnen und Beamte, die glücklich im Job sind, können glückliche Kinder ausbilden.“ Insofern greife da ein Gesetzesvorhaben nahtlos in das andere.

Schöner-Schlumpsen-Gesetz

Wo das Hässliche regiert, ist die Gewalt nicht weit. Wo also Jogginghosen die Sonnenallee entlangspazieren, grassiert auch die Kriminalität in den Shisha-Bars. Und wo ausgetretene Sneaker in Hundekacke latschen, kann kein Gefühl der Sicherheit aufkommen. Der Zusammenhang zwischen der Verschlumpsung Berlins, die durch den so feinen Begriff des Laissez-faire verbrämt wird, und der gefühlten Kriminalität wie in den Favelas von São Paulo ist also offensichtlich.

Die Lösung auch: Mit Giffeys Schöner-Schlumpsen-Gesetz wird Berlin erst schöner, dann sicherer. Gebügelte Hosen und Kostüme werden zur allgemeinen Pflicht, auf Boulevards muss es auch ein Schlips sein. Und weil Herren in Hemden und Damen in Blumenkleidern weder Drogen nehmen noch Graffiti sprayen, keine Raubüberfälle begehen und nicht wild pinkeln, ist Berlin seine größten Probleme auf einen Schlag los. Die Delikte der Wohlgekleideten, Immobilien- oder Steuerbetrug, werden zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft. Damit in den Gefängnissen Platz für Schlumpsige bleibt.

Geschmackvolles-Autobahn-Gesetz

Mit dem „Geschmackvolle-Autobahn-Gesetz“, kurz GAG, das Franziska Giffey auch gegen den erbitterten Widerstand der Grünen durchdrücken will, schreibt die Regierende lediglich den Diskussionsstand in ihrer Partei fort. Denn die SPD bekannte sich im Wahlkampf nicht nur zur Fertigstellung des 16. Bauabschnitts der A100 nach Treptow, sondern stellte klar, dass auch Nummer 17 bis an den Rand von Prenzlauer Berg kommen muss. „Die Verlängerung ist für uns Teil eines Gesamtkonzepts zur Verkehrsentlastung der umliegenden Quartiere, wo wir durch die Reduzierung von Verkehr, Lärm und Feinstaubbelastung mehr Lebensqualität schaffen wollen“, so eine Parteisprecherin. Giffey will das alles, aber noch viel mehr: Ihr Gesetzentwurf betoniert den Ringschluss, den eigentlich niemand mehr kommen sah.

Das graue Band der Sympathie soll den Autoverkehr oberirdisch bis Gesundbrunnen führen, für die Querung der engeren Straßen des Weddings bis zur Anschlussstelle Seestraße sollen Varianten per Viadukt geprüft werden. Ein Ring habe weder Anfang noch Ende, da könne sich nichts stauen.

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