Neue Coronaregeln beschlossen: Regierung setzt sich durch
Sowohl die Bundesländer als auch Teile der Regierung kritisierten den Gesetzentwurf. Trotzdem hat der Bundestag die neuen Coronaregeln beschlossen.
Laut dem neuen Gesetz gilt ab Sonntag lediglich noch eine Maskenpflicht im Öffentlichen Personennahverkehr und in Einrichtungen, die mit vulnerablen Personen arbeiten, sowie eine Testpflicht in Heimen und Schulen. Lediglich in sogenannten „Hotspots“ können die Bundesländer weitere Maßnahmen erlassen, unter anderem eine Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen. Ein Hotspot kann von einem Stadtteil bis zur Größe eines ganzen Bundeslands reichen.
Allerdings haben die Bundesländer angekündigt, zunächst einmal eine vorgesehene Übergangsfrist zu nutzen und die aktuell geltenden Schutzregeln bis längstens zum 2. April aufrechtzuerhalten. Alle 16 Bundesländer haben den nun beschlossenen Gesetzentwurf für unzureichend erklärt.
In der Bundestagsdebatte kritisierte nicht nur die Opposition das Gesetz, sondern auch Redner*innen der Grünen. Sie hätten sich vor allem eine weitreichendere Maskenpflicht gewünscht, sagte unter anderem die grüne Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther.
Lauterbach: „Kein Freedom Day“
Trotz ihrer Bedenken stimmten die Grünen dem Gesetz zu. Ansonsten wären am Sonntag alle Maßnahmen ausgelaufen und das wäre schlimmer, betonte Kappert-Gonther in ihrer Rede. Das Gesetz sei ein demokratischer Kompromiss.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnte den Entwurf ab. Das Gesetz sei nicht rechtssicher, mahnte Tino Sorge an. „Das Gesetz erzeugt ein Wirrwarr“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion. Die darin festgeschriebene Hotspot-Regelung sei zu unklar definiert, „die Bundesländer wissen nicht, wie sie das umsetzen sollen“, so Sorge. Er schloss sich der Kritik der Bundesländer an, dass mit dem neuen Infektionsschutzgesetz keine angemessenen Schutzmaßnahmen vor dem Coronavirus möglich seien.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte im Widerspruch dazu, das Gesetz sei der aktuellen Situation angemessen. Es handele sich um einen „schweren Kompromiss“. In der gegenwärtigen Phase der Pandemie „können wir nicht weiter das ganze Land unter Schutz stellen“. Andererseits sei die Bundesrepublik „nicht an dem Punkt, wo es schon einen Freedom Day geben könnte“.
Am Freitag meldete das Robert Koch-Institut (RKI) mehr als 290.000 registrierte Neuinfektionen mit dem Corona-Virus an einem Tag. Das ist ein neuer Höchstwert, dabei gehen Labor-Expert*innen von einer hohen Dunkelziffer aus. Während die Testungen in den vergangenen Wochen zurückgingen, blieb der Anteil positiver Tests bei etwa 50 Prozent. Das RKI meldete zudem 226 weitere Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. Damit erhöht sich die Zahl der gemeldeten Coronatoten in Deutschland auf 126.646.
Aber es bestehe zur Zeit keine Gefahr, dass großflächig die Krankenhäuser überlastet werden könnten, so Lauterbach. Durch die Coronavariante Omikron, die aktuell die meisten Infektionen verursacht, und eine mehrheitlich geimpfte Bevölkerung habe sich die Lage dahingehend geändert. Trotzdem könnten in einzelnen Gebieten immer noch Probleme für die Gesundheitsversorgung auftreten. Dafür seien die „Hotspot“-Regeln da.
Schutz für vulnerable Personen im Supermarkt
Die Linkspartei-Abgeordnete Susanne Ferschl warf jedoch ein, dass die „Hotspots“ einen „regionalen Flickenteppich“ schaffen könnten. Das Gesetz sei „handwerklich und inhaltlich schlecht“, kritisierte sie. Ferschl könne nicht nachvollziehen, wie die Bundesregierung eine Maskenpflicht abschafft, während große Teile von ihr eine Impfpflicht forderten.
Die Maske biete ebenso Fremdschutz und greife geringer in die Freiheit ein. „Die vulnerablen Gruppen leben nicht nur im Heim, sondern mitten in unserer Gesellschaft“, erklärte Ferschl. Auch die Union kritisierte das.
Christine Aschenberg-Dugnus, Gesundheitspolitikerin der FDP, begegnete diesem Argument damit, dass die Maske ja freiwillig weiter getragen werden könne. Die Gesellschaft könne da selbst agieren – das müsse nicht notwendigerweise der Staat übernehmen. Eine FFP2-Maske schütze auch die Träger*innen, sagte Aschenberg-Dugnus.
Neuregelungen passieren den Bundesrat
Das Gesetz ist bis zum 23. September befristet. Gesundheitsminister Lauterbach gab aber an: „Falls neue Varianten kommen, sind wir bereit, jederzeit das Infektionsschutzgesetz erneut anzupassen, um dieser neuen Lage Rechnung zu tragen.“
Im Bundestag votierten 388 Abgeordnete für die Neuregelungen, 277 lehnten sie ab, zwei enthielten sich. Anschließend ließ am Mittag der Bundesrat unter offenem Protest das Gesetz passieren. Sie sähen sich gezwungen, das Gesetz passieren zu lassen, da andernfalls spätestens mit dem Ende der Übergangszeit am 2. April der Wegfall sämtlicher Regeln drohe, beschwerten sich mehrere Ministerpräsidenten in ihren Wortbeiträgen.
„Das Verfahren ist unsäglich und schlichtweg unwürdig“, beklagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Es habe keine Abstimmung mit den Ländern gegeben, die Bundesregierung habe das nicht gewollt. „Juristisch ist das Murks“, sagte Bouffier mit Blick auf die geplante Hotspotregelung. Es sei „kaum erträglich, welchen Unsinn wir uns da bieten lassen müssen“.
Den Ländern würden die Möglichkeiten zur Pandebieabwehr weitgehend genommen, kritisierte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei). „Impfen, Testen, Abstandhalten, Maskentragen – das sind die Basics, mit denen wir arbeiten können müssen“, sagte Ramelow. Seine Erwartung sei gewesen, dass wenigstens dieses Basics ins neue Infektionsschutzgesetz hineinkommen. „Ich habe den Eindruck, dass uns bei der Pandemieabwehr die Bundesregierung den Stuhl vor die Tür gestellt hat“, sagte Ramelow.
„Es ist schon abenteuerlich, wenn der Bundesgesundheitsminister zuerst ein Gesetz auf den Weg bringt, das keine ausreichenden Schutzmaßnahmen vorsieht, dann aber die Länder aufruft, die Übergangsregel zu nutzen“, gab Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu Protokoll. Das Virus breite sich aus wie ein Flächenbrand. „Aber statt mit schwerem Gerät und Löschflugzeugen sollen wir das Feuer jetzt mit Wassereimern und Gartenschläuchen bekämpfen“, so Kretschmann.
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