Neue Corona-Reisewarnungen: Jeder macht, was er will
Jedes Land spricht seine eigenen Corona-Reisewarnungen aus, gemeinsame Abstimmung Fehlanzeige. Der EU droht ein Rückfall in Gesundheitsnationalismus.

S ie haben den Mund ziemlich voll genommen. Nationale Alleingänge wie zu Beginn der Coronapandemie dürften sich nicht wiederholen, die EU werde für offene Grenzen und freies Reisen sorgen – gerade in der Urlaubssaison. So versprachen es Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr Team im Mai. Auf dem EU-Gipfel im Juli kamen noch Solidaritätsschwüre der Staats- und Regierungschefs hinzu. Die EU habe ihre Lektion gelernt, hieß es.
Vier Wochen später zeigt sich, was die Versprechen wert waren: nichts. Mit unabgestimmten Reisewarnungen und nationalen Hygienevorschriften machen sich die EU-Staaten gegenseitig das Leben schwer. Jeder tut, was er will.
Auch Deutschland macht da keine Ausnahme. Berlin hat zwar seit dem 1. Juli den EU-Vorsitz inne und will mit gutem Beispiel vorangehen. Doch die Reisewarnungen für Spanien und Kroatien wurden nicht einmal mit Brüssel abgestimmt. Rein formal ist dies auch nicht nötig. Die Gesundheitspolitik ist nun einmal eine nationale Kompetenz – jedes Land kann und muss selbst entscheiden, wie es seine Bürger schützt. Doch politisch und wirtschaftlich ist es fatal.
Politisch droht ein Rückfall in den Gesundheitsnationalismus, wirtschaftlich droht ein Desaster. Für Länder wie Spanien oder Kroatien ist der Tourismus überlebenswichtig, eine Reisewarnung kann sich verheerend auswirken. Die nationalen Alleingänge dieser Tage drohen zunichtezumachen, was die EU in den letzten Wochen und Monaten mühsam wiederaufgebaut wurde. Sogar der Wert des neuen Coronahilfsfonds steht nun infrage.
Denn die Finanzhilfen aus dem 750-Milliarden-Fonds dürften erst 2021 fließen. Doch der Schaden wegen der Reisewarnungen und anderer Beschränkungen entsteht jetzt. Die Kommission ist gefordert gegenzusteuern. Sie muss nicht nur ein schnell wirksames Hilfskonzept für betroffene Regionen auflegen, sondern vor allem auf eine europaweite Koordinierung drängen. Corona stellt Europa erneut auf die Probe. Für die EU-Kommission ist es die zweite und vielleicht letzte Chance.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Treffen in Riad
Russland und USA beschnuppern sich vorsichtig