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Neue Batteriefabrik in DeutschlandNorthvolt wird die Region verändern

In Dithmarschen soll eine Gigafabrik für Autobatterien entstehen. Dafür gab die kleine Gemeinde Norderwöhrden mit knapper Mehrheit ihr Okay.

Die Vorarbeiten für das Werk sind schon lange angelaufen Foto: Christian Charisius/dpa

Norderwöhrden taz | Wasser steht auf den Wiesen, in der Ferne sind Häuser zu sehen und Windräder mit drehenden Rotorblättern. Der Dellweg in Norderwöhrden ist eine ­schmale, kaum befahrene Straße, umgeben von Gräben und Äckern. Doch die Ruhe täuscht. Jenseits der Felder, nahe der Bundesstraße 203, bewegen sich Kräne und Baumaschinen. Dort liegt das 110 Hektar große Gelände, auf dem das schwedische Unternehmen Northvolt ab 2026 Batterien für eine Million E-Autos im Jahr produzieren will. Die EU hat schon zugestimmt. Und die letzte Entscheidung liegt beim Gemeinderat von Norderwöhrden, der heute wieder tagt.

Seit 2022 laufen die Planungen für die Gigafabrik. Einen Großteil der Verantwortung trägt die Kreisverwaltung in der Stadt Heide und die Gemeinden, deren Gebiete betroffen sind: Lohe-Rickelshof, dessen Gemeinderat schon einstimmig Ja zur Fabrik sagte, und Norderwöhrden.

Ein Ort, der nicht einmal ein Dorf ist, sondern aus weit verstreuten Gehöften zwischen Wiesen und Äckern besteht. In Norderwöhrden leben 260 Menschen, es gibt 15 landwirtschaftliche Betriebe, zwei Hofläden, eine Hengststation, Ferien auf dem Bauernhof und drei Unternehmen, die mit Autos zu tun haben: Fahrschule, Autovermietung und Gebrauchtwagenhandel. Der Bau der Giga-Fabrik ist der allererste Bebauungsplan, den der Ort je beschloss. Bei früheren Entscheidungen stimmten drei Ge­mein­de­ver­tre­te­r:in­nen gegen, vier für die Northvolt-Pläne.

Und doch laufen die Arbeiten bereits, Maschinen haben Gräben gezogen und die fette schwarze Marscherde zu Wällen aufgeschüttet. Ein Spaziergänger, der seinen Hund am Plattenweg zur Baustelle Gassi führte, bleibt einsilbig, bestätigt nur, was ohnehin zu ahnen ist: Die gigantische Fabrik wird die Region verändern.

Arbeitsplätze, Verkehr und Lärm

Zum Guten, glaubt der Landrat, glaubt die kommunale „Entwicklungsagentur Region Heide“. Northvolt will 3.000 Arbeitsplätze schaffen, auf der Homepage des Unternehmens sind „Hot Jobs“ von Analyse bis Qualitätsmanagement ausgeschrieben. Darüber hinaus könnte die Fabrik zum Katalysator für weitere Unternehmen werden. Schließlich geht es um nicht weniger als „einen Beitrag zur Energiewende sowie die Stärkung der europäischen und deutschen Wertschöpfungsketten“.

Aber für die Menschen in den Dörfern bedeutet die Giga­fabrik vor allem Verkehr und Lärm, nicht nur während der Bauphase, sondern dauerhaft. Hunderte Lastwagen, die Material transportieren, Tausende Arbeitskräfte, die zur Schicht fahren. Sie müssen irgendwo wohnen, sie bringen Familien mit. Steigen die Preise für Land? Reichen die Plätze in Kitas und Schulen? Ist es bald vorbei mit der Ruhe?

Ein Landwirt weigerte sich, an das schwedische Unternehmen zu verkaufen. Die Fabrik wird nun 50 Hektar kleiner als in der ursprünglichen Planung. Dennoch entsteht zwischen Wiesen, Äckern und Windrädern eine gewaltige versiegelte Fläche, unter der der Lebensraum einer Gruppe seltener Frösche und Spuren vorgeschichtlicher Besiedlung verschwinden. Auch wenn die Frösche umgesiedelt wurden und das Archäologische Landesamt einige Funde bergen durfte, bevor die ersten Bagger rollten.

Aus Umweltschutzsicht hat die Kreisgruppe Dithmarschen des BUND die Planung begleitet. Grundsätzlich sei das Projekt unterstützenswert, heißt es auf ihrer Homepage, denn schließlich geht es um die Energie- und Verkehrswende. Denn Northvolt will mit dem Windstrom der Region produzieren und auf dem Gelände auch Alt-Batterien recyclen, damit den CO2-Abdruck für E-Autos im Vergleich zur Produktion etwa in China deutlich senken.

Auch für das Kühlwasser der Fabrik gibt es bereits Pläne. Der lokale Abwasserzweckverband wird geklärtes Abwasser liefern. Den Rest wird Northvolt mit Regenrückhaltebecken auf dem Gelände auffangen.

Europa soll unabhängiger von China werden

Der Kreis will die Fabrik. Das Land will sie – für die schwarz-grüne Koalition unter Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ist die Ansiedlung ein Schritt auf dem Weg zum Ziel eines klimaneutralen Industrielandes. In der Bundesregierung hat der Schleswig-Holsteiner Robert Habeck (Grüne) für das Projekt gekämpft. Rund 900 Millionen Euro staatliche Förderung aus Land und Bund gibt es, davon 200 Millionen als Kredit, der in Aktien zurückgezahlt werden kann.

Die EU hat diesen Summen zugestimmt, denn sie will die Fabrik ebenfalls. Es gilt, Europa unabhängiger von China zu machen und bei der Produktion nicht den Anschluss zu verlieren. Und was will Norderwöhrden?

Der Gemeinderat tagt im Saal des „Landgasthofs“, einem Hotel in der Nachbargemeinde Wöhrden. Fernsehteams filmen, Ge­mein­de­ver­tre­te­r:in­nen der Nachbarorte sind da, für die Landesregierung ist Digitalisierungsminister Dirk Schrödter (CDU) aus Kiel angereist. Bürgermeister Kay Uwe Evers und sein Gemeinderat sitzen in der Mitte und sind so cool, als würden sie immer vor Kameras tagen.

Eigentlich sind sie zu neunt, aber eine Frau und ein Mann sind befangen – Verwandte profitieren vom Landverkauf –, daher entscheiden sie zu siebt, eine Frau, sechs Männer, alle Mitglieder der Freien Wählergemeinschaft Norderwöhrden.

Die Sitzung startet mit einer Fragestunde. Eine Frau warnt vor Lärm und Verkehr, ein Mann, nicht aus Norderwöhrden, wird laut: „Habt ihr über Rohstoffe gesprochen? Woher kommt das Lithium?“ Als er anfängt, die Gemeindevertretung zu beschimpfen, bittet Evers ihn zu gehen. Vor der Abstimmung weist er darauf hin, dass der Rat die Interessen des Ortes im Auge haben müsse, nicht die Erwartungen anderer.

Wir arbeiten zusammen, aber wir gucken euch auf die Finger

Kay Uwe Evers, Bürgermeister von Norderwöhrden

Am Ende steht es wieder vier zu drei, diesmal für die Fabrik. Der Saal applaudiert. Die, die Nein gesagt haben, sind aber froh, das Zeichen gesetzt zu haben. Der Verkehr mache ihnen sorgen, ein Gleisanschluss müsse dringend her.

„Berechtigte Kritikpunkte sind weiter auf dem Tisch“, betont Evers. Er appelliert an den Bund, Zusagen auch zu erfüllen. An den Vertreter von North­volt gewandt, sagt er: „Wir arbeiten zusammen, aber wir gucken euch auf die Finger.“

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13 Kommentare

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  • "Aber für die Menschen in den Dörfern bedeutet die Giga­fabrik vor allem Verkehr und Lärm, nicht nur während der Bauphase, sondern dauerhaft. Hunderte Lastwagen, die Material transportieren, Tausende Arbeitskräfte, die zur Schicht fahren. Sie müssen irgendwo wohnen, sie bringen Familien mit."

    Tja, genauso wies in der Stadt völlig normal ist. Ist das Gleiche wie bei Windkraft und Co. Will man die gleiche Lebensqualität wie ind er Stadt haben, muss man ein paar Einschränkungen in Kauf nehmen. Und da gehört das Windrad dazu und auch die Fabrik, die Arbeitsplätze schafft und die Batterien der Zukunft herstellt, damit ganz besonders die Landbevölkerung weiterhin individuell mobil sein kann.



    Abseits vom Stadtchaos in Naturnähe wohnen zu wollen ist sehr verständlich. Aber Energie vom dreckigen Kraftwek am Stadtrand beziehen und für Konsum, Arbeit, etc. ganz selbstverständlich in die Stadt fahren und mit all den Unannehmlichkeiten die das alles hat, nix zu tun haben wollen geht halt auch nicht.

  • Natürlich verändert sich die Region. Entweder durch Abwanderung der Jungen, oder durch Zuwanderung junger Familien. Der Status Quo würde auch bei einer Nichtansiedlung keinen Bestand haben.

  • Schleswig Holstein boomt dank schwarz grün

    • @Syltfreund:

      Dank extrem hoher Subventionen für



      ein start up mit schwindelnd hoher



      Verschuldung. Man muß die Frage stellen, warum nicht deutsche Autohersteller Batterien herstellen, die



      angeblich 40 % der Wertschöpfung



      ihres Produktes Auto darstellen sondern



      das einem newcomer überlassen, wahrscheinlich hätten sie die Fördermittel nicht bekommen. Die



      Wachstumsstörung von Northvolt klingt



      zwar schön, das muß aber ein Unternehmen das jedes Jahr seine



      Organisation verdoppelt, erstmal hinkriegen. Das Hamburger Unternehmen Conergy ist ein schönes



      Beispiel, was passieren kann.

      • @Hubertus Behr:

        Sorry, aber Northvolt ein Startup? Welche Bank leiht einem Starup-Unternehmen 5 Mrd. €?? Die sind schon lange kein Startup mehr...

        www.sueddeutsche.d...iezellen-1.6333869

        Als Schleswig-Holsteiner sehe ich die 900 Mio. von Bund, Land und EU als Invest in die Zukunft, die sich rechnen werden...

  • Irre, eine mega-Investition da zu tätigen, wo es NULL-Infrastruktur weit- und breit



    gibt. Womit will man 3000 Mitarbeiter in die Einöde locken, die Masse wird wohl aus dem Speckgürtel von HH pendeln - mit dem Auto. Wenn die Investition floppt, gibt



    es eine wunderbare Investitionsruine ohne jede Drittverwendungsmöglichkeit.

    • @Hubertus Behr:

      Bei Tesla hat es doch auch geklappt, Menschen aufs Land zu locken. Und wenn die Fabrik in Hamburg stünde, würde dort auch eine Ruine stehen, wenn es floppt...

  • Puuh, das ist echt hart für die Menschen, die dort seit jeher leben. Ich verstehe, daß sowas massiv gefördert wird, aber für die Menschen, die ihre Heimat verlieren ist es echt bitter. Es lässt mich mit einem ähnlichen Gefühl zurück, wie die abgerissenen Dörfer in NRW.

    • @Nobodys Hero:

      Na ja, die Heimat verändert sich, verlieren tut sie niemand. Und ich denke ein Tagebau ist ein deutlich größerer Eingriff in die Natur als ein großes Gebäude und eine Bundesstraße, die mehr genutzt wird. Und: Wenn es keine Jobs gibt, verlieren die Menschen die Heimat, weil sie abwandern müssen - also auch aus wirtschaftlichen Gründen. Man schaue nur in den Osten, in denen es halbe Geisterstädte gibt.

    • 4G
      48798 (Profil gelöscht)
      @Nobodys Hero:

      Zwischen Garzweiler und Norderwöhrden gibt es aber einen wichtigen Unterschied:



      In NRW haben Hr. Habeck und Fr. Neubaur aber nichts dem Zufall überlassen und mithilfe von Geheimverträgen mit RWE sichergestellt, das Lützerath auch wirklich abgebaggert werden kann. Wurde der Gemeinderat in Lützerrath überhaupt mal gefragt?

      In Norderwöhrden wurde stattdessen von Hrn Habeck „appeliert“ und die Entscheidung letztlich einer kleinen Gemeindevertretung überlassen.



      Das war extrem fahrlässig und offenbart deutlich, wofür „grüne“ Herzen schlagen, und wofür weniger.

      • @48798 (Profil gelöscht):

        das stimmt! Macht's aber irgendwie insgesamt auch nicht besser...^^



        Ich finde es generell gruselig, wenn Menschen aus wirtschaftlichen Interessen ihre Heimat verlieren. Das passt für mich nicht in ins Jahr 2024.

        • @Nobodys Hero:

          Mal so als Tipp: Deutschland ist immer noch ein Industrieland. Und die Grundstückpreise in Stadtnähe wertvoll und teuer.

        • @Nobodys Hero:

          Sorry, die Welt ändert sich sich jede einzelne Sekunde... Entweder man beteiligt sich und beeinflusst die Veränderung im eigenen Sinn - oder man stirbt aus wie die Dinos...