Netflix-Serie „Tribes of Europa“: Nicht unschuldig

Die Sci-Fi-Serie „Tribes of Europa“ gerät in die Stereotypen-Falle: Die Guten sind hetero und naturverbunden, die Bösen queer und hedonistisch.

Junge Menschen mit Armbrust

Badass Kampf-Teenagerinnen machen einfach Spaß Foto: Netflix

Science-Fiction und Fantasy sind Gedankenspiele – utopische oder dystopische. Ach, und Drachen, Raumschiffe und badass Kampf-Teenagerinnen machen einfach Spaß. Ich jedenfalls mag alles, was Monster, Roboter und zerstörte Sehenswürdigkeiten verspricht. Leider sind Entwürfe der „Zukunft“ oder „Vergangenheit“ nie unschuldig, weil sie sich bei realen Vorurteilen bedienen – wie die neueste deutsche Netflix-Serie.

„Tribes of Europa“ (Wiedemann & Berg) ist eine simple Dystopie mit jungen Prot­ago­nis­t*in­nen und kindgerechten Storylines über Mut, Freundschaft und Stärke (dafür unzimperlich mit grafischer Gewalt und Vergewaltigung). Als Gegenmacht agieren die „Crows“, eine blutlustige Plünderergesellschaft, die zum Spaß tötet, Sklaverei und Gewalt liebt. Und die – hier wird’s schwierig – ästhetisch glasklar queer ist.

In „Tribes of Europa“ organisieren sich die Überlebenden einer Katastrophe in „Tribes“, also Mikrogesellschaften. Die Hauptfiguren, drei Geschwister, leben in einem technikskeptischen „Tribe“, einer Oase des Friedens, ehe besagte „Crows“ angreifen. Wirkungsvoll wird die naturverbundene Ästhetik der Hauptfiguren (Gewächshäuser, Pfeil und Bogen, natural style) kontrastiert mit den „Crows“, die in Betonbunkern im zerstörten Berlin berghain-eske Technopartys schmeißen.

Yvar, ihr Anführer, quasi eine Dragqueen, trägt heavy makeup, Stöckel und bodenlange Pelzmäntel. Truppenführerin Varvara wünscht ihre männlichen Sexsklaven bitte geschminkt, bevor sie sie kinky demütigt. Abgesehen davon sind die „Crows“ nichts anderes als Wikinger. Aber Wikinger sind cool: *grölt männlich*.

Nicht immer best friends oder Opfer

Nichts gegen böse Queers, wir müssen nicht immer best friends oder Opfer sein. Und dass Sci-Fi und Fantasy optische Codes nutzen, um ihre Welt ohne viel Erklärerei aufzubauen: normal. Die Kodierung in „Tribes of Europa“ wäre okay, wäre sie nicht ein olles Muster.

Die Parabel „spätrömische Dekadenz meets Sodom“: Urbanismus, Hedonismus, Homosexualität und Gender-Nonbinarität. Der fette, Jünglinge-begehrende Baron Harkonnen aus „Dune“ fällt mir ein oder die Menschen aus der Hauptstadt in „Tribute von Panem“. Sie alle, auch die „Crows“, sind bereits durch ihre Gewalt moralisch korrupt. Trotzdem werden sie obendrein gemäß abendländischer Vorstellung als moralisch korrupt ästhetisiert – im Kontrast dazu Held und Heldin: unmissverständlich hetero und genderbinär. Natürlich eben. Hoppla.

Warum gibt man uns villains, die aussehen wie eine Berliner Partyschlange von 2010? Statt mal naturverliebte Bösewichte vom Land (hust, Nazi-Bauernhöfe). Wir waren längst weiter. Im „Report der Magd“ ist Dekadenz nicht queer, sondern hetero. In „Game of Thrones“ entsteht Desaster nicht durch den Zerfall der Kernfamilie, sondern durch ihren Erhaltungstrieb. Mainstream-Dystopien entkommen der Stereotypen-Falle. Sci-Fi im deutschen Fernsehen sollte nicht wieder hineingleiten.

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