Neonazis durchdringen Stadtteil: Landnahme von rechts

In Hannover-Ahlem bedrohen Rechtsradikale eine junge Frau rassistisch und schänden die dortige Gedenkstätte. Die Zivilgesellschaft reagiert kaum.

Die „Wand der Namen“ in der Gedenkstätte Ahlem

Erneut von Nazis geschändet: die „Wand der Namen“ in der Gedenkstätte Ahlem Foto: Olaf Döring/Imago

HANNOVER taz | Es sind verstörende Botschaften, die Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Gedenkstätte Ahlem vergangene Woche auf der „Wand der Namen“ vorfinden. Rechtsextreme Propaganda und Verherrlichung des Nationalsozialismus überdecken an mehreren Stellen die über 3.000 dunklen Steintafeln. Namen, Geburts- und Todesdaten sollen auf dem Außengelände der früheren israelitischen Gartenbauschule eigentlich an jene erinnern, die in dem zur Gestapo-Außenstelle gemachten Gebäude auf dem Weg in den Tod inhaftiert oder gleich hier ermordet wurden.

Es handle sich nicht nur um Sachbeschädigung, sondern um einen „abscheulichen“ Angriff auf das Gedenken an die Opfer der Verbrechen des Nationalsozialismus, sagt der hannoversche Regionspräsident Steffen Krach (SPD). Die Region Hannover als Betreiberin der Gedenkstätte Ahlem habe Anzeige erstattet.

Die Polizei bestätigt, der für politische Kriminalität zuständige Staatsschutz ermittle. „Diese Beleidigungen und der Hass gegen die Opfer des Nationalsozialismus machen überdeutlich, wie wichtig die Erinnerungsarbeit der Gedenkstätte Ahlem ist und dass wir Antisemitismus mit Erinnern, Aufklärung und Bildung begegnen müssen“, sagt Krach. Aktiv kommuniziert hatte die Region die Schmierereien nicht. Die taz wurde durch einen Tipp aufmerksam. Die rechtsextremen Hassbotschaften an der Gedenkstätte sind ein weiterer Höhepunkt im Kampf um den öffentlichen Raum im beschaulichen Ahlem.

Wer durch den 12.000-Seelen-Stadtteil im Westen von Hannover läuft, würde wohl auf den ersten Blick nicht darauf kommen, dass Rechtsextreme versuchen, diesen als ihr Gebiet zu markieren. Reihenhäuser mit adrett gepflegten Vorgärten drängen sich aneinander. Dazwischen liegen eine Kleingartenanlage und ein Tümpel, zu dem nur An­lie­ger­*in­nen Zugang haben. Ansonsten ist der Stadtteil von Wohnblocks geprägt. Ganz am Rand sind in einer ehemaligen Schule Geflüchtete untergebracht. Ein Fünftel aller Ein­woh­ne­r*in­nen hat keinen deutschen Pass. Damit liegt Ahlem im hannoverschen Durchschnitt.

Ein rechter Aktivist zur Anwohnerin Hêvî Keskesor, die kurdische Wurzeln hat

„Wenn ich dich das nächste Mal hier sehe, fahr' ich dich tot“

Seit Monaten überschwemmen hunderte rechte Sticker und Parolen das Viertel. Kaum ein Laternenpfosten und Stromkasten auf den Hauptstraßen sind verschont geblieben. In krakeliger Schrift steht vor dem ehemaligen Gemeindezentrum: „Antifafreie Zone“.

Ein Lagebild, veröffentlicht durch das Recherche Netzwerk Hannover, sammelt die Daten zur rechtsextremen Raumnahme. Die hat bereits vor drei Jahren begonnen. Im August 2019 tauchten erstmals vereinzelte NPD-Aufkleber rund um den Endhaltepunkt der Straßenbahn auf. Im Januar 2020 wurde dann ein eingeritztes Hakenkreuz in den Gedenktafeln festgestellt, die nun wieder geschändet wurden.

Im Verlauf des Jahres seien weitere Hakenkreuzschmierereien im Umfeld der Gedenkstätte aufgetaucht. Danach habe es noch vereinzelte Sticker der NPD im Stadtteil gegeben. Im März 2022 zogen die lokalen Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g*in­nen an der Gedenkstätte vorbei. In diesem Sommer tauchten dann hunderte Sticker auf. Eine neue Qualität erreichte die rechte Raumnahme im Juni – denn es blieb nicht bei Propaganda.

Eine junge Deutsche mit kurdischen Wurzeln wurde an der Wunstorfer Landstraße beleidigt und bedroht, als sie eine Gruppe junger Männer beim Verkleben rechter Sticker ansprach. „Wenn ich dich das nächste Mal hier sehe, fahr ich dich tot“, habe ihr einer der Männer zugerufen, sagt Hêvî Keskesor (Name geändert) der taz am Telefon.

Seitdem fühlt sie sich in Ahlem unsicher und will am liebsten wegziehen. Das kann sie sich aber nicht leisten. Nachts vermeidet sie es, unterwegs zu sein. „E-Scooter fahren, Pfefferspray in der Tasche und Handy parat – das ist meine Realität geworden“, so Keskesor. Die Polizei konnte damals zwei der mutmaßlichen Täter aufgreifen, schweigt aber zum Ermittlungsstand.

Die Veröffentlichung des Recherche Netzwerks Hannover hat die Lokalpresse aufgescheucht. Bisher reagiert die Zivilgesellschaft aber eher verhalten. Lediglich der Bezirksrat entschied vor Kurzem, die Sticker entfernen zu lassen.

Polizei sieht Ahlem nicht als rechten Brennpunkt

Eine Beobachterin der Sitzung berichtete der taz, die CDU habe dort eher Linke als Problem ausgemacht, die die Nazi-Sticker besprühten und damit Sachbeschädigungen an den Gebäuden verübten. Die Grünen enthielten sich, da sie den Antrag der SPD aufgrund der immer wieder auftauchenden Sticker für praxisfern erachteten. Die AfD enthielt sich dagegen, weil ihr im Antrag linke Sticker fehlen – die sollten in eine Reihe mit „rassistischen, fremdenfeindlichen, homophoben, frauenverachtenden oder vergleichbaren Inhalten“ gestellt werden, so die Beobachterin.

Die Polizei ermittelt weiter und konnte einen 16-jährigen Tatverdächtigen feststellen, der mehrere Graffitis gesprüht haben soll. Eine Zeugin soll ihn dabei fotografiert haben. Seit 2019 hätten sich 43 rechte Straftaten im Viertel ereignet, heißt es in einem Bericht der Polizei an den Bezirksrat. Trotz der Übergriffe und Propagandadelikte sieht die Polizei Ahlem nicht als einen Brennpunkt rechtsmotivierter Kriminalität an. Allerdings wurde ein Ermittlungskomplex geformt, wie ein Sprecher der Polizei Hannover der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sagte. Eine Anfrage der taz blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

„Ich möchte mich einfach wieder wohl fühlen“, sagt Hêvî Keskesor. Vielleicht würde es ihr helfen, wenn ein Großteil der Nachbarschaft Zivilcourage zeigte. Erst vor wenigen Wochen war sie wieder mit den immer mutiger werdenden Rechten im Stadtteil konfrontiert. Ein Mann habe in der Linie 10 Richtung Ahlem einen Hitlergruß gemacht, erzählt Keskesor. „In dem Moment bin ich innerlich gestorben.“ Sie habe eine Panikattacke bekommen und habe nur denken können: „Jetzt haben sie mich!“

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