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Negativrekorde in der ÖlindustrieDas Aroma der Endlichkeit

In 2017 meldet die Erdölbranche mehrere historische Tiefstände. Negativrekorde gibt es bei den Reserven, Neufunden und Investitionen.

Bei dem Öl aus Teersanden sind die Einbrüche besonders heftig Foto: dpa

Berlin taz Es sind Krisensignale, die auch Nichtexperten verstehen. Der Weltölmarkt meldet in diesem Frühsommer mehrere „historische“ Tiefststände, die allesamt die Endlichkeit des Geschäfts heraufbeschwören. Bevor die Internationale Energieagentur IEA diesen Freitag den „Welt-Investment­report 2017“ vorstellen wird, warnte vor wenigen Tagen die US-Energiebehörde EIA, dass die von 67 großen Ölgesellschaften erhobenen Ölreserven im zweiten Jahr nacheinander zurückgegangen seien.

Ein einmaliger Vorgang. Bisher war es den großen Konzernen immer gelungen, eine heile Welt und ein leichtes Reservenplus vorzuzeigen, meist mithilfe einiger Luftbuchungen, bei denen kaum realisierbare Explorationsprojekte die Bilanz verschönerten.

2015 und 2016 steht nun erstmals ein dickes Minus unterm Strich: 2016 sind die Ölreserven der 67 Konzerne um 5,4 Milliarden Barrel zurückgegangen und damit unter die 100-Milliarden-Schallmauer gefallen. Die 67 Ölgesellschaften decken rund 25 Prozent der weltweiten Nachfrage.

Besonders auffällig sind die Einbrüche bei den kanadischen Ölsand-Projekten. Dort ist die Förderung per Tagebau ausgesprochen umwelt- und klimaschädlich, aber auch ex­trem aufwendig und teuer und eher mit dem Braunkohleabbau vergleichbar. Allein Exxon hat jetzt Ölsand-Reserven mit einem Volumen von 3,5 Milliarden Barrel ausgebucht. Conoco-Philipps strich 1,15 Milliarden Barrel aus Ölsand, womit die Reservenbilanz des Konzerns auf ein 15-Jahres-Tief fiel. „Exxon hat das Ölsandgeschäft praktisch aufgegeben“, kommentiert der Münchner Experte Jörg Schindler, der regelmäßig Expertisen zum Ölmarkt vorlegt.

Unter kritischen Energiewissenschaftlern ist es ohnehin fragwürdig, die Ölsande Kanadas und Venezuelas in die Reservenstatistik aufzunehmen, da ihre Ausbeutung hoch umstritten, extrem energieaufwendig und nur bei hohen Ölpreisen rentabel ist. Der Großteil der Ölsande wird nie gefördert werden, er hellt aber die Statistik auf.

Ein Defilee schlechter Nachrichten

Die gemeldeten Reservenverluste reihen sich ein in ein Defilee weiterer schlechter Nachrichten. So hat die Internationale Energieagentur IEA in Paris in ihrer Bilanz zu neuen Erdölfeldern ebenfalls Alarm geschlagen. „Die globalen Ölfunde sind 2016 auf ein Rekordtief gefallen“, heißt es in dem Report. Das Volumen der Neufunde ist laut IEA auf 2,4 Milliarden Barrel abgesackt, eine Menge, die bei derzeitiger Nachfrage in 25 Tagen aufgebraucht wäre.

Zum Vergleich: Die durchschnittliche Höhe der Neufunde lag in den vergangenen 15 Jahren bei 9 Milliarden Barrel. In den 1960er Jahren waren jährliche Neufunde von 40 bis 100 Milliarden Barrel üblich. Schon seit 1986 übersteigt die jährliche Ölförderung die jährlichen Neufunde. Logischerweise musste auf den Peak der Funde auch der Peak der Förderung folgen, der für konventionelles Öl 2006 war. Der Rückgang der Förderung wird durch unkonventionelles Öl aus Fracking und aus der Tiefsee ausgeglichen. Wie lange noch? Das Volumen neuer konventioneller Ölquellen, die jetzt in die Förderung kommen, liegt laut IEA-Report mit 4,7 Milliarden Barrel „auf dem niedrigsten Stand seit mehr als 70 Jahren“.

Als Ursache der historischen Tiefs wird stets der Investitionsrückgang wegen unattraktiv niedriger Ölpreise genannt. Die Ausgaben für Suche und Exploration neuer Ölfelder verzeichnen starke Einbrüche. Auch 2017 hat sich der Investitionsschwund fortgesetzt.

Es gibt aber noch einen anderen Grund für die spärlichen Neufunde: Die deutsche Sektion der Aspo – der Wissenschaftsvereinigung zu Peak Oil – nennt ihn an erster Stelle: „Es gibt einfach nichts mehr zu finden!“ Die wirklich lohnenden Ölfelder sind in der Tat längst entdeckt. Der beklagte Investitionsrückgang hatte schon eingesetzt, als der Ölpreis noch bei über 100 Dollar lag. Die Konzerne haben erkannt, dass nicht mehr viel zu holen ist.

„Gravierende Bedrohung“

Komplettiert werden die düsteren Zahlen von Aussagen des saudischen Aramco-Chefmanagers Amin Nasser, der kürzlich in Paris den Ölmarkt kritisch beleuchtete: „Das Ölangebot der kommenden Jahre fällt substanziell zurück (…) – eine gravierende und wachsende Bedrohung der weltweiten Energiesicherheit.“

Nasser bezifferte den Rückgang der konventionellen Förderung auf „jährlich 5 Prozent“. Er könne sich noch erhöhen, wenn Großinvestitionen in neue Projekte ausblieben. Experte Schindler zu den geballten Negativnachrichten: „Da ist mächtig Feuer unterm Dach.“

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14 Kommentare

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  • Die Diskussion über "peak oil" ist ziemlich sinnlos, weil das was kaufmännisch abgeschrieben auch wieder zugeschrieben wird, wenn sich die Förderung lohnt. Das Öl ist ja nicht physisch weg und wird, wenn die Ölreserven endlich sind, im Laufe der Jahre sogar wertvoller.

     

    Entscheidender ist aber doch die Verbrauchsseite! Wie entwickelt sich der Ölverbrauch und wie können wir den weiter reduzieren?

  • Beim Ölverbrennen setzt nicht Peak Oil die Grenze.

    Die Grenze setzt die CO2-Lagerkapazität der Atmosphäre und der Ozeane.

     

    Keep it in the ground.

    • @Vorstadt-Strizzi:

      Sicher, sicher. Nur, der Weg besteht zurzeit darin, Öl zu fördern, Plastik draus zu machen und das ganze dann Ersatzbrennstoff zu nennen. Klasse, oder?

  • Wenn man die Typen wie die Saudis, die Shells, die Exxons, die Putin Gazpromis und all die anderen denkt, dann verdirbt Öl die Demokrate und Rechtstaatlichkeit. Darum brauchen wir die Energiewende, schneller als bisher, um diese Leute zu entrohnen.

    • @Ansgar Reb:

      Einige Leute beherrschen die Kunst, aus Nichts auch noch Geld zu schöpfen. Beim Öl war es wenigstens ein echter Rohstoff, aus dem man doch so einiges machen kann. Was kann man aus Derivaten machen?

  • Skepsis. Die Preise sind niedrig, also Überangebot, weniger Förderung, Investitionen etc.

     

    Wenn es mit dem Ölzeitalter zu Ende ginge würden die Preise wegen Verknappung steigen.

    • @A. Müllermilch:

      So ist es.

      "Als Ursache der historischen Tiefs wird stets der Investitionsrückgang wegen unattraktiv niedriger Ölpreise genannt. [...] Die wirklich lohnenden Ölfelder sind in der Tat längst entdeckt."

      Was sich lohnt hängt vom Preis ab. Der wird irgendwann nachhaltig steigen und eines Tages vermutlich so hoch werden, dass der Ausstieg aus dem Ölzeitalter sich von selbst erledigt. Bis dahin dürften aber auch Atmosphäre, Ozeane und Klima ebenfalls nachhaltig ruiniert sein wenn nicht erfolgreich gegengesteuert wird.

  • Im Erdölgeschäft ist Transparenz nicht üblich :-)

    Außerdem gibt es ja noch die "Ressourcen". Und wenn 25% 1000 Tagen entsprechen, dann sind 100% mehr als 10 Jahre. Ich würde sagen: Planungssicherheit.

  • Stimmen alle Zahlen?

     

    "2,4 Milliarden Barrel abgesackt, eine Menge, die bei derzeitiger Nachfrage in 25 Tagen aufgebraucht wäre."

     

    Damit wäre die gesamte Reserve ("unter 100Mrd") in 1000 Tagen aufgebraucht. Selbst wenn es nur die Gesellschaften mit 25% Anteil am Weltverbrauch betreffen würde, wäre das Ende dann wohl sehr, sehr nahe.

     

    Ansonsten, aktuelle Schlagzeilen aus den USA: "gas prices falling further". ZzT ca. 0,70 Euro Cent der Liter.

    • @fly:

      Hier die Antwort von Manfred Kriener:







      Der tägliche Ölverbrauch ("Demand" Nachfrage) liegt derzeit bei 98 Millionen Barrel (Tendenz: ganz leicht steigend). Der Einfachheit halber habe ich aufgerundet auf 100 Mio. Bei 2,4 Mrd Barrel Neufunden wären sie dann tatsächlich in 24 Tagen aufgebraucht (24 x 100 Mio macht 2,4 Mrd) Der Gesamt-Reservennachweis ist knapp unter die 100 Mrd gerutscht und wäre dann tatsächlich in 1000 Tagen aufgebraucht.



      Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die 67 Konzerne, um die es in dem Artikel geht, ja nur 25 % der Ölnachfrage decken und dass ja immer neue "Reserven" dazukommen, aber eben nicht mehr so viele. Die staatlichen Konzerne und die vielen kleineren Ölgesellschaften sind in der Statistik nicht erfasst.







      Das Erschrecken unseres Lesers und seine irritierte Nachfrage sind eine gute und vernünftige Reaktion.



      Ja, er hat völlig recht: Die 100 Mrd Barrel Reserve der 67 Konzerne wären tatsächlich in 1000 Tagen aufgebraucht, wenn nix Neues mehr dazu käme.







      Ich sage: herzlichen Dank für Ihren Einwurf und Ihr Interesse an meiner



      Arbeit

      • @Moderation:

        https://de.statista.com/statistik/daten/studie/30660/umfrage/reserven-an-erdoel-weltweit-seit-1990/

         

        Nach meiner Kenntnis müssen Sie Äpfel mit Birnen vergleichen.

        Verbrauch in Barrel, Reserven in t.

        Es stimmt bei IHnen also etwa um den Faktor 6 nicht. 6000 Tage Vorrat bei gleichem Verbrauch, somit ca. 15 Jahre Vorrat, OHNE dasss nur irtgendwas neues gefunden wird.

        .

        Bitte bedenken Sie auch, dass bei steigendem Ölpreis mehr in Exploration gesteckt wird.

        Bedenken Sie auch, dass durch neue Technik bereits ausgebeutet Lagerstätten wieder angezapft werden können. Bisher liegt in ausgebeuteten Lagern immer noch mehr als 2/3 drin, kann aber eben technisch (noch) nicht gefördert werden.

         

        Bedenken Sie auch, dass es in der Industrie das Wot Zuschreibung (an Werten) gibt.

    • @fly:

      Die konventionellen Reserven (ohne Schieferoel/Teersande/Tiefsee/Artkis) reichen ca.30-40 Jahre bei aktuellem Verbrauch.

      Wenn wir allerdings weiter unsere Umwelt durch unkonventionelle (Foerderung Schieferoel/Teersande/Tiefsee/Artkis) zerstoeren noch weiter.

      • @naemberch:

        So ist das!

        Der Mensch wird erst aufhören das Öl aus dem Boden zu pumpen wenn es dort nix mehr gibt zu pumpen, Vernunft ist nicht zu erwarten.

  • Peak Oil war eine Arbeitshypothese der 60er. Manches hat sich bestätigt, manches nicht. Zur Zeit gibt es genug Öl, die Exporteure unterbieten sich im Preiskampf. Oder müssen Sie sich unterbieten, um ihre Kredite bei wem auch immer zu bedienen?