Negativrekorde in der Ölindustrie: Das Aroma der Endlichkeit
In 2017 meldet die Erdölbranche mehrere historische Tiefstände. Negativrekorde gibt es bei den Reserven, Neufunden und Investitionen.
Ein einmaliger Vorgang. Bisher war es den großen Konzernen immer gelungen, eine heile Welt und ein leichtes Reservenplus vorzuzeigen, meist mithilfe einiger Luftbuchungen, bei denen kaum realisierbare Explorationsprojekte die Bilanz verschönerten.
2015 und 2016 steht nun erstmals ein dickes Minus unterm Strich: 2016 sind die Ölreserven der 67 Konzerne um 5,4 Milliarden Barrel zurückgegangen und damit unter die 100-Milliarden-Schallmauer gefallen. Die 67 Ölgesellschaften decken rund 25 Prozent der weltweiten Nachfrage.
Besonders auffällig sind die Einbrüche bei den kanadischen Ölsand-Projekten. Dort ist die Förderung per Tagebau ausgesprochen umwelt- und klimaschädlich, aber auch extrem aufwendig und teuer und eher mit dem Braunkohleabbau vergleichbar. Allein Exxon hat jetzt Ölsand-Reserven mit einem Volumen von 3,5 Milliarden Barrel ausgebucht. Conoco-Philipps strich 1,15 Milliarden Barrel aus Ölsand, womit die Reservenbilanz des Konzerns auf ein 15-Jahres-Tief fiel. „Exxon hat das Ölsandgeschäft praktisch aufgegeben“, kommentiert der Münchner Experte Jörg Schindler, der regelmäßig Expertisen zum Ölmarkt vorlegt.
Unter kritischen Energiewissenschaftlern ist es ohnehin fragwürdig, die Ölsande Kanadas und Venezuelas in die Reservenstatistik aufzunehmen, da ihre Ausbeutung hoch umstritten, extrem energieaufwendig und nur bei hohen Ölpreisen rentabel ist. Der Großteil der Ölsande wird nie gefördert werden, er hellt aber die Statistik auf.
Ein Defilee schlechter Nachrichten
Die gemeldeten Reservenverluste reihen sich ein in ein Defilee weiterer schlechter Nachrichten. So hat die Internationale Energieagentur IEA in Paris in ihrer Bilanz zu neuen Erdölfeldern ebenfalls Alarm geschlagen. „Die globalen Ölfunde sind 2016 auf ein Rekordtief gefallen“, heißt es in dem Report. Das Volumen der Neufunde ist laut IEA auf 2,4 Milliarden Barrel abgesackt, eine Menge, die bei derzeitiger Nachfrage in 25 Tagen aufgebraucht wäre.
Zum Vergleich: Die durchschnittliche Höhe der Neufunde lag in den vergangenen 15 Jahren bei 9 Milliarden Barrel. In den 1960er Jahren waren jährliche Neufunde von 40 bis 100 Milliarden Barrel üblich. Schon seit 1986 übersteigt die jährliche Ölförderung die jährlichen Neufunde. Logischerweise musste auf den Peak der Funde auch der Peak der Förderung folgen, der für konventionelles Öl 2006 war. Der Rückgang der Förderung wird durch unkonventionelles Öl aus Fracking und aus der Tiefsee ausgeglichen. Wie lange noch? Das Volumen neuer konventioneller Ölquellen, die jetzt in die Förderung kommen, liegt laut IEA-Report mit 4,7 Milliarden Barrel „auf dem niedrigsten Stand seit mehr als 70 Jahren“.
Als Ursache der historischen Tiefs wird stets der Investitionsrückgang wegen unattraktiv niedriger Ölpreise genannt. Die Ausgaben für Suche und Exploration neuer Ölfelder verzeichnen starke Einbrüche. Auch 2017 hat sich der Investitionsschwund fortgesetzt.
Es gibt aber noch einen anderen Grund für die spärlichen Neufunde: Die deutsche Sektion der Aspo – der Wissenschaftsvereinigung zu Peak Oil – nennt ihn an erster Stelle: „Es gibt einfach nichts mehr zu finden!“ Die wirklich lohnenden Ölfelder sind in der Tat längst entdeckt. Der beklagte Investitionsrückgang hatte schon eingesetzt, als der Ölpreis noch bei über 100 Dollar lag. Die Konzerne haben erkannt, dass nicht mehr viel zu holen ist.
„Gravierende Bedrohung“
Komplettiert werden die düsteren Zahlen von Aussagen des saudischen Aramco-Chefmanagers Amin Nasser, der kürzlich in Paris den Ölmarkt kritisch beleuchtete: „Das Ölangebot der kommenden Jahre fällt substanziell zurück (…) – eine gravierende und wachsende Bedrohung der weltweiten Energiesicherheit.“
Nasser bezifferte den Rückgang der konventionellen Förderung auf „jährlich 5 Prozent“. Er könne sich noch erhöhen, wenn Großinvestitionen in neue Projekte ausblieben. Experte Schindler zu den geballten Negativnachrichten: „Da ist mächtig Feuer unterm Dach.“
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