Naturschutzamt zu EU-Agrarsubventionen: „Kein Geld mehr für Direktzahlungen“

Die Chefin des Bundesamts für Naturschutz fordert, die Landwirtschaftssubventionen abzuschaffen, bei denen die Umwelt kaum eine Rolle spielt.

Eine Wiese mit vielen unterschiedlichen Blumen

Blühende Landschaften sind in der Regel eine gute Sache Foto: dpa

Frau Jessel, was ist wichtiger: Naturschutz oder unsere Ernährung, die durch die Landwirtschaft sichergestellt wird?

Beate Jessel: Das ist doch kein Gegensatz. Um langfristig Erträge zu liefern, muss die Landwirtschaft nachhaltig und naturverträglich sein.

Aber wenn die Bauern mehr Umweltauf­lagen erfüllen müssen, sinken die Ernten, oder?

Ein Landwirt ernährt bei uns in Deutschland statistisch gesehen 140 Menschen. Das ist schon sehr viel. Selbst wenn der Ertrag etwas niedriger wäre, würde hier niemand hungern – auch ohne zusätzliche Importe.

Viel Geld

Die Europäische Union gibt jährlich 59 Milliarden Euro für die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung aus. Am Freitag will die EU-Kommission vorschlagen, wie das Geld nach Ablauf der aktuellen Förderperiode im Jahr 2020 verteilt werden soll.

Zwei Fonds

Rund 70 Prozent des EU-Agrarhaushalts sind Direktzahlungen: Sie gibt es pro Hektar Agrarfläche. Der überwiegende Rest wird für Projekte ausgegeben, die die ländlichen Räume stärken sollen – zum Beispiel für neue Ställe, Museen oder Naturschutzmaßnahmen.

Durch mehr Umweltschutz – etwa weniger Dünger und Pestizide – würde Ernährung teurer. Wie soll der Staat damit umgehen?

Das ist kein ökologisches, das ist ein sozialpolitisches Problem. Aber: Wir in Deutschland geben im Vergleich zu anderen Ländern nur einen geringen Anteil unseres Einkommens für Nahrungsmittel aus.

Die EU diskutiert gerade darüber, wie die milliardenschweren Agrarsubventionen nach 2020 verteilt werden. Was empfehlen Sie der EU-Kommission?

Die EU sollte kein Geld mehr in die Direktzahlungen stecken, die nach dem Gießkannenprinzip je Hektar verteilt werden, weitgehend unabhängig davon, wie umweltfreundlich oder -schädlich er bewirtschaftet wird. Stattdessen müssten Leistungen für den Naturschutz stärker honoriert werden. Sei es, dass Blühstreifen angelegt werden, sei es dass die Bauern besonders viele Pflanzenarten auf einer Fläche nachweisen oder dass sie ihr Grünland nicht so häufig mähen oder düngen. Doch in ihrer Haushaltsplanung ab 2021 sieht die Kommission genau das Gegenteil vor: Der Etat für die Agrarumweltmaßnahmen soll viel stärker gekürzt werden als der für die Direktzahlungen. Das ist sehr bedauerlich und wird zulasten des Naturschutzes gehen.

Was sagen Sie zur Kritik des Bauernverbands, dass diese Maßnahmen nicht unbedingt den Landwirten zugutekämen, sondern zum Beispiel Naturschutzverbänden?

Es hängt vom politischen Willen ab, Agrar­umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen so zu gestalten, dass die Landwirte daran teilnehmen und vor allem auch finanziell davon profitieren. Das geht.

Die Kommission hat auch vorgeschlagen, dass die Mitgliedstaaten stärker selbst entscheiden, wer die Agrarsubventionen bekommt. Gute Idee?

Ich bezweifle, dass auf diese Weise das höhere Niveau an Umwelt- und Naturschutz erreicht wird, das die Kommission versprochen hat. Im Gegenteil, es ist zu befürchten, dass diese Belange nicht ausreichend gewürdigt werden.

Wie schadet die Landwirtschaft der Natur?

Wir verzeichnen bei fast allen Artengruppen in der Agrarlandschaft starke Rückgänge, ob es sich nun um Agrarvögel, Insekten oder Ackerwildkräuter handelt. Der Rückgang von Insekten etwa ist ein gravierendes Problem, das auf die Landwirtschaft selbst zurückfällt. Wir brauchen Insekten zum Beispiel, um Nutzpflanzen wie Raps und Obstbäume zu bestäuben oder um Schädlinge zu reduzieren. Die Landwirtschaft verursacht vielfach auch eine hohe Erosion des Bodens. Außerdem ist die Agrarlandschaft monotoner geworden. Viele Wiesen wurden umgepflügt, Hecken entfernt. Das schädigt auch das Naturerleben, den Erholungsfaktor der Landschaft.

Teile der Agrarbranche ziehen aber in Zweifel, dass es ein Insektensterben gibt.

Es ist ja nicht nur die berühmte Studie der Krefelder Insektenforscher, die belegt, dass über fast drei Jahrzehnte hinweg auf den dort untersuchten Flächen die Biomasse von Fluginsekten sehr stark zurückgegangen ist, zum Teil um mehr als 80 Prozent. Auch wir als Bundesamt für Naturschutz können mit unseren bundesweiten Roten Listen belegen: Viele Arten haben immer weniger Individuen, die Artenvielfalt geht zurück, während nur einige wenige Arten zulegen.

Wer ist schuld daran?

Die 56-Jährige ist seit 2007 Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz, das das Umweltministerium wissenschaftlich berät und Naturschutzprojekte fördert und umsetzt. Jessel ist Professorin für Landschaftsplanung und promovierte Agrarwissenschaftlerin.

Unsere Art der Landbewirtschaftung ist sicher ein Haupteinflussfaktor für den Insektenrückgang. Zentrale Ursachen sind die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, die abnehmende Vielfalt verschiedener Strukturen wie Brachflächen oder Blühstreifen in der Landschaft und dass sich zu viele Nährstoffe in Böden und Gewässern anreichern. Daneben dürfte die Lichtverschmutzung vor allem im Umfeld von Siedlungen ein weiterer durchaus relevanter Faktor sein. Eine einzige Straßenverkehrslampe, die nach oben strahlt, in der Nähe eines Gewässers, zieht über mehrere hundert Meter hinweg Insekten an, so dass sie verenden oder leicht gefressen werden können – wir sprechen hier von einem regelrechten Staubsaugereffekt.

Aber die Krefelder Studie etwa vermutet nur, dass die Agrarbranche eine Ursache sei.

Die Landwirtschaft arbeitet auf 52 Prozent der Fläche Deutschlands. Wir können eindeutig den Rückgang der Strukturvielfalt sowie den zunehmenden Einsatz und vor allem die hohe Effektivität von Pflanzenschutzmitteln belegen. Einmal davon abgesehen, dass auch bei diesem Thema das Vorsorgeprinzip greift: Die Folgen des Insektenrückgangs sind so ernst, dass die Landwirtschaft auch dann handeln müsste, wenn sie noch nicht hundertprozentig als Hauptverursacher feststeht.

Die Chemieindustrie wendet ein, dass der Pestizidmarkt in den letzten drei Jahren geschrumpft sei. Ist das Problem damit gelöst?

Das sind vorübergehende Rückgänge, die zum Beispiel von der Witterung oder den Preisen abhängen. Das Niveau ist mit über 40.000 Tonnen jährlich sehr hoch, davon müssen wir herunterkommen. 1994 lag der Absatz von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland noch bei unter 30.000 Tonnen.

Die EU hat gerade drei für Bienen gefährliche Insektenvernichtungsmittel aus der Gruppe der Neonikotinoide im Freiland verboten. Reicht das?

Nein. Wir befürchten, dass die Landwirtschaft nun noch giftigere Stoffe einsetzt, die weiterhin erlaubt sind. Gleiches gilt auch bei dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Auch hier ist es vorstellbar, dass die Anwender auf andere Mittel zurückgreifen, wenn Glyphosat jetzt untersagt würde. Hauptziel muss es sein, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln insgesamt zu reduzieren.

Was muss dafür passieren?

Auf Bundesebene sollte künftig bei der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels vorgeschrieben werden, dass die Anwender ökologische Ausgleichsflächen anlegen. Wenn x Hektar eines Ackers gespritzt werden, müssen y Hektar ungespritzt bleiben. Diese Ausgleichsflächen könnten Brachen oder Blühstreifen sein, die ein bestimmtes Blütenangebot für Insekten aufweisen. Außerdem wollen wir, dass beispielsweise Naturschutz- und Wasserschutzgebiete ganz frei von Pestiziden bleiben. Landwirte sollten auch genauer dokumentieren müssen, wann sie ein Mittel auf welchem Feld eingesetzt haben. Das würde es sehr stark erleichtern, Spritzschäden in der Natur nachzuweisen.

Eine gute Maßnahme für mehr Artenvielfalt ist die Haltung von Vieh auf der Weide. Doch nun setzt die von Ihnen befürwortete Rückkehr großer Raubtiere nach Deutschland die Weidehaltung noch stärker unter Druck. Wo soll das enden? Müssen wir auch mit dem Bären rechnen?

Sowohl der Wolf als auch der Bär sind nach der Europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie streng geschützt, und zwar zu Recht. Angesichts der Bärenpopulationen zum Beispiel in Norditalien oder in Slowenien ist es sehr wahrscheinlich, dass irgendwann auch Braunbären wieder nach Deutschland kommen werden.

Bären können auch Weidetiere reißen. Aus Italien etwa wird über schwere Übergriffe auf Menschen berichtet. Ist es gerechtfertigt, dieses Risiko einzugehen?

Schäfer und Bauern müssen vom Staat genügend Geld bekommen, um Schafe und andere Weidetiere vor Übergriffen durch Wölfe oder dann eben Bären zu schützen. Es gibt immer ein Restrisiko bei wilden Tieren. Aber das muss man in Relation setzen zu anderen Gefahren, denen wir uns täglich aussetzen. Man muss sich alleine mal anschauen, wie viele Menschen in Deutschland durch Wildschweine oder Haushunde verletzt werden oder sogar zu Tode kommen. Die Wahrscheinlichkeit einer unangenehmen Begegnung mit einem Bären oder einem Wolf ist ausgesprochen gering. Wichtig ist, dass man in Gebieten, wo diese Tiere zuwandern, konsequent Maßnahmen zum Schutz der Weidetiere umsetzt und die Bevölkerung aufklärt, wie sie sich verhalten sollte.

Wie denn?

Keinesfalls anlocken oder anfüttern, weil die Tiere dadurch gezielt die Nähe der Menschen suchen und dies zu gefährlichen Situationen führen kann. Es gibt genügend Länder in Europa oder in Nordamerika etwa, wo nicht nur Wölfe, sondern auch Bären schon sehr lange mit Menschen koexistieren. Sie zeigen, dass das möglich ist.

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