Natürlicher Wasserstoff unter der Erde: Energie aus dem Erdkern
Wissenschaftler:innen haben unter der Erdoberfläche mehr Quellen natürlichen Wasserstoffs entdeckt. Bringt das bald unendlich saubere Energie?
Wasserstoff (H2) hat viele Fans, weil bei seiner Verbrennung kein CO2 entsteht. Ihn zu produzieren ist allerdings energetisch aufwendig und teuer. Was aber wäre, wenn Wasserstoff gar nicht produziert werden müsste, sondern einfach verfügbar wäre? Anzapfbar wie eine Mineralwasserquelle?
In einem kleinen Dorf in Mali ist das tatsächlich der Fall. Es war ein Zufallsfund auf der Suche nach Wasser, im Jahr 2012. Ein Generator wurde an die Wasserstoffquelle angeschlossen, und die Bewohner von Bourakébougo hatten Strom, zum ersten Mal in ihrem Leben. Und zwar emissionsfrei – das fossile Zeitalter hat das Dorf einfach übersprungen.
Immer mehr Forscher sind der Meinung, dass unter dem Erdmantel gigantische Mengen an natürlichem Wasserstoff, auch „weiß“ oder „golden“ genannt, lagern. Wie groß diese Vorkommen wirklich sind, darüber streiten sich Experten noch. Sicher ist: Die Publikationen zum Thema explodieren gerade. Bohren wir also bald nach natürlichem Wasserstoff wie heute nach Öl?
Eric Gaucher, Geochemiker an der Universität Bern., glaubt daran. Er vergleicht die derzeitige Situation mit dem Beginn des Erdölzeitalters Mitte des 19. Jahrhunderts: „Bevor die industrielle Förderung begann, waren Erdöl und Erdgas vor allem durch natürliche Gasaustritte bekannt.“ So wie heute die Wasserstoffquelle in Mali oder wie die seit der Antike bekannten ewigen Feuer von Chimaera bei Antalya in der Türkei.
Empfohlener externer Inhalt
Gaucher weiß, wovon er spricht: Er hat jahrelang im Auftrag des Ölkonzerns Total Energies nach natürlichem Wasserstoff gesucht. Dann setzte der Konzern auf die klassischen erneuerbaren Energien und strich sein Budget. „Ich war zu früh dran mit meiner Entdeckung“, sagt Gaucher, der seine Forschung an der Universität Bern fortsetzt. Er und sein Team fanden das System hinter den Zufallsfunden von Mali und Chimarea: In den Kratonen, tektonisch sehr stabilen Gesteinskernen der Kontinente, liegen sogenannte Grünsteingürtel eingeschlossen, die Überreste uralter Ozeankrusten.
Hier, so die Theorie, entsteht fortwährend natürlicher Wasserstoff. Er bildet sich durch Serpentinisierung: Wenn eisenhaltiges Gestein in großer Tiefe unter Druck und bei hoher Temperatur mit Wasser in Berührung kommt, entsteht Wasserstoff. Das kann bereits ab etwa drei Kilometer Tiefe der Fall sein. Grünsteingürtel sind über die Kontinente hinweg erfreulich fair verteilt: Gaucher berichtet von Vorkommen in Südafrika, Namibia, Brasilien, auf den Philippinen, in Kanada und den USA. In Europa seien Funde in Italien, Island, Polen, Tschechien, Rumänien, Griechenland, der Schweiz und in Bayern bekannt.
Die Ersten bohren schon
Nach natürlichem Wasserstoff lässt sich bohren wie nach Öl. „Wir haben die Methoden, wir haben die Instrumente – jetzt müssen wir an den richtigen Stellen suchen“, ist Gaucher überzeugt. Er hält es für möglich, auf diese Weise die ganze Infrastruktur der Ölindustrie auf einen neuen Rohstoff auszurichten.
Sein Team und er haben noch eine andere Idee. Sie schlagen vor, „orange Wasserstoff“ zu produzieren: Die unterirdischen Wasserstoffvorkommen ließen sich nachhaltig nutzen, indem man in eisenhaltiges Gestein Wasser injiziert, das die Bildung von neuem Wasserstoff befördert. Gleichzeitig könne man vor Ort noch CO2 speichern.
In den französischen Pyrenäen, nahe dem Wallfahrtsort Lourdes, könnte bald erstmals natürlicher Wasserstoff auf europäischem Boden gefördert werden. Hier haben Gaucher und sein Team umfangreiche Tests durchgeführt, in vier Kilometer Tiefe rechnen sie fest mit dem begehrten Gas.
Als erstes europäisches Land hat Frankreich im April 2022 die rechtliche Grundlage für die Lizenzvergabe angepasst: Wasserstoff steht seitdem auf der Liste der Rohstoffe, die gefördert werden dürfen. „Jetzt brauchen wir jemanden, der sich traut zu investieren. 25 bis 40 Millionen Euro braucht es – dann könnten wir hier in drei bis fünf Jahren natürlichen Wasserstoff fördern“, sagt Gaucher.
Viacheslav Zgonnik hatte keine Lust zu warten. Der 38-jährige Chemiker betreibt im Bundesstaat Nebraska das Start-up Natural Hydrogen Energy, eines von zwei Wasserstoffbohrlöchern in den USA. Er sagt: „Du kannst dutzendweise neue Studien schreiben – am Ende zeigt erst die Bohrung, ob du recht hast oder nicht.“ Mit natürlichem Wasserstoff beschäftigt der gebürtige Ukrainer sich bereits seit 2011, im Jahr 2013 machte er sich mit seinem Team auf die Suche nach Investoren. 10 Millionen schafften sie herbei, im Jahr 2018 konnten sie die erste Bohrung machen.
Zgonnik glaubt, dass natürlicher Wasserstoff schon bald zum Preis von etwa einem Dollar pro Kilo zu haben sein könnte – im Gegensatz zu industriell gefertigtem grünem Wasserstoff, der derzeit in den USA bei etwa fünf Dollar pro Kilogramm liegt. Zgonnik glaubt, dass auch der Erdkern reich an Wasserstoff sein könnte – eine mögliche Erklärung dafür, warum das Gas aus dem Erdinneren an die Oberfläche tritt. „Wenn sich das bewahrheitet, heißt das: Der Vorrat an sauberer Primärenergie im Inneren der Erde ist unendlich groß.“
Kritiker sagen: Auch Wasserstoff ist klimawirksam, ihn im großen Stil zu verbrennen sei keine gute Idee. Zgonnik geht davon aus, dass die Erde ohnehin H2 ausdünstet, rund 23 Millionen Tonnen jährlich. Einen Teil davon bereits unterirdisch abzufangen, hält er für günstig.
Natürlicher Wasserstoff ist angeblich im Überfluss vorhanden, er verbrennt zu Wasser, hinterlässt zumindest deutlich weniger Umweltschäden als fossile Brennstoffe und könnte noch dazu günstig zu haben sein – klingt alles irgendwie zu gut, um wahr zu sein. Wenn weißer Wasserstoff wirklich die Welt rettet, warum hören wir dann erst jetzt davon?
Das Element, das die Welt ändern könnte
„Weil wir an den falschen Stellen gesucht haben“, sagt Gaucher. Kollege Zgonnik hat sich die Geschichte des „meistunterschätzten Elements“ genauer angeschaut. Dabei entdeckte er, dass keineswegs alle Forscher das kleine Molekül übersehen haben. Im Gegenteil: In der Sowjetunion gab es ein reges Forschungsinteresse, entsprechend häufiger wurden Wasserstoffvorkommen dokumentiert – zum ersten Mal bereits 1888 durch den St. Petersburger Dmitri Iwanowitsch Mendelejew, den Erfinder des ersten Periodensystems der Elemente.
Der Grund für das Interesse, so Zgonnik: Die sowietischen Forscher gingen davon aus, dass Erdöl auf der Basis von Wasserstoff entsteht. Diese Theorie konnte später nicht bestätigt werden, aber die Wasserstoffforschung kam voran. Im Westen hingegen stieß man eher zufällig auf H2. „Unglücklicherweise“, sagt Zgonnik und schaut dabei tatsächlich traurig in die Kamera. „Wir haben jahrzehntelang so viele Chancen verpasst, potenzielle Quellen aufzutun.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Gerade suchen viele, allein in Australien sind bereits 20 Lizenzen vergeben. Goldgräberstimmung? Eric Gaucher bejaht. Er fühlt den Druck des historischen Moments auf seinen Geologenschultern. „Wenn wir jetzt zwanzig Mal bohren, ohne nennenswerte Mengen zu finden, dann ist die Idee tot. Wenn aber nur eine dieser Bohrungen wirtschaftlich ist, dann wird das alles verändern. Dann ist das ein Kipppunkt.“
Andernorts: Skepsis. Der Bundesverband Geothermie verweist auf die Risiken von Wasserstoff: Das Gas sei hochexplosiv, der Einsatz in Wohngebieten fragwürdig. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften sieht auf Anfrage der taz bislang keine Ansammlungen von Wasserstoff als nachgewiesen, „deren Größenordnung auch nur in die Nähe kommerziell genutzter Erdgasfelder kommen würde“. Ein Projekt, das das Potenzial von natürlichem Wasserstoff weiter untersuchen soll, ist dennoch geplant. Einen Versuch ist es wert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung