Nato-Gipfel in Washington: Die letzte große Party?
Die Nato feiert in Washington ihren 75. Geburtstag. Überschattet wird der Gipfel von Fragen zur Fitness von Joe Biden.
Die Regierungschef:innen reagieren amüsiert bis schockiert. Joe Biden sagt nichts, ballt nur die rechte Hand zur Faust und schüttelt sie. Eine kämpferische Geste. Der deutsche Bundeskanzler, der hinter Biden steht, schmunzelt.
Anlässlich ihres 75. Geburtstags wollte sich die Nordatlantische Allianz, die zwischenzeitlich schon für hirntot erklärt worden war, nach Russlands Angriff auf die Ukraine aber flugs wiederbelebt wurde, eigentlich so richtig feiern. Die 32 Nato-Mitglieder hatten Partnerländer aus dem Pazifikraum und Influencer aus den sozialen Medien eingeladen. Sie wollten sich ihrer Einigkeit und Stärke versichern, zeigen, dass sie gewillt sind, den Eroberungsfeldzug des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu stoppen und der zündelnden Großmacht China Grenzen aufzuzeigen.
Ist er fit genug?
Der Gipfel sollte aber auch Gastgeber Joe Biden dazu dienen, sich, seinem Land und der Welt zu beweisen, dass er es noch draufhat. Doch die Inszenierung wird getrübt. Zum einen durch unabgesprochene „Friedensreisen“ des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán nach Russland und China im Vorfeld. „Der Herr Orbán“, wie Scholz ihn nennt, steht dann auf dem Gipfeltreffen zuweilen recht einsam im Raum herum.
Zum anderen durch Szenen wie eingangs beschrieben, die zeigen, wie angeschlagen der 81-jährige Biden ist. Die Frage, ob er auf seine Kandidatur für die US-Präsidentschaftswahl im November verzichtet, überwölbt den Gipfel. Selbst loyale Demokrat:innen wie die einstige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi gehen im Laufe der Woche auf Distanz zu ihm.
Kaum ein ausländischer Politiker, eine Politikerin, der oder die auf den Pressekonferenzen nicht gefragt wird, wie Biden auf sie gewirkt habe. Ist er fit genug? Bundeskanzler Olaf Scholz versichert zum Abschluss des Gipfels zwar, Biden habe Leadership gezeigt. Doch keine halbe Stunde zuvor hatte Biden den ukrainischen Präsidenten Selenskyj als „Präsident Putin“ begrüßt. Videos zeigen, wie Scholz dabei erstarrt. Geistesgegenwärtig korrigierte sich Biden, aber der Schaden war angerichtet.
Und so hat dieser Nato-Gipfel auch etwas vom letzten Jubiläumsfest der DDR. Eine teils schwülstige Inszenierung in einem bombastischen Betonbau. Ein greiser Führer, der sich für unverzichtbar hält und dem die meisten der Eingeladenen dennoch die Treue schwören, weil sie die Alternative fürchten: eine Zeit der Wirren. Die Aussicht auf ein Militärbündnis, angeführt von einem erratischen Präsidenten Donald Trump, der eine Schwäche für autoritäre Staatschefs hat, den Krieg in der Ukraine binnen zwei Wochen beenden will und Putin bereits dazu einlud, mit alle jenen Staaten, die in seinen Augen nicht genug für Verteidigung ausgeben, zu machen, was „zur Hölle“ er wolle.
Wenn Trump die Wahl im November gewinnt, könnte es die letzte große Party des Bündnisses für die nächsten Jahre gewesen sein.
Die Nato „Trump-fest“ machen
Die USA, militärische und wirtschaftliche Weltmacht, Gründungsmitglied der Nato, sind für das Bündnis unverzichtbar. „Die Amerikaner halten den Laden zusammen, stellen die meisten kritischen Fähigkeiten – sprich Waffen und Ausrüstung – und sorgen mit ihrem Atomwaffenarsenal für die nukleare Abschreckung“, sagt Claudia Major, Sicherheitspolitikexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Diese uneingeschränkte Führungsrolle kann keiner ersetzen.“
Major glaubt zwar nicht, dass die USA mit einem möglichen Amtsantritt Trumps der Nato den Rücken kehren. „Aber Trump könnte die Nato auch schwächen, ohne auszutreten.“ Europa müsse sich daher wappnen. „Es geht darum, die Nato Trump-fest zu machen.“ Also die europäische Verteidigung so zu organisieren, dass sie auch mit weniger USA auskommt.
Biden mag alt sein, naiv ist er nicht. Auf dem von ihm ausgerichteten Gipfel leitet die Nato einiges in die Wege, um sich gegen Trump zu imprägnieren. Die 32 Staaten einigen sich darauf, die Unterstützung für die Ukraine langfristig sicherzustellen. 40 Milliarden Dollar Militärhilfe soll das Land im nächsten und möglichst auch in den Jahren darauf erhalten. Koordiniert werden sollen diese Hilfen sowie die Ausbildung für die ukrainischen Soldaten nicht mehr aus Washington, sondern künftig aus Wiesbaden.
Zudem will man der Ukraine eine Brücke in Richtung Nato-Mitgliedschaft bauen. Der Weg ins Bündnis sei „unumkehrbar“, heißt es im Abschlussdokument. Wie lang der Weg ist, steht da freilich nicht.
US-Tomahawks für Deutschland
Doch die fundamentalste Änderung wird eher beiläufig lanciert: In Deutschland werden 2026 wieder amerikanische Langstreckenraketen stationiert, 36 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs: bunkerbrechende Waffen, die bis Moskau fliegen können. Jener Bundeskanzler Scholz, den seine Partei im Europawahlkampf gerade noch als „Friedenskanzler“ plakatiert hatte, nimmt in Washington bei jeder Gelegenheit das Wort „Abschreckung“ in den Mund.
„Es gibt den nuklearen Schutzschirm, aber es geht ja darum, dass wir daneben einen eigenen Schutz haben – mit Abschreckung, die möglich ist“, sagt Scholz am Mittwochmorgen in Washington. Hinter ihm leuchtet die Kuppel des Kapitols im Morgenlicht.
Die Tomahawks der Amerikaner sollen aber nur eine Übergangslösung sein, bis Deutschland und die Nachbarländer eigene Langstreckenwaffen entwickelt haben, was wohl noch fast 15 Jahre dauern dürfte. Der deutsche Verteidigungsminister unterzeichnete eine entsprechende Absichtserklärung mit den Kollegen aus Frankreich, Polen und Italien.
„Mit wehenden Fahnen in einen neuen kalten Krieg, damit macht die Nato einen großen Fehler“, glaubt Jan van Aken, Referent für Krisen und Konflikte bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ja, die Bedrohung durch Russland müsse ernst genommen werden. „Aber Langstreckenraketen und Überschallraketen sind Angriffswaffen und werden in Russland als Bedrohung wahrgenommen.“ Abschreckung biete auf Dauer keine Sicherheit, ist van Aken überzeugt.
„All in“ gehen
Die Kritik in den Reihen der Regierungsfraktionen hält sich dagegen bislang in Grenzen. Und aus seiner eigenen Partei muss Scholz kaum Widerstand befürchten.
Überhaupt läuft es in Washington für den deutschen Kanzler recht gut. Ist ja auch alles relativ. Gemessen an den verunsicherten US-Demokraten und den politischen Verwerfungen in Frankreich, ist die Ampelregierung eine grundsolide Dreierkoalition. Und Scholz ein Regierungschef, der fest im Sattel sitzt.
Claudia Major, Expertin für Sicherheitspolitik
Den Haushalt hat seine Regierung in letzter Minute erst mal unter Dach und Fach gebracht. Die Verteidigungsausgaben entsprechen inklusive des Sondervermögens dem 2-Prozent-Ziel der Nato. Auch wenn der Verteidigungsminister grummelt, Scholz wird nicht müde zu betonen, dass man nun dauerhaft 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgebe, was im Jahr 2028 der stolzen Summe von 80 Milliarden Euro entspräche.
Zudem stellt Deutschland 35.000 Soldat:innen für die Nato ab und eine Brigade zum Schutz der Ostflanke in Litauen. Man gehe „all in“, wie es aus Regierungskreisen heißt.
Wird aus der Mittelmacht Deutschland eine Führungskraft im transatlantischen Bündnis? „Wir sollten uns davor fürchten, dass in Deutschland Leute Verantwortung haben, die den Größenwahnsinn besitzen, zu glauben, sie seien etwas anderes als eine Mittelmacht“, wiegelt Scholz, der als Juso in den 80ern gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstrierte, am Ende des Gipfels ab. Aber natürlich werde man sich der Aufgabe als größtes Land in Europa stellen. „Wir werden, ich werde dieser Verantwortung gerecht werden.“
„Deutschland wird künftig eine zentrale Rolle zukommen“, glaubt auch Sicherheitsexpertin Major. „Viele andere Länder orientieren sich an uns.“
Die Abschlusspressekonferenz von Biden, die erste seit dem TV-Duell gegen Trump, endet im Tumult, weil Biden sich wieder verhaspelt und von „Vizepräsident Trump“ spricht. Da ist Scholz aber schon auf dem Weg zum Flughafen. Wer weiß, wem er beim nächsten Gipfel die Hand schüttelt. Und ob er dann schmunzelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin